Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Im Grunde haben wir den ESM-Vertrag nicht verändert"

Die EU habe das Interesse, die Verflechtung von Staat und Banken zu verringern, sagt Ben Knapen. Der niederländische Europaminister ist zuversichtlich, dass Griechenland sich auch an die Abmachungen aus Brüssel halten werde, so der Christdemokrat.

Ben Knapen im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.07.2012
    Jasper Barenberg: Um den Teufelskreis zwischen angeschlagenen Banken und steigenden Staatsschulden zu durchbrechen, erhalten auch Banken künftig Zugriff auf Hilfsgelder aus dem europäischen Rettungsschirm - so ein Beschluss auf dem EU-Gipfel. Ein weiterer: Auch Krisenstaaten sollen Hilfe künftig einfacher bekommen. Halten sie sich an die Vorgaben aus dem europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, bleibt ihnen der Besuch der berüchtigten Spartroika wie in Griechenland erspart. Was bedeutet all das für das Prinzip "keine Solidarität ohne strikte Auflagen"? Mit diesem Grundsatz ist die Bundeskanzlerin auch dieses Mal nach Brüssel gereist. Meist konnte und kann sie sich in diesem Punkt auch auf die Unterstützung der Niederlande berufen. Deren Europaminister Ben Knapen ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen.

    Ben Knapen: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Minister, in Deutschland haben viele Beobachter ja den Eindruck, die Kanzlerin sei in Brüssel eingeknickt, sie habe zumindest große Zugeständnisse machen müssen. Haben wir bei dem letzten Gipfel die Zähmung der widerspenstigen Kanzlerin erlebt?

    Knapen: Eingeknickt war sie sicherlich nicht, weil ich habe sie morgens um halb sechs noch erlebt und da war sie voll wach. Also das kann ich einfach verneinen. Und abgesehen davon: Im Grunde haben wir den ESM-Vertrag nicht verändert. Wir haben eigentlich nur festgestellt, wenn es um die Anwendung vom EFSF oder vom ESM geht, dass wir die Regeln, so wie wir sie jetzt kennen, handhaben werden. Deshalb steht auch und bleibt der ESM-Vertrag unverändert.

    Barenberg: Es gibt keine neuen Instrumente, das ist es, was Sie unterstreichen, aber es gibt eine andere Anwendung der bestehenden Instrumente, denn für bestimmte Hilfsinstrumente werden die Bedingungen ja gelockert. Oder haben wir das alles falsch verstanden?

    Knapen: Wissen Sie, die Bedingungen, die sind ja immer davon abhängig, welche Anwendung man für die Mittel benutzt. In einer Notlage, wenn ein Staat sich meldet für den ESM oder für den EFSF, ist es schon was anderes als das, was wir letztes Jahr verabredet haben, für Möglichkeiten, um schon vorher, im Vorfeld, was man dann im Englischen precautionary credit lines nennt, also Kreditmöglichkeiten sicherzustellen in einer Situation, wo es keine Notlage gibt. Und abhängig von dem Ernst der Sache, haben wir auch damals festgestellt, muss gesehen werden, was für eine Art von Kontrolle und Kontrollmechanismus angewendet wird. In dem Sinne können also die Aufsichtsräte, der Aufsichtsrat des Notfonds kann abhängig davon, was gebraucht wird, auch beschließen, was notwendig ist.

    Barenberg: Und das verstehe ich richtig, damit ist die Tür geöffnet, dass möglicherweise, sollte ein neuer Hilfsantrag beispielsweise aus Spanien, beispielsweise aus Italien eintreffen, dass dann die Konditionen gelockert werden, dass die Auflagen nicht mehr so streng sein müssen, wie es vorher galt?

    Knapen: Nein, weil