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"Es geht nur darum, sich selbst zu bestätigen"

Mit dem Urteil des Landgerichts Berlin werde klar aufgezeigt, dass man solches Verhalten im Verkehr nicht mehr toleriere, sagte die Schweizer Verkehrspsychologin Jacqueline Bächli-Biétry im DLF. Sie forderte, den Zugang zu hochmotorisierten Autos für junge Leute zu erschweren. Und generell die emotionale Bindung zum Auto zu lösen.

Jacqueline Bächli-Biétry im Gespräch | 28.02.2017
    Blick auf eine befahrene Straße
    Dass sich Leute mit wenig Geld "derartige Autos" leisten können sei genauso ein Problem wie die fehlende Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen, sagte die Verkehrsexpertin Bächli-Biétry im DLF. (imago stock&people)
    Sandra Schulz: Berlin im vergangenen Februar, zwei Männer rasen nachts durch die Stadt über den Kurfürstendamm, überfahren mehrere rote Ampeln, einer der Raser rammt einen Jeep mit Tempo 160, der Fahrer des Jeeps stirbt noch am Unfallort. So hat das Landgericht Berlin die Ereignisse rekonstruiert und gestern geurteilt: Das war Mord. Gegen die beiden Raser erging eine lebenslange Haftstrafe. Obwohl die Richter betont haben, das sei ein Einzelfall gewesen, sehen viele in dem Urteil eine Entscheidung mit Symbolkraft. Darum ist es eine spannende Frage, was das Urteil in der Diskussion um härtere Strafen für Raser bedeutet. Der Bundesrat hat im September 2016 einen Gesetzentwurf für deutlich härtere Strafen beschlossen, Verkehrsminister Dobrindt hat ähnliche Pläne.
    Am Telefon ist Jacqueline Bächli-Biétry, Verkehrspsychologin in Zürich mit viel Erfahrung in der Arbeit mit straffälligen Verkehrsteilnehmern. Schönen guten Morgen!
    Jacqueline Bächli-Biétry: Guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Was ist Ihre Einschätzung, welches Signal geht von diesem Urteil aus?
    Bächli-Biétry: Ich glaube, es ist eine ganz wesentliche Entwicklung, die wir in der Schweiz bereits vor etwa 15 Jahren hatten, dass klar aufgezeigt wird, dass dieses Verhalten im Verkehr nicht mehr toleriert wird. Es stellt sich immer die Frage, ob das dann wirklich im Einzelfall etwas bewirkt, weil wir ja wissen, dass Strafandrohung in der Regel nicht Straftaten verhindert, aber dennoch könnte ich mir vorstellen, dass es ein Zeichen setzt, dass vor allem in der Vorbereitungshandlung – die Leute kaufen sich ja getunte Autos, derartige Rennen werden sehr häufig durchgeführt –, wenn man auch noch mehr kontrollieren würde, dass dann die Häufigkeit derartiger Taten schon verringert würde.
    "Sie machen sich keine Gedanken über die Konsequenzen"
    Schulz: Warum verhindern hohe Strafen oder hohe Strafandrohungen solche Rennen nicht?
    Bächli-Biétry: Weil die Leute genau so ticken. Also, die tun Dinge aus dem Moment heraus, wie diese Rennen, da geht es nur darum, sich selbst zu bestätigen, ohne sich über die Konsequenzen Gedanken zu machen. Sie machen sich keine Gedanken über die Konsequenz, dass sie jemanden schädigen könnten, noch dass sie selbst dabei zu Schaden kommen könnten oder dass sie bestraft werden. Weil, sie sind sehr häufig in einem derartigen Selbstüberschätzungswahn drin, sie denken, dass sie Dinge kontrollieren können im Verkehr, die eigentlich physikalisch gar nicht kontrollierbar sind. Und deshalb glauben sie gar nicht daran, dass etwas passieren könnte, wenn sie so etwas tun.
    Schulz: Und das geht auch – ohne das plattfragen zu wollen – um die Beziehung zwischen Mann und Auto?
    Bächli-Biétry: Ja, sicher. Also, es sind ja hauptsächlich Männer, die derartige Taten begehen, und es scheint schon damit zu tun zu haben, dieses Bedürfnis, sich über eine Maschine oder Gerät selbst zu bestätigen. Und natürlich, je stärker dieses Gerät ist, desto stärker erlebt die Person sich selbst. Und Sie bekommen damit quasi eine andere äußere Hülle. Und Autos scheinen natürlich für junge Männer, gerade mit schlechten Perspektiven, die sonst nicht viel zu bieten haben im Leben, eine sehr gute Möglichkeit darzustellen, ihren eigenen Selbstwert aufzupolieren.
    "Dass Leute mit wenig Geld sich derartige Autos leisten können"
    Schulz: Und wenn Sie sagen, hohe Strafandrohungen bringen nicht allzu viel, was wäre dann die Idee? Wie müsste man mit solchen Tätern, mit solchen Männern umgehen?
