Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

IG-Metall-Chef
"Thema Diesel wird zu Wahlkampfzwecken missbraucht"

IG-Metall-Chef Jörg Hofmannn fürchtet wegen des Diesel-Skandals um Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Es gehe um rund 200.00 Beschäftigte, sagte Hofmann im Dlf. Die Politik müsse jetzt schnell Rechtssicherheit mit Blick auf mögliche Fahrverbote schaffen. Konkrete Maßnahmen gingen aber derzeit im Wahlkampfgetöse unter.

Jörg Hofmann im Gespräch mit Martin Zagatta | 09.09.2017
    IG-Metall-Chef Jörg Hofmann.
    Hofft, dass es nach dem Wahlkampf "endlich zu Maßnahmen" kommt: der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann (dpa / Alexander Heinl)
    Martin Zagatta: Der Dieselskandal, die Betrügereien der Autokonzerne haben das Misstrauen gegen die Dieseltechnologie noch geschürt, die drohenden Fahrverbote tun ihr Übriges, sodass jetzt die Angst umgeht, dass in der deutschen Autoindustrie Hunderttausende Arbeitsplätze verloren gehen könnten.
    Wie man dem entgegenwirkt oder wie das aufgefangen werden kann, darüber berät jetzt die Bundesregierung in sogenannten Zukunftsrunden mit den Betriebsratschefs der großen deutschen Hersteller und Gewerkschaften. Jörg Hofmann, der Chef der IG Metall, war auch bei einem solchen ersten Gespräch mit der Kanzlerin Merkel mit dabei, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Hofmann!
    Jörg Hofmann: Guten Morgen!
    Zagatta: Herr Hofmann, was konkret versprechen Sie sich denn von diesen Beratungen mit der Bundeskanzlerin?
    Hofmann: Ich glaube, es geht vor allem zunächst mal darum, die Sicht der Beschäftigten in die Debatte zu bringen. Die Beschäftigen sind gleich dreimal gekniffen: Einerseits ist ihr Arbeitsplatz und ihre Perspektive am Arbeitsplatz in Gefahr. Zum Zweiten haben sie natürlich ein Interesse an gutem Klima und guten Umweltbedingungen für sich und ihre Familien. Und nicht zuletzt sind sie oft Fahrzeugbesitzer und fürchten um den Restwert ihres mühsam ersparten Fahrzeuges. Und das entlädt sich in Frust, das entlädt sich aber auch in einem groben Ärger über das, was in der Autoindustrie von den Managern angerichtet und von der Politik jetzt im Wahlkampf ausgeschlachtet wird.
    "Wir brauchen möglichst schnell Rechtssicherheit"
    Zagatta: Was kann denn Frau Merkel, wenn wir vielleicht auf die Arbeitsplätze schauen erst mal der Beschäftigten, das klingt ja auch ein bisschen nach der Hauptsorge, was kann denn Frau Merkel, was kann die Bundesregierung für den Erhalt oder für neue Arbeitsplätze tun?
    Hofmann: Wir brauchen zunächst mal möglichst schnell Rechtssicherheit, was das Thema Einfahrverbote angeht. Ohne Rechtssicherheit wird der Diesel weiter in Prozenten der Zulassungen absacken, und am Diesel hängen Tausende von Arbeitsplätzen, deutlich mehr wie am Verbrennungsmotor, gerade in der Zulieferindustrie, wo man teilweise jetzt schon vor Kurzarbeit stehen. Und das heißt, Rechtssicherheit heißt, selbst das Handeln zu übernehmen, nicht den Gerichten zu überlassen und hier mit Vorschlägen ins Rennen zu kommen. Die IG Metall hat etwa die Einführung der blauen Plakette vorgeschlagen als eine mögliche Maßnahme, um den Neukäufern von Fahrzeugen die Sicherheit zu geben, auch ich komme morgen mit meinem Fahrzeug wieder in die Großstädte.
    Zagatta: Rechnen Sie denn da ernsthaft, dass die Bundesregierung da für Rechtssicherheit sorgt? Bei dem Autogipfel oder bei dem Dieselgipfel, da hat man ja Maßnahmen durchgesetzt, da war die Autoindustrie mit dabei, da hat man ja Maßnahmen durchgesetzt, von denen nahezu alle Experten hinterher und sogar das Bundesumweltamt hinterher gesagt haben, das funktioniert nicht, damit werden wir die Grenzwerte nie und nimmer einhalten. Haben Sie da den Eindruck, dass die Bundesregierung ernsthaft bemüht ist, dafür ganz schnell etwas zu unternehmen?
    Hofmann: Das ist genau das, wo der Ärger auch bei unseren Kolleginnen und Kollegen ansetzt, dass sie das Gefühl haben, das Thema wird jetzt zu Wahlkampfzwecken missbraucht, aber nicht zu konkreten Maßnahmen, die notwendig sind, weiterentwickelt. Ich meine …
    "Es ist bisher wenig rausgekommen"
    Zagatta: Wie hat Frau Merkel denn da reagiert, haben Sie ihr das so gesagt, haben Sie ihr das direkt so ins Gesicht gesagt und wie hat sie denn da reagiert?
    Hofmann: Nun, ich glaube, es waren zunächst mal Interessen, wo sie und die zugehörigen Fachminister zugehört haben – das fand ich auch sehr angenehm –, zugehört haben, um die Problemlage aufzunehmen, die aus Sicht der Beschäftigten entstanden ist. Es war kein Treffen, wo ich jetzt auch die Erwartung hatte, dass daraus unmittelbar Maßnahmen abgeleitet würden.
    Zagatta: Wie so viele von diesen Treffen, Dieselgipfeln oder so, da scheint ja wenig rauszukommen.
