Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Ich würde den Volksparteien noch nicht das Unglücksglöcklein läuten"

Durch manche Koalitionsentscheidungen sei "die klare Lagerbildung in Frage gestellt worden", sagt Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin. Dennoch glaubt er, dass in einem Fünf-Parteien-System gerade wieder die Inhalte eine große Rolle spielen werden.

Oskar Niedermayer im Gespräch mit Gerd Breker | 13.10.2009
    Gerd Breker: Es geht mal so, mal so. Wenn es um die Regierung geht, dann können sich die Parteien munter mischen. Da gibt es keine Kombinationshemmungen mehr. Die Grünen können mit der CDU in Hamburg, mit der SPD in Bremen und nun auch in der Kombination Schwarz, Gelb und Grün. In Thüringen will die SPD mit der CDU, in Brandenburg will sie mit der Linken. Es wird herbstlich bunt in der Parteienlandschaft. Nach zehn Jahren mit der Union vollzieht Ministerpräsident Platzeck den Wechsel zur SED-Nachfolgepartei.
    Obwohl wir ja immer wieder hören, es gehe den Parteien ausschließlich um Inhalte, um sogenannte Schnittmengen im Programm, sieht die Wirklichkeit anders aus. Neben der Leidenschaft für die Macht ist die Chemie besonders wichtig. Inwieweit können die Akteure miteinander, oder eben nicht? Vorwand oder nicht: Im Saarland diente die Personalie Oskar Lafontaine dem Grünen-Vorsitzenden als Begründung für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis.
    Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin. Guten Tag, Herr Niedermayer.

    Oskar Niedermayer: Guten Tag!

    Breker: Jeder kann mit jedem und jeder macht auch mit jedem. Ist das die logische Folge eines etablierten Fünf-Parteien-Systems?

    Niedermayer: Nun, es kann ja noch nicht jeder mit jedem und es macht auch nicht jeder mit jedem, denn ich möchte jetzt mal eine Koalition zwischen Union und Linkspartei sehen. Da gibt es schon noch Gräben und Selektionen, die eindeutig jetzt nicht möglich sind. Aber es ist schon richtig: In einem Fünf-Parteien-System müssen sich alle Parteien verstärkt überlegen, mit wem sie außer ihren "traditionellen" Partnern, mit denen sie am liebsten zusammengehen wollen, noch zusammengehen können, und das haben die Grünen gerade gemacht.

    Breker: Kann man daraus schließen, Herr Niedermayer, das Fünf-Parteien-System ist ganz fest in dieser Republik etabliert?

    Niedermayer: Ich würde schon sagen, dass es jetzt etabliert ist, nachdem es sich auch auf der Landesebene in fast allen Landtagswahlen auch durchgesetzt hat, und das bedeutet, dass wir eine buntere Koalitionslandschaft bekommen werden. Insbesondere ist jetzt durchaus aufgrund dieser Grünen-Entscheidung im Saarland die klare Lagerbildung in Frage gestellt worden, also hier ein bürgerliches Lager aus Union und FDP, dem ein linkes Lager aus Linkspartei, SPD und Grünen entgegensteht.

    Breker: Bleiben wir noch kurz bei den Volksparteien, bei den sogenannten Volksparteien, Herr Niedermayer. Deren Ära geht langsam zu Ende. Mehr als 30 Prozent sind kaum noch drin.

    Niedermayer: Ich würde den Volksparteien noch nicht das Unglücksglöcklein läuten, denn wenn jede Partei nicht mehr da wäre, die man schon für tot gesagt hat, dann hätten wir gar keine mehr. Aber es ist richtig: die Hochzeit mit 40, 45 Prozent, die ist wohl vorbei und zudem gibt es eine Asymmetrie zwischen den beiden großen, weil die SPD schlicht und einfach in ihrem Bereich eine Konkurrenzpartei hat, die die Union in der Weise nicht hat.

    Breker: Noch nicht hat, könnte man das vielleicht sogar sagen, oder muss man das nicht sagen, wenn man nach Bayern schaut? Dort waren es ja die freien Wählergruppen, die der CSU ordentlich zugesetzt haben.

    Niedermayer: Ja, aber das ist eher eine bayerische Besonderheit. Die freien Wählergruppen sind sehr stark im lokalen Bereich in Süddeutschland, aber sie haben es ja versucht, bundesweit anzutreten bei der Europawahl, haben sich selbst zerlegt und haben jetzt überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Also die freien Wähler würde ich jetzt nicht als neue konservative Konkurrenzpartei zur Union sehen.

