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Im Dickicht der Meldewege

Organisation.- Etwa 400.000 Meldungen von Infektionskrankheiten gab es im vergangen Jahr in der Bundesrepublik. Allein 420 Gesundheitsämter sind mit der Erfassung der Daten und ihrer Weiterleitung beschäftigt. Schnittstellenprobleme zwischen Laboren und Ämtern erschweren die Situation. Das soll nun anders werden.

Von Wolfgang Neuhaus | 03.07.2010
    Ärzte melden Infektionen gar nicht so häufig. In einem Berliner Stadtbezirk wie Charlottenburg-Wilmersdorf gehen vier Meldungen pro Jahr von Ärzten per Fax oder telefonisch ein. Für die meisten Meldungen sind die medizinischen Labore verantwortlich, die für Praxen und Krankenhäuser arbeiten. Die Labore benachrichtigen das zuständige Gesundheitsamt in der Regel per Fax und im Ausnahmefall elektronisch. Im Gesundheitsamt werden die eingegangenen Daten digitalisiert, anonymisiert und als bearbeitete Meldedaten an die Landesstellen übermittelt. Von dort aus ist die nächste Station das Robert-Koch-Institut, bei dem alle Daten aus der Bundesrepublik gesammelt und veröffentlicht werden.

    Von einer übergeordneten Ebene aus können so Krankheitsentwicklungen in der gesamten Bevölkerung verfolgt und ihre räumliche Verteilung studiert werden. Diese Daten können nicht mehr auf konkrete Patienten zurückverfolgt werden, da ist hierzulande der Datenschutz vor. Das gilt auch für Tierseuchen, die ebenfalls an anderer Stelle erfasst werden. Dazu Lothar Kreienbrock von der Tierärztlichen Hochschule Hannover:

    "Diese Datensätze sind aber natürlich vertraulich, sie enthalten individuelle personenbezogene Daten, und weil sie so vertraulich sind, dürfen wir sie so nicht publizieren. Und deswegen fasst man sie zusammen, das heißt, man sagt dann nicht mehr: Der einzelne Landwirt hatte einen Tierseuchenfall, sondern man sagt: in einem Landkreis oder in einem Bundesland gab es eine gewisse Anzahl von Fällen, mit gewissen Strukturen, dass vielleicht große oder kleine Betriebe mehr oder weniger häufig betroffen waren."

    Aber diese Meldedaten sind nichtsdestotrotz für wissenschaftliche Zwecke brauchbar. "SurfStat" ist eine Standard-Auswertungs-Software, die das Robert Koch- Institut zur Verfügung stellt und die viel gebraucht wird. Jeder, der im Internet ist, kann sie frei benutzen. Der Nutzer hat 50 meldepflichtige Erreger zur Auswahl, darunter Campylobacter oder Salmonellen. Nicht mehr als vierzehn Tage sollen idealerweise von der Diagnose bis zur Meldung beim Institut vergehen, weitere drei Wochen später werden die zusammengefassten Daten ins Netz gestellt. Experten können sich so schnell informieren und brauchen das Institut nicht mehr telefonisch oder anders zu kontaktieren. Tim Eckmanns ist Leiter der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut:

    "Das kann man wissenschaftlich benutzen. Und das können Journalisten benutzen. Also das ist, denke ich, sehr, sehr wichtig, dass da jeder freien Zugang zu hat und sich über die infektions-epidemiologische Lage – so würden wir das nennen – zu Salmonellen ein Bild machen kann."

    Mit dieser Software kann man einfache Auswertungen der Meldedaten anfertigen, beispielsweise wie viele Fälle von Salmonellen es in einem Jahr gegeben hat. Man kann bis auf die Kreisebene herunter sich anschauen, wie häufig solche Fälle geografisch auftauchen, ob mehr Frauen oder Männer betroffen sind, welches Alter die Betroffenen haben und anderes mehr. Das Programm erstellt auch Grafiken oder Tabellen. Dazu Lothar Kreienbrock:

    "Diese Art von Auswertung hat natürlich aber Grenzen, und sie hat insbesondere inhaltliche Grenzen, wenn wir besonders spezielle Fragestellungen haben oder besonders wenig Fälle haben. Zum Beispiel treten Campylobacter-Infektionen in Deutschland sehr häufig auf - mehr als 60.000 Fälle, die pro Jahr genannt werden. Dann kann man relativ detaillierte Auswertungen machen. Andererseits gibt es die Erkrankung mit Botulismus. Da hat man nur wenige Fälle, vielleicht fünf oder zehn. Und dann ist natürlich eine tiefgehende Auswertung nicht mehr möglich."

    Eine solche bakterielle Erkrankung hat klare Merkmale, die vom Meldesystem erfasst sind. Neben der sogenannten indikator-basierten Überwachung wird aber auch an neuen Methoden geforscht, um bislang unbekannte Epidemien schneller zu entdecken. Man kann etwas verpassen, wenn man nur nach bestimmten Anzeichen sucht. Möglicherweise können unbekannte Erreger auftauchen. Tim Eckmanns nennt als Beispiel die Lungenkrankheit SARS, die 2002 in China erkannt wurde:

    "Das würden wir mit einer indikatorbasierten Erfassung nicht mitbekommen, aber mit einer ereignisbasierten, wo man zum Beispiel ins Internet guckt und sagt, schreiben sich die Leute möglicherweise im Moment ganz viel E-Mails oder twittern sie, dass sie Symptome in der Lunge haben, dann würde man das über so´n System erfassen."

    Das EU-Projekt "M-Eco" - für Medical Ecosystem – befasst sich mit der Möglichkeit, das Internet, die ganze Kommunikationsvielfalt des Web 2.0 nach solchen Erscheinungen auszuwerten; das Robert-Koch-Institut ist an dem Projekt beteiligt. Diese Auswertungsprozesse sollen automatisiert ablaufen. Laut Eckmanns werden solche Systeme in Kanada schon eingesetzt. Noch kann niemand sagen, ob dieser Ansatz zu brauchbaren Ergebnissen führt. Aber die Experten sind sich einig, dass solche Techniken ausprobiert werden müssen, ehe man sie bewerten kann.

    "Die Hoffnung ist, dass man dadurch ein bisschen früher auf bestimmte Ereignisse aufmerksam wird, darum geht es ja immer."

    Links zum Thema:

    Nationale Forschungsplattform für Zoonosen

    Robert-Koch-Institut

    M-Eco