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Im Blutrausch

263 Seiten pure Abschlachterei, Mord, Vergewaltigung und Totschlag, das ist der Debütroman "Sieben Tage" vom britischen Autoren Jonnny Glynn. Die Schilderung eines Psychopathen im Blutrausch wurde in Großbritannien zum Hit, jetzt gibt es ihn auch in deutscher Übersetzung.

Von Martin Grzimek | 15.05.2009
    Der britische Schauspieler und 35-jährige Autor Jonny Glynn hat mit seinem Debütroman "The seven days of Peter Crumb" im vergangenen Jahr in England einen Hit gelandet. Bei uns gibt es das Buch jetzt in einer hervorragenden Übersetzung von Hennig Ahrens unter dem weniger literarisch klingenden Kurztitel "Sieben Tage".

    Den Namen Peter Crumb hat man vielleicht unterdrückt, um keine Verwechslung mit Robert Crumb, dem amerikanischen Zeichner und Schöpfer der Comic-Undergroundfigur "Fritz the Cat" zu provozieren. Doch der perverse Charakter der Comicfigur ist dem Helden in Jonny Glynns Roman nicht unähnlich. Denn bei Peter Crumb handelt es sich um einen sexbesessenen, drogensüchtigen, völlig verwahrlosten Psychopaten, der in den letzten Tagen seines Lebens nur eines im Sinn hat: zu vergewaltigen, zu morden, abzuschlachten, zu zerstückeln und ein Blutbad nach dem anderen anzurichten.

    Seine abscheulichen Taten beschreibt er in einer tagebuchartigen "Beichte", zu Hause in seiner Küche oder im Auto auf irgendeinem Parkplatz. Er schildert seine Exzesse äußerst detailliert und nicht ohne Genuss, denn er ist, wie er sich nennt, ein "Hingucker", eigentlich ein Schriftsteller, denn um zu schreiben ist er aus seinem Angestelltenjob ausgestiegen.

    Nachdem er den bestialischen Mord an seiner fünfjährigen Tochter Emma mit ansehen musste, kann er dieses Trauma nicht bewältigen und wird selbst zu einem "Jack the Ripper". Er kann das dreckige, heruntergekommene Leben, das er selbst führt und um sich herum wahrnimmt, nicht mehr ertragen und will ihm ein Ende setzen. Vorher aber bringt er, um sich zu rächen und sich am Leiden anderer Menschen zu befriedigen, andere um.

    Zunächst ist das Opfer eine Verkäuferin in einem kleinen Laden. In einer Mülltonne, in der er herumgewühlt hat, findet er "beschmiert mit Barbecue-Ketchup und mitten zwischen abgelutschten Hähnchenflügeln einen großen stählernen Hammer mit Gummigriff und abgebrochener Klaue". Das ist sein Mordwerkzeug. Danach sucht er die Verkäuferin, eine "magere, kleine Bangaleschi" in ihrem Laden auf und fängt nach einem zynisch provozierenden Wortwechsel an, auf sie einzuschlagen.

    Ich schwang meinen Arm mit voller Kraft und versenkte den Hammer mitten in ihrem Gesicht, dicht über ihrem linken Auge. Ich schwang ihn mit Leidenschaft und mit Geschick und schlug ihn durch ihren Schädel, versenkte ihn in ihrem Gehirn - zermatschte es zu Pampe. Sie ging sofort zu Boden und lag dort, entstellt und verrenkt. Dickflüssiges, schwarzes Blut entströmte ihr. Ich sah eine knappe Minute zu, glaube ich. Sah einfach zu, wie sie in aller Stille starb. Das Sterben schien kein Ende nehmen zu wollen. Na, mach schon, dachte ich, stirb. Ich holte mit dem Hammer aus und ließ ihn ein zweites Mal auf ihr Gesicht niedersausen. Eigentlich unnötig. Es war ein Gnadenschlag, um sie aus ihrem Elend zu erlösen. Ihr Schädel zerbrach in zwei Teile. Ihre Haut war zerfetzt und ihr Gesicht zerstört, entstellt, verstümmelt. Ich stand einfach da betrachtete sie und dachte: Gut, damit hat sich die Sache. Da liegst du nun tot. Jetzt bist du tot, und damit hat sich die Sache.