    Breker: Die Union ist da nicht gefährdet, dass es rechts von ihr bröckelt?

    Niedermayer: Noch nicht. Sie hat eine Konkurrenzpartei in Bezug auf ihre wirtschaftliche Positionierung, also eben eine wirtschaftsliberale Partei an ihrer Seite in Gestalt der FDP, die ja jetzt bei dieser Bundestagswahl ordentlich von der Union Stimmen abgezogen hat, aber im kulturellen Bereich, im Bereich von konservativen Wertesystemen, da sehe ich jetzt keine Konkurrenz.

    Breker: Herr Niedermayer, es muss sich ja die Frage stellen, wenn es bunter wird, wenn mehr gemischt wird: Wie dauerhaft kann das sein? Müssen wir in Zukunft häufiger damit rechnen, dass Koalitionen auch während einer Legislaturperiode auseinanderbrechen?

    Niedermayer: Das ist nicht auszuschließen. Das war zuweilen bei dem Ausprobieren neuer Koalitionen auch in der Vergangenheit der Fall. Das ist also auch nichts Neues. Aber es muss nicht unbedingt sein, dass diese Koalitionen instabil sind. Momentan sehe ich zum Beispiel keine Stabilitätsprobleme - und das jetzt schon seit längerer Zeit - bei Schwarz-Grün in Hamburg.

    Breker: Inhaltlich haben Sie gesagt, Herr Niedermayer, dass die Lagertheorie ein wenig ins Wanken geraten ist. Aber muss man nicht doch sagen, es gibt noch so was wie rechts und links in der Lagerhaltung? Man schaut: FDP und CSU und CDU sind eindeutig eher konservativ, wo hingegen Grüne, Linke und SPD eher in einem Lager wären. Gibt es nicht doch noch so etwas?

    Niedermayer: Ich vermeide es eigentlich immer, von Links und Rechts zu sprechen, weil das die Vielfalt der Konfliktlinien in Deutschland nicht wiedergibt, sondern wir haben mindestens zwei: eine im eher wirtschaftspolitischen Bereich - da geht es sozusagen traditionell links-rechts in Form von Wirtschaftsliberalismus, Marktliberalismus versus soziale Gerechtigkeit im Sinne von mehr Gleichheit der Menschen und Staatsintervention. Da kann man links und rechts noch dafür verwenden. Aber wir haben eben auch eine gesellschaftspolitische Konfliktlinie, auf die das nicht zutrifft, und da ist die FDP, wenn Sie sie als Bürgerrechtspartei sehen, näher bei den Grünen zum Beispiel als bei der Union.

    Breker: Also dass man sich auch die Wähler der Parteien anschaut und danach die Parteien einordnet. - Herr Niedermayer, wenn die Inhalte nicht mehr eine so große Rolle spielen, ist es dann auch logisch, dass persönliche Animositäten, die Chemie unter den Akteuren eine größere Bedeutung gewinnt?

    Niedermayer: Ich glaube schon, dass in dem neuen Fünf-Parteien-System gerade wieder die Inhalte eine große Rolle spielen, weil man dann eben guckt, wenn man nicht von vornherein festgelegt ist auf eine bestimmte Koalition, mit wem man die eigenen Inhalte am besten durchsetzen kann, und das Saarland ist da gar kein schlechtes Beispiel, denn wenn man sich genau die Vereinbarungen zwischen CDU, FDP und Grünen im Saarland anschaut, dann haben die Grünen sehr, sehr viel ihrer eigenen Inhalte durchsetzen können. Gleichzeitig war es schon immer so, dass die Chemie zwischen den handelnden Personen eine große Rolle gespielt hat, denn das ist ja auch klar: diese Leute müssen vier Jahre miteinander auskommen und ohne ein bestimmtes Maß an Grundvertrauen, dass man dem anderen vertraut, dass er Dinge einhält, die man mit ihm bespricht, kann so etwas nicht funktionieren. Diese persönliche Komponente, die ist jetzt nur in diesen beiden Koalitionsbildungen, also nicht nur Saarland, sondern eben auch Thüringen, ziemlich deutlich geworden.

    Breker: Also Oskar Lafontaine überschätzt seine Rolle, wenn er meint, er habe die Koalition Rot-Rot-Grün verhindert?

    Niedermayer: Ich würde sagen, er war zumindest nicht der einzige Faktor, ja.

    Breker: Das war der Parteienforscher Oskar Niedermayer im Deutschlandfunk. Herr Niedermayer, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Niedermayer: Bitte schön!