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Im Auftrag des Friedens

Den ersten Weltkrieg zu verhindern, sah Jean Jaurès als Lebensaufgabe an. Und gerne hätte er auch die 'Erbfeinde' Deutschland und Frankreich ausgesöhnt.

Von Peter Hölzle | 03.09.2009
    "Gehen wir kurz im Croissant Nachtessen', sagte er ... . Es ist schon 21.40 Uhr. ... Im Lokal bläht sich plötzlich der Vorhang und wird weggeschoben. Etwas kleines, blankes kommt auf den Kopf von Jaurès zu. Zwei Blitze, zwei Schläge, und Jean Jaurès sackt langsam nach links weg. Ein gellender, herzzerreißender Schrei ... : 'Sie haben Jaurès umgebracht ... ."

    Pierre Renaudel, sozialistischer Abgeordneter und enger Mitarbeiter von Jaurès, schildert die Ermordung des französischen Sozialistenführers am 31. Juli 1914, einen Tag vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die Kugeln des Attentäters, eines nationalistischen Ultras, setzten Jaurès' Bemühungen ein jähes Ende. Bis zum letzten Atemzug war er mit der Kraft seines Wortes für den Frieden aktiv gewesen, hatte nur wenige Stunden vor seiner Ermordung bei der französischen Regierung in diesem Sinn interveniert und eben noch für seine Zeitung L'Humanité einen Artikel zur Friedensrettung verfasst. Nun wurde der leidenschaftliche Pazifist zum ersten Opfer des Krieges, den er wie kein anderer hatte verhindern wollen – auch mit den Waffen der Arbeiterschaft:

    "Wir fordern von Euch, die politische und parlamentarische Macht des Proletariats in den Dienst des Antimilitarismus zu stellen. Die parlamentarische Aktion allein genügt dem Proletariat dafür auf keinem Gebiet mehr. Es will diese Aktion mit seiner eigenen Tatkraft stärken. ... Das Proletariat will handelnde Person in seinem eigenen Drama sein. Wir verlangen also, zur Vernichtung des Krieges die Aktionsmittel einzusetzen, die sich der Arbeiter-Genius geschaffen hat."

    Mit diesen Forderungen war Jaurès bereits im August 1907 vor die Delegierten des Internationalen Sozialistenkongresses in Stuttgart getreten – und abgeblitzt, weil er unter den "Aktionsmitteln" zur Verhinderung des Krieges Aufstand und Generalstreik verstand. Die von der deutschen Sozialdemokratie beherrschte Zweite Internationale, die allseits anerkannte Organisation der internationalen Arbeiterbewegung, schauderte vor soviel Militanz zur Kriegsverhinderung zurück.

    Die Isolierung von Jaurès auf der Bühne der Sozialistischen Internationale hatte freilich noch andere Gründe. Der französische Reformsozialist, der seine politische Karriere als Linksrepublikaner begonnen hatte, ehe er zum Sozialismus fand, war ein entschiedener Befürworter von Koalitionen mit bürgerlichen Parteien, wenn solche Bündnisse der Stärkung der Demokratie und der Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft dienten. Die noch ganz marxistischen Prinzipien verhaftete deutsche Sozialdemokratie wie auch der gleichgepolte Flügel der französischen Sozialisten hingegen sahen in solchen Koalitionen einen ideologischen Sündenfall und bauten lieber auf Marxens Prophetenwort, dass die Zeit allein die Arbeiterschaft zum Sieg führen werde. Mit solchem Marxvertrauen ging Jaurès scharf ins Gericht:

    "Diejenigen unter unseren heutigen Sozialisten, welche immer noch von der 'unpersönlichen Diktatur des Proletariats' sprechen oder die sich die Übernahme der Herrschaft als einen Gewaltakt gegenüber der demokratischen Ordnung vorstellen, begehen einen Rückschritt in die Zeiten, in denen das Proletariat noch schwach war oder ihm die parteipolitischen Mittel zum
    Sieg fehlten."


    Den von Jaurès und anderen vorgezeichneten Weg der schrittweisen Erringung der Macht über Bündnisse mit bürgerlichen Parteien sollte die deutsche Sozialdemokratie erst nach dem Krieg einschlagen. Der am 3. September 1859 im südfranzösischen Castres geborene Politiker war freilich nicht nur in diesem Punkt Wegweiser. Er war es auch im Ringen um Frieden und Aussöhnung mit Deutschland zu einer Zeit, als Frankreich vom Revanchekrieg gegen den deutschen "Erbfeind" erfüllt war.