Freitag, 29. März 2024

Archiv

IG-Metall-Warnstreiks
"Quasi eine Stilllegeprämie für Fachkräfte"

Die Warnstreiks der IG Metall seien "rechtswidrig", sagte Oliver Zander von Gesamtmetall im Dlf. Das gelte auch für die Forderung nach Lohnausgleich bei freiwilliger Arbeitszeitreduzierung für diejenigen, die pflegen oder Kinder betreuen. Dadurch würden die "normalen Teilzeitbeschäftigten" diskriminiert.

Oliver Zander im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 06.01.2018
    Jürgen Zurheide: Die IG Metall macht weiter, auch in der kommenden Woche sind neue Warnstreiks angekündigt, genauso wie in der vergangenen Woche die ersten Warnstreiks bei Porsche oder bei ZF. Das trifft die Arbeitgeber in diesen Tagen hart, denn die Auftragsbücher sind voll, und ansonsten schimpfen die Arbeitgeber und sagen, das alles ist rechtswidrig, was die IG Metall da veranstaltet. Über all das wollen wir reden, und ich begrüße am Telefon und freue mich, dass er da ist, Oliver Zander, der Geschäftsführer von Gesamtmetall, also der Arbeitgebervertreter. Guten Morgen, Herr Zander!
    Oliver Zander: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Zander, die Friedenspflicht ist seit dem 1. Januar beendet. Es hat, wie ich gesagt habe, erste Warnstreiks gegeben, Sie sagen rechtswidrig – warum eigentlich?
    Zander: Also eine lange Herleitung vielleicht mal vorweg: Wir haben immer Warnstreiks, in jeder Tarifrunde, das ist nicht das Thema. Das Thema ist, dass eine Forderung der Gewerkschaft rechtswidrig ist, und deshalb sind auch die Streiks insgesamt rechtswidrig. Das ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
    "Dass man viel Tamtam macht, ist eigentlich unnötig"
    Zurheide: Ziehen Sie vor Gericht?
    Zander: Das ist nicht entschieden. Wir sind in den Gremien am diskutieren, wir gucken auch, in welchem Umfang die Gewerkschaft streikt. Sie wissen, dass die Gewerkschaft ein neues Instrument entwickelt hat, das nennt sich 24-Stunden-Streiks, und die empfinden wir als besonders giftig und völlig unnötig, denn wir verhandeln ja mit der Gewerkschaft. Die letzte Verhandlungsrunde hat am 18.12. geendet, die nächste geht am 11. Januar los. Dass man viel Tamtam macht, ist eigentlich unnötig, denn wir sitzen zusammen am Tisch.
    Zurheide: Sie haben gerade gesagt, vor allen Dingen eine Forderung halten Sie für rechtswidrig in dem Fall, das ist die Forderung, dass man weniger arbeiten kann, zwar etwas weniger verdient, aber mehr als man verdienen würde, wenn man zum Beispiel nur 28 Stunden arbeitet. Warum sind Sie gegen diese Form von Flexibilisierung?
    Zander: Ich darf's mal so sortieren, wir haben drei Punkte: Wir haben das Entgelt, das ist, glaube ich, lösbar. Wir haben ein Angebot vorgelegt, was höher ist als die Lohnerhöhung in 2017.
    Zurheide: Um das zwischenzufügen, die IG Metall fordert sechs Prozent, Sie haben zwei angeboten, aber Sie signalisieren, da werden Sie sich schon einig.
    Gewerkschaft fordert für bestimmte Gruppen Lohnausgleich bei 28-Stunden-Teilzeit
    Zander: Da werden wir uns einigen. Wir haben einen soliden Wachstumspfad in der Konjunktur, niemand kann das bestreiten, und da gibt es eine Lösungsmöglichkeit, das ist ganz sicher. Wir wollten deutlich machen, dass wir mit einem hohen Angebot auch lösungsbereit sind, und das ist denkbar. Das zweite Thema ist die Frage, ob Beschäftigte individuell auf 28 Stunden runtergehen können. Da gibt es schon gesetzliche Ansprüche, dieses Arbeitszeitthema ist auch kein Problem, wenn wir in die Lage versetzt werden, mehr Arbeitszeitvolumen zu generieren. Die Details kann man auch sicherlich vernünftig erörtern, da führen wir seit Längerem viele Gespräche mit der IG Metall, auch das ist lösbar.
