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Im Bann der Blutwurst

Simon Majumdar hat sich ein vergleichsweise bescheidenes Ziel gesetzt: Der Autor will sich in zwölf Monaten um den Globus essen. Ob Barbecue in Kapstadt oder Borschtsch in Moskau - Majumdar hetzt von Teller zu Grillspieß, von Vor- zu Mehlspeise.

Von Sacha Verna | 16.03.2010
    Es ist ganz erstaunlich, was man in Suppenschüsseln so alles findet. Neue Herausforderungen und Nervenkitzel. Die Liebe des Lebens, den Sinn des Lebens und sowieso: sich selber. Die Fülle kulinarischer Autobiografien vor allem auf dem amerikanischen und dem englischen Buchmarkt ist überwältigend. Ob "Ich, Du und unser Pizzaofen” oder "Mein Jahr mit der Lammterrine” - angesichts der ungebrochenen Beliebtheit dieser sogenannten "food memoirs” drängt sich die Frage auf, weshalb Autoren die Welt je anders als durch Röhrchennudeln und hauchdünne Wurstscheiben betrachtet haben.

    Die einen bleiben zu Hause und ernähren sich nur von dem, was auf ihrem Fensterbrett wächst. Die anderen verspeisen Madenkäse in Sardinien und Schlangenherzen in Hanoi. Von den Details solcher Erfahrungen, seien sie lokal, international oder surreal, scheint das Publikum nicht genug zu kriegen.

    Simon Majumdar hat sich ein vergleichsweise bescheidenes Ziel gesetzt. Er will sich in zwölf Monaten um den Globus essen. Majumdar ist einer der beiden "Hermanos” von "Dos Hermanos”, einem der populärsten britischen Food-Blogs. Als er sich zu seinem gastronautischen Abenteuer entschloss, hatte er seinen 40. Geburtstag gerade hinter sich und weitere Jahrzehnte als gut bezahlter, aber gelangweilter Verlagsangestellter in London vor sich. Eine Midlife-Krise? Ein bisschen. Doch "All You Can Eat”, das Buch, das daraus hervorgegangen ist, ist zum Glück keine Seelensuche mit Sashimi. Majumdar geht es wirklich ums Essen und nicht um sein Ego.

    Zweierlei gleich vornweg: Simon Majumdar hat nicht jedes Land dieser Erde besucht. In Papua Neuguinea war er nicht, aber dafür in Australien, und statt nach Kanada flog er nach Senegal. Außerdem hat Majumdar seine Destinationen keineswegs nach dem Motto "je weiter weg, desto besser” ausgewählt. Im Gegenteil. Seine Reise beginnt er auf der eigenen und der Nachbarinsel, und zwar unter dem Banner von Blutwurst, Schweinefleischpastete und Käse.

    Dass Majumdar es ausgerechnet auf diese drei Erzeugnisse abgesehen hat, erklärt er mit ihrem schlechtem Ruf. Den schlechten Ruf erklärt er mit der Massenproduktion, dem diese potenziellen Delikatessen seiner Ansicht nach zum Opfer gefallen sind. Also tritt er zur Ehrenrettung der Ur-Blutwurst aus der "Bury Black Pudding Company” an, deren Herstellung er in Nordengland verfolgt. In Melton Mowbray holt er die famosen "Mrs King's Pork Pies” höchstselbst aus dem Ofen. Und Käse – ach Käse: Wer Majumdars Hymne an den orangefarbenen "Milleen's” aus Cork und den "Cashel Blue” aus Tipperary in Irland gelesen hat, wird sich eines bloßen "Reblochon de Savoie” wegen nicht mehr nach Frankreich bemühen.

    Natürlich mag Simon Majumdar es authentisch am liebsten. Nach Möglichkeit hilft er auch beim Sammeln der Pfifferlinge, die gleich darauf für ihn in der Pfanne landen. Aber es geht auch anders. So fällt er der Königin der kreolischen Küche in New Orleans nicht damit auf die Nerven, dass er ihr in die Töpfe guckt bei der Zubereitung der frittierten grünen Tomaten mit Garnelenremoulade und der Bratente mit Pfirsichsoße. Ein traditionelles südafrikanisches Barbecue in Kapstadt genießt er in vollen Zügen, ohne beim Zerlegen der Rinder dabei gewesen zu sein. Er sagt einfach "lekker”, "lekker” mit zwei "k” und drei Ausrufezeichen, wie seine Gastgeber es ihn auf afrikaans gelehrt haben, und ist zufrieden.