    Bächli-Biétry: Also, ich glaube, man müsste sicher primär einmal die Zugänglichkeit zu derartigen hochmotorisierten Autos erschweren. Also, das ist sicher auch ein Teil, der dazu beigetragen hat, dass das Problem sich in den letzten 20 Jahren sehr stark akzentuiert hat, dass sich auch junge Leute mit wenig Geld – der Täter hier in Berlin hatte ja Hartz IV und dennoch ein so starkes Auto –, dass Leute mit wenig Geld sich derartige Autos leisten können, weil man die Autos gut leasen kann; und dass natürlich ein derartiges Auto sowieso einen Aufforderungscharakter hat, damit schnell zu fahren, wofür habe ich ein derartiges Auto, wenn ich es nie ausfahren kann? Das wäre ein Teil. Und ich glaube, dass man auch natürlich über Kontrollen, wenn mehr Kontrollen gemacht werden, sicher auch das Verhalten regulieren kann, und zusätzlich stelle ich mir natürlich gerade für Deutschland die Frage, ob man nicht auch ein Zeichen setzen müsste in dem, dass man die Autobahn ganz generell limitieren würde. In einem Land, wo es immer noch Orte gibt, wo man unbeschränkt schnell fahren kann, was ein unheimliches Gefahrenpotenzial birgt, muss man sich fragen, ob man dann mit solchen starken Strafen wirklich genug Abschreckung hat.
    "Generell eine Tendenz, die Gefährlichkeit beim Autofahren zu unterschätzen"
    Schulz: Da sprechen Sie hier in Deutschland ja ein hoch emotionales Thema an. Und wenn wir über die Geschwindigkeiten auf Autobahnen sprechen, dann sind wir auch sofort weg vom Thema, über das wir ja gerade gesprochen haben, über Raser, über Menschen, die wirklich ihr Auto kriminell einsetzen. Dieses Gefühl, dieses Gespür für die hohe Gefahr, der man sich aussetzt als Autofahrer in einem schnellen Auto, warum ist dieses Gefühl so wenig ausgeprägt?
    Bächli-Biétry: Ich glaube, es besteht generell eine Tendenz, dass wir die Gefährlichkeit beim Autofahren unterschätzen. Wir bewegen uns im Auto mit Geschwindigkeiten, für die wir nicht gemacht sind, aber dennoch tun wir es. Und ich glaube, die wenigsten Leute sind wirklich gut in der Lage, abzuschätzen, wie lange sie brauchen, bis das Auto steht. Und diese Selbsteinschätzung je nachdem, in welcher Lebensphase man steckt. Also, junge Männer neigen generell, in allen Bereichen eher dazu, sich selbst zu überschätzen, und auch dazu, ihre Grenzen zu suchen. Und wenn sie in dieser Phase sind und im Auto unterwegs sind, dann wird diese Tendenz noch viel größer, zu denken, ah, ich habe es im Griff. Und was noch dazukommt, dass natürlich Unfälle oder schwierige Ereignisse im Verkehr eher selten sind. Sehr häufig kommen wir gut durch, obwohl wir ein Verhalten gezeigt haben, das eigentlich schlecht hätte enden können. Also, beispielsweise, man überholt in einer Kurve, überfährt die Sicherheitslinie und es kommt niemand entgegen, dann ist nichts passiert. Also, man hat auch nichts daraus gelernt. Erst wenn wirklich der Schaden eintritt, dann setzt der Lernprozess allenfalls ein.
    Das Auto "als Ding nehmen, das uns von A nach B bringen sollte"
    Schulz: Und die Alltagserfahrung zeigt ja auch, dass der Straßenverkehr ein unheimliches Potenzial hat, Aggressionen zu schüren. Woher kommt das?
    Bächli-Biétry: Das ist natürlich eine Frage der Dichte, dass, je mehr Leute sich auf einem engen Raum bewegen, desto schürt das Aggressionen. Zudem wird natürlich, wenn man Auto fährt, einem auch das Bild vermittelt, mit dem Auto hat man eine gewisse Freiheit, man kommt schnell, bequem von A nach B. Und wenn dann natürlich die ganzen Straßen ständig verstopft sind, dann löst das schon Aggressionen aus. Deshalb ist es umso wesentlicher, dass wir uns von der emotionalen Bindung vom Auto lösen und das Werkzeug wirklich als Ding nehmen, das uns von A nach B bringen sollte, und das möglichst mit wenig Emotionen.
    Schulz: Wird das denn jetzt umgeschrieben werden, nach diesem Urteil aus Berlin? Da ist das Auto ja als gemeingefährliches Mittel einsortiert worden.
    Bächli-Biétry: Ja, wobei, ich denke schon, man kann das Auto ganz bewusst als Waffe einsetzen, es gibt Leute, also, wie das ja in Berlin auch der Fall war, auch dieser Mann, der in den Weihnachtsmarkt gefahren ist, das ist für mich ganz klar das Einsetzen eines Motorfahrzeugs als Waffe, um andere Menschen zu töten. Im Fall der beiden Raser hatte das Auto die Wirkung einer Waffe, wurde aber eigentlich vermutlich, aus meiner Sicht, nicht im Sinne einer Waffe eingesetzt, sondern mehr als Mittel zur Selbstbestätigung. Dass es dann diesen Effekt bekommen hat, das ist dann eben die Folge dieser massiven Selbstüberschätzung.
    Schulz: Jacquline Bächli-Biétry, Verkehrspsychologin aus der Schweiz heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank dafür!
    Bächli-Biétry: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.