    Das einzige Problem in dieser Runde ist aus unserer Sicht dieser sogenannte Lohnausgleich, den Sie angesprochen haben. Die Gewerkschaft stellt sich vor, dass alle Arbeitnehmer individuell die Arbeitszeit verringern können, und für bestimmte Gruppen soll es einen Lohnausgleich geben – für diejenigen, die pflegen, Kinder betreuen oder auch für Schichtarbeiter. Und das ist das Hauptproblem. Wir sehen rechtliche Probleme, aber auch Probleme, die einfach in dem Fachkräftemangel liegen, den wir dadurch noch mal massiv verschärfen.
    "Problem, dass ein Run auf dieses Instrument einsetzt"
    Zurheide: Jetzt könnte man natürlich genauso sagen, wenn Menschen in gewissen Zeiten ihrer Lebensphase etwas weniger arbeiten, weil sie zum Beispiel Familie, Kinder oder sonst was in den Mittelpunkt stellen, sind sie anschließend erholter und bleiben Ihnen länger erhalten. Dieses Argument halten Sie für völlig falsch?
    Zander: Nein, das ist akzeptiert. Wir haben ja schon bei der Einführung der 35-Stunden-Woche in den 80ern mehr Arbeitszeitflexibilität eingeführt. Diese Arbeitszeitflexibilität lässt sich in beide Richtungen sicherlich verändern. Wir sehen, dass auch viele Beschäftigte mehr arbeiten wollen, mehr als 35 Stunden, und ich glaube, dass wir da einen vernünftigen Ausgleich hinkriegen. Es geht bei der Arbeitszeit letztendlich darum, eine Logik zu entwickeln, dass man mit der Arbeitszeit individuell rauf kann, und wenn wir in einem ausreichenden Umfang Arbeitszeitvolumen gewinnen, dann ist es auch selbstverständlich möglich, dass Einzelne verringern. Und es gibt einen gesetzlichen Anspruch auf Teilzeit, das wissen Sie, insofern ist das nicht das Thema.
    Das Problem ist, dass die Gewerkschaft sagt, wir müssen für bestimmte Gruppen noch dafür Geld kriegen, und dann entsteht bei uns das Problem, dass ein Run auf dieses Instrument einsetzt in einem Umfang, der so viel Arbeitszeit kostet, dass wir im Grunde – wir haben es mal überschlagen – mit vielleicht 200.000 Vollzeitäquivalenten in der Branche bei 3,9 Millionen Beschäftigten rechnen müssen. Das heißt, uns fehlen plötzlich vier, fünf Prozent des Arbeitszeitvolumens, wir wissen gar nicht, wo wir das hernehmen sollen, und die Beschäftigten, die das nicht in Anspruch nehmen, die werden die Arbeit zumindest am Anfang wahrscheinlich dauerhaft mehr machen müssen. Das kann nicht die Lösung sein.
    Es ist so, dass der Lohnausgleich quasi eine Stilllegeprämie für Fachkräfte ist, und das können wir nicht akzeptieren. Die rechtlichen Probleme sind wie gesagt ein weiteres Problem, ein Detail, aber nicht ganz unwichtig. Wir diskriminieren ansonsten nämlich die normalen Teilzeitbeschäftigten der Branche. Wir haben sechs Prozent Teilzeitbeschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie, und davon sind 81 Prozent Frauen, und 30 Prozent arbeiten von denen wiederum 20 Stunden oder weniger. Das heißt, wenn wir den Lohnausgleich nur für die Absenkung auf 28 geben würden, dann hätten wir schlicht das Problem, dass die Frau, die nur 20 Stunden arbeitet, weniger in der Stunde verdient als der Mann, der von 35 auf 28 absenkt. Das ist eine Ungleichbehandlung. Heute ist das Entgelttransparenzgesetz in Kraft getreten, also wir würden sogar noch in die Falle laufen. Die Klagen gegen Unternehmen sind absehbar. Das können wir rechtlich nicht, und das ist der Dissens, und an dem hängt jetzt alles. Wenn das vom Tisch ist, haben wir bis Fasching ganz sicherlich eine Lösung.