    Zufrieden ist Majumdar mit dem Borschtsch von einem Straßenstand in Moskau und mit dem grünen Hühner-Curry in Bangkok. Eher kalt lassen ihn hingegen der Schafskopf, der ihm in Reykjavik serviert wird, sowie eine Kokos-Fisch-Kasserolle in Salvador de Bahia. Definitiv verzichten wird er in Zukunft auf Kabeljausperma, wie er es in Kioto glaubte probieren zu müssen, und auf Kamelfleisch, das in Casablanca auf jedem Menü steht.

    "If It's Tuesday, It Must Be Belgium”, "Wenn Dienstag ist, muss es Belgien sein”: So lautet der Titel eines Films über eine amerikanische Touristengruppe, die in 18 Tagen durch sieben Länder reist. Simon Majumdar erwähnt den Film an einer Stelle als abschreckendes Beispiel. Doch beschleicht den Leser je länger je mehr das Gefühl, in eben diesem Streifen mitzuspielen. Kebab? Istanbul. Tandoori-Huhn? Neu-Delhi. Dim Sum? Hongkong. Oder war es Dim Sim in Melbourne? Egal. Hauptsache, es wird abgehakt. Es ist nicht so, dass Majumdar einfach spachtelt, um gespachtelt zu haben.

    Im Gegenteil. Dieser Mann isst fürs Leben gern und ist deshalb als Autor nie besser, als wenn er die herbe Würze und das zart schmelzende Fett des Ibérico-Schinken beschreibt oder die köstliche Süße von in Butter gewälzten finnischen Frühkartoffeln. Nur überlädt er ganz einfach das Tablett. Majumdar hetzt von Teller zu Grillspieß, von Vorspeise zu Mehlspeise, von Kontinent zu Kontinent. Auf der Strecke bleibt dabei, was die Kombination reisen, essen und darüber berichten an sich so reizvoll macht. Nämlich die Kulturen und Bräuche, die man dabei kennenlernt, die Geschichten die man hört.

    Was hat es mit der "Pastilla”, dem fruchtig-fleischigen Nationalgericht Marokkos auf sich, das Majumdar in Marrakesch vor Wonne zum Schnurren bringt? Woher stammt das Rezept für die mit Thunfisch, Kapern und Eiern gefüllten Teigtaschen, die eine Tunesierin ihm in Palermo vorsetzt? Für solche Einzelheiten fehlt Simon Majumdar leider meistens die Zeit.

    Pflichtschuldig fügt er seinen Passagen über Vietnam, Indien oder China einige Bemerkungen über Umweltverschmutzung und Armut hinzu. Typisch ist am Ende eines Kapitels ein Satz wie: "Ich hatte köstliche selbstgemachte Speisen gegessen und viele neue Freunde gewonnen.”
    Nouvelle Cuisine wird heute gerne als Witz von gestern abgetan. Aber in diesem Fall hätte der Autor von einer Prise Porzellanplatte-mit-Karottenwürfelchen-Mentalität durchaus profitiert. Weniger wäre so viel mehr gewesen. Dabei ist Majumdar ein sympathischer und gewandter Erzähler. Er verfügt über jede Menge Selbstironie und ist der Erste, der den aufklärerischen Wert seines Unterfangens in Zweifel zieht. Letztlich jedoch enthält dieses Buch zu viele leere Kalorien und zu wenig Vitamine. Für Simon Majumdar empfiehlt sich nach "All You Can Eat” eine Diät. Der Leser sehnt sich danach.

    Simon Majumdar: All You Can Eat. Ein Gourmet reist um die Welt. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Ullstein Verlag, Berlin 2009. 350 Seiten, 16.90 Euro