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Ikone der Moderne

Das Dessauer Bauhaus-Gebäude wurde im Laufe seiner Geschichte sowohl euphorisch gefeiert als auch abgrundtief verachtet. Es steht für eine Architektur, die den Globus erobert hat. Seit 1996 ist das Gebäude als Weltkulturerbe anerkannt.

Von Adolf Stock | 04.12.2006
    1919 gründete der Architekt Walter Gropius das Staatliche Bauhaus in Weimar. Die neue Kunstgewerbeschule ging mit einem völlig neuen Ausbildungskonzept an den Start.

    "Maler und Bildhauer, durchbrecht die Schranken zur Architektur und werdet Mitbauende, Mitringende um das letzte Ziel der Kunst: die schöpferische Konzeption der Zukunftskathedrale."

    Aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, forderte Gropius mit Blick auf die Handwerkstradition der Bauhütten des Mittelalters einen moralischen Neuanfang. Die Metapher von der Zukunftskathedrale stand für den Wunsch nach einem sozialen und künstlerischen Gesamtkunstwerk. Die Utopie währte nicht lange. Schon bald geriet die Konzeption der Schule in die Mühlen der Politik. Nach den Landtagswahlen 1924 strich Thüringen die Gelder für die Kunsthochschule radikal zusammen. Das Bauhaus musste gehen und zog vom gutbürgerlichen Weimar in die Industriestadt Dessau. Gropius verkündete nun:

    "Kunst und Technik - eine neue Einheit!"

    Es war ein völlig neues Programm, das der Bauhaus-Lehrer Oskar Schlemmer damals so kommentierte:

    "Abkehr von der Utopie. Statt Kathedralen die Wohnmaschine. Statt Ornamentation sachliche Objekte, die Zwecken dienen."

    In Dessau wurde nun endlich nicht nur über Architektur geredet, sondern konkret geplant und gebaut, erinnerte sich der Architekt, Künstler und Designer Max Bill 1994.

    "Eine wirkliche Architekturabteilung hat es anfangs nicht gehabt. Aber die Architekturabteilung wurde gemacht. Und deshalb bin ich ans Bauhaus gegangen. Das Bauhaus wurde eröffnet, erstens mit einem neuen Bau, zweitens mit einem neuen Lehrfach."

    Am 4. Dezember 1926 konnte das Bauhaus-Gebäude eröffnet werden. Auf den ersten Blick ein schlichter geometrischer Bau, doch Gropius war ein Geniestreich gelungen. Er hatte die einzelnen Funktionen architektonisch klar voneinander getrennt, den Wohnbereich mit den kleinen Balkonen, die Werkstätten mit der berühmten Glasvorhangfassade und die Kommandobrücke mit der Verwaltung und dem Direktorenzimmer.

    "Gropius und die Architekten des Neuen Bauens wollten ja weg von diesem starren, alten System, vorne hui und hinten pfui, so dass die Fassade immer was hergibt, aber dann die Seiten oder die rückwärtige Seite unglaublich abfällt."

    Das Gebäude ist eigentlich eine Skulptur, erklärt Annemarie Jaeggi, Leiterin des Berliner Bauhaus-Archivs. Und auch aus der Luft sollte es dem Betrachter einen imposanten Eindruck bieten.

    Anfang des letzten Jahrhunderts hatte Albert Einstein das Verhältnis von Raum und Zeit neu bestimmt und als Einheit beschrieben. Viele Künstler und Architekten setzten sich damals mit der Relativitätstheorie auseinander. Und obwohl sich die mathematisch-abstrakten Erkenntnisse der sinnlichen Wahrnehmung entziehen, sah Gropius in der benötigten Zeit, das Bauhaus-Gebäude zu umkreisen, einen Hinweis auf die Zeit als Vierte Dimension.

    Unter dem Druck der Nationalsozialisten musste das Bauhaus im Herbst 1932 auch Dessau verlassen. Nach einer kurzen Episode in Berlin wurde die Schule zur Selbstauflösung gezwungen. Damals war im nationalsozialistischen Kampfblatt "Der Angriff" zu lesen.

    "Die deutsche Seele geht in keinen Kasten hinein und wenn er noch so hygienisch wäre."

    Walter Gropius und andere Bauhäusler gingen ins Exil. Nach 1945 verhinderte die DDR-Regierung die Wiederbelebung der Bauhaus-Idee. 1952 sprach Walter Ulbricht von einer "volksfeindlichen Erscheinung". Erst ab Mitte der 70er Jahre wurde in Dessau über das Bauhaus neu nachgedacht und das im Krieg beschädigte Gebäude wieder rekonstruiert. Frisch renoviert zeugt es heute von einer großen gesellschaftlichen Utopie und von einer architektonischen Idee, die den Globus erobert hat.