    Hofmann: Es scheint so, es ist bisher wenig rausgekommen, und ich hoffe es, dass nach der Bundestagswahl, wenn sich mal die Wogen geglättet haben, das Thema letztendlich nur populistisch zu bedienen, wenn man wieder auf die Fakten schaut, es endlich zu Maßnahmen kommt. Wir brauchen sie dringend und schnell.
    Sorge um bis zu 200.000 Diesel-Beschäftigte
    Zagatta: Von wie viel Arbeitsplätzen, die da auf dem Spiel stehen, sprechen wir überhaupt, was befürchten Sie, wie viel Arbeitsplätze könnten da verloren gehen in der nächsten Zeit?
    Hofmann: Wir haben insgesamt so circa 880.000 Beschäftigte in der Branche, davon arbeiten circa 320.000 im Antriebsstrang, ungefähr zwei Drittel davon bei Diesel, weil gerade im Zuliefererbereich, wenn noch Teile hier produziert werden in Deutschland, das in der Regel Dieselkomponenten sind, oder Komponenten sind längst nach Osteuropa abgewandert. Das heißt, wir sprechen roundabout von 180-, 200.000 Menschen, die heute mit der Dieseltechnologie beschäftigt sind. Und wenn der Anteil von Diesel innerhalb von einem Jahr, wie jetzt geschehen, von nahezu 50 auf 30 Prozent absinkt – und gerade droht die 30-Prozent-Marke zu reißen –, dann heißt es natürlich ganz konkret Beschäftigungsprobleme, insbesondere in den Betrieben, die sehr speziell auf diese Technologie ausgerüstet sind.
    Zagatta: Sie machen sich da richtig Sorgen?
    Hofmann: Ich mach mir da richtig Sorgen, wenn dieser Prozess anhält, und wir sehen ja jetzt schon, dass Schichten abgemeldet, Arbeitszeitkonten abgebaut und die ersten Überlegungen von Kurzarbeit in der Diskussion sind.
    "Die Branche ist in einem extremen Strukurwandel"
    Zagatta: Aber Herr Hofmann, neue Technologien, neue Antriebsarten bieten doch auch Chancen, da müsste doch das Autoland Deutschland eigentlich führend sein und, so sollte man denken, sogar Arbeitsplätze schaffen. Warum sind Sie da nicht optimistisch?
    Hofmann: Ich bin schwer dafür, dass dieser Prozess vorangetrieben wird, um das deutlich zu sagen, aber wenn wir in diesem Prozess, der sicherlich nicht von heute auf morgen zu 100 Prozent Neuzulassungen von Elektroantrieben führen wird – ich komme da gleich drauf zurück –, brauchen wir den Diesel als Übergangstechnologie, der, was das Thema Klima angeht, deutlich freundlicher ist als der Benziner. Und was die Frage von NOx-Ausstoß und Feinstaub zwischenzeitlich mit modernen Dieseln dies durchaus im Griff hat …
    Aber lassen Sie mich zurückkommen: Ja, ich teile Ihre Ansicht, wir müssen die Innovationsführerschaft in dieser Branche beibehalten, und das heißt, massiv zu investieren in den Punkt Elektroantriebe, aber auch andere alternative Antriebstechnologien. Nur da beißt sich die Katze in den Schwanz, wenn es keine Infrastruktur gibt dafür, wenn der Kunde nicht den gleichen Fahrkomfort hat wie beim Verbrenner, gibt es zwar Produkte, die wir jetzt alle auf der IAA sehen, aber keine Käufer, und daran zu arbeiten, ist nicht nur eine Frage der Industrie, sie ist auch damit gefordert, sondern auch die Politik, was tue ich an Infrastrukturleistung, damit Elektromobilität attraktiv wird für den Kunden.
    Zagatta: Also da haben Sie noch einiges vorzutragen, wenn Sie das nächste Mal die Kanzlerin treffen.
    Hofmann: Die Branche ist in einem extremen Strukturwandel. Die Transformation hin zu einer digitalisierten Mobilität, zu einer energie- und umweltfreundlichen Mobilität, zur Entkarbonisierung wird viele Arbeitsplätze in dieser Branche massiv verändern, wird neue Geschäftsmodelle entstehen lassen und andere Arbeitsplätze nicht mehr in Zukunft nötig machen.
    Realitätsnahe Verbrauchs- und Abgasangaben dringend nötig
    Zagatta: Und die Grenzwerte werden dann auch mal irgendwann eingehalten. Sind Sie zuversichtlich, dass die Autoindustrie sich vielleicht da irgendwann mal in ferner Zukunft oder wann auch immer dazu durchringt?
    Hofmann: Es ist [unverständlich] der Ärger der Beschäftigten, dass da manche Manager immer noch auf dem hohen Ross sitzen und nicht etwas mehr Demut walten lassen. Zunächst mal haben wir den Beschiss und Betrug, das ist das eine, zum anderen aber muss ich auch sagen, es gibt jetzt erst seit 1. September seitens des Gesetzgebers überhaupt Auflagen, wie viel im Realbetrieb denn die Fahrzeuge von dem, was auf der Rolle gemessen wurde, abweichen können. Und dass da die Autoindustrie gefordert ist, endlich mal Verbraucherschutz im Sinne von Transparenz und realitätsnahen Angaben im Verbrauch und in der Emission zu leisten, das ist eine Forderung, die die IG Metall seit mehreren Jahren massiv an die Industrie und an die Politik stellt.
    Zagatta: Sagt der Chef der IG Metall, Jörg Hofmann, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Hofmann, danke sehr für das frühe Aufstehen und für dieses Gespräch!
    Hofmann: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.