    Zurheide: Es gibt einen anderen – ich will da jetzt nicht weiter drauf eingehen, weil das müssen Sie in der Tat in den Verhandlungen klären, es gibt Argumente, die dagegen sprechen, aber das werden Sie dann sicherlich wägen. Es gibt eine Frage: Rückkehr zur Vollzeit. Das räumen Sie ein, es gibt bei Arbeitgebern Tendenzen, manche sagen ja, andere nein, wie sehen Sie das in der Metallindustrie, ein Recht auf Rückkehr zur Vollzeit?
    Zander: Wir haben die Situation, dass die CDU das im Wahlprogramm hatte, wir wissen, dass die SPD das will, wir wissen, dass der alte Koalitionsvertrag das vorgesehen hat. Man war dort auf der Ziellinie. Es gab noch einen Streit um die Frage, in welchem Umfang, wie groß der Betrieb sein muss. Am Ende des Tages können alle Beteiligten davon ausgehen, dass irgendwann der Gesetzgeber das regelt. Nun ist die Frage, was machen wir. Warten wir, bis der Gesetzgeber geregelt hat, und sagen, das schreiben wir in den Tarifvertrag, oder andersrum, wir überlegen uns etwas, was der Gesetzgeber vielleicht aufnimmt. An der Stelle sind wir in den Verhandlungen noch nicht, aber eine Rückkehrrecht unter vernünftigen Bedingungen wird am Ende entweder im Gesetz oder im Tarifvertrag stehen. Davon ist nach heutigem Stand ja auszugehen.
    Zurheide: Es wird an Gesamtmetall nicht scheitern.
    Zander: Wenn der Gesetzgeber das macht, wird es an Gesamtmetall nicht scheitern.
    Zurheide: Nein, nein, pardon, andersrum: Wenn ich Sie richtig gerade verstehe, sagen Sie ja, na ja, also wir können uns durchaus tarifliche Lösungen vorstellen, die dann möglicherweise der Gesetzgeber als Blaupause nimmt, so habe ich Sie gerade verstanden. Habe ich das richtig verstanden?
    "Wir brauchen mehr Arbeitszeitvolumen"
    Zander: Das ist vorstellbar. Wir haben übrigens das häufiger gehabt, verschiedene Branchen, auch die Metall- und Elektroindustrie, haben immer wieder tarifliche Regelungen geschaffen, die dann vom Gesetzgeber übernommen worden sind, und das scheint hier auch möglich. Allerdings hängt es hier dann doch am Gesamtpaket. Wenn wir ausreichend Arbeitszeitvolumen bekommen, dann ist auch eine Teilzeit mit einem Rückkehrrecht denkbar, aber wir brauchen mehr Arbeitszeitvolumen, auch in der Perspektive wegen des Rückgangs des Erwerbspersonenpotenzials. Wenn wir das hinkriegten, dann werden wir an dieser einen Stelle auch nicht von einem Rückkehrrecht massiv tangiert sein, aber das hängt jetzt vom Gesamtpaket ab. Diesen Vorbehalt muss ich leider machen.
    Zurheide: Es gibt ja – und da scheinen wir keinen Dissens, auch in diesem Gespräch, zu haben – einen hohen Wunsch von Menschen, mehr Zeitsouveränität im Laufe ihres Arbeitslebens zu bekommen. Diesem Wunsch, wenn er denn richtig überliefert ist, dem widersprechen Sie nicht.
    Zander: Nein, wir haben doch die Situation, dass wir bestimmt 30 bis 35 Prozent der Beschäftigten haben, die mehr als 35 Stunden arbeiten wollen in unserer Branche. Gerade Jüngere wollen das – in der Anfangsfamilienphase, um auch sich gewisse Dinge leisten zu können, später, wenn man etwas älter ist, will man vielleicht etwas weniger arbeiten. Das ist eine Frage der Arbeitszeitflexibilisierung, und das ist alles leistbar und das werden wir auch leisten können. Das Problem ist, dass wir es nicht schaffen, für alle eine Absenkung zu organisieren und am Ende mit weniger Volumen dastehen. Dann ist wirklich eine Situation eingetreten, die so schrecklich wäre, dass wir auch fragen müssten: Wo soll dann produziert werden?
    Zurheide: Das war Oliver Zander, der Geschäftsführer von Gesamtmetall, heute Morgen im Deutschlandfunk zu den weiter anstehenden Streiks, Warnstreiks, und zur Tarifauseinandersetzung mit der IG Metall. Herzlichen Dank für das Gespräch!
    Zander: Auf Wiederhören, Herr Zurheide!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.