    "Damit hat sich die Sache", und das mag als Zitat auch genügen. Denn alles Weitere an den nächsten sechs Tagen und auf den folgenden zweihundert Seiten sind Variationen des einzigen Themas, das Jonny Glynn in seinem Erstlingsroman zur Verfügung stellt, die exzessive Darstellung von destruktivem Selbsthass und blinder Zerstörungswut.

    Eine ekelerregende Szene jagt die nächste. Doch das Schlimmste an dem Roman ist, dass er so gut, so glatt, so gekonnt geschrieben ist. Um die zu befürchtende Langeweile zu unterbinden, die die Aneinanderreihung selbst schrecklichster Szenen erzeugen kann, erfindet Jonny Glynn für Peter Crumb einen streitbaren Partner, nämlich sein zweites Ich, sein Alter Ego. Das ist nun der böse Peter Crumb, der Übeltäter, womit zugleich genug dazu angedeutet sei, dass dieser Held natürlich schizophren, also gespalten ist, und schon haben wir einen guten und einen bösen Helden in einer Person.

    Der gute Peter Crumb hat natürlich eine Vergangenheit und auch schöne Erinnerungen, wodurch der Autor dem Ganzen zumindest andeutungsweise Geschichte und ein wenig Tiefe zu geben hofft, die aber bei der nächsten mordlüsternen, packend geschilderten Szene mit "ich schlug..., ich stach..., ich drehte das Messer im Bauch herum" schon wieder vergessen ist. Und wenn sich Peter Crumb am siebten und somit letzten Tag dieser Erschöpfungsgeschichte endlich umgebracht haben wird, schließen wir die Seiten eines Buches, das vor allem beim Weglegen noch einmal Staub aufwirbelt. Der legt sich dann nach einem Kopfschütteln, was man denn da alles für grässliche Filmbilder vor Augen geführt bekommen hat, wieder auf die Dinge des Alltags.

    Einer Menge Leute scheint jedoch dieser kurze Kick des Bizarren zu gefallen. Hervorgehoben wird, dass hier jemand noch radikaler, noch brutaler, noch rücksichtsloser Mord und Totschlag, Sadismus und die eigenen Körperflüssigkeiten bis zum Endloskotzen beschreibt als es Bret Easton Ellis "American Psycho" oder jüngst Charlotte Roche getan haben.

    Man glaubt es kaum, aber gelobt wird das Buch wegen seiner "Abscheulichkeitsdichte". Dieses Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Und weil dieser "Ekel"-Roman durch seine artifizielle Einseitigkeit und perfekt geschminkte Sensationskulisse irgendwann eine immense Leere erzeugt, gibt es in der Fangemeinde auch schon Hinweise darauf, mit welchen Soundtracks man ihn unterlegen sollte: Man höre also beim Lesen David Bowie "The Hearts Filthy Lesson" oder von The Cure "Desintegration" oder von Nine Inch Nails "The Downward Spiral".

    Also dann: Viel Spaß beim Hören - und vielleicht auch beim Lesen - von Jonny Glynns Roman "Sieben Tage". Aus dem Englischen übersetzt von Hennig Arens, erschienen im S. Fischer Verlag, Frankfurt, 263 Seiten pure Abschlachterei, Mord, Vergewaltigung und Totschlag, jede Menge Blut und sonstige über-flüssige Gedanken dazu für nur 18 Euro 90.

    Jonny Glynn: Sieben Tage
    Aus dem Englischen von Hennig Ahrens
    S. Fischer Verlag, Frankfurt 2008, 263 Seiten, 18,90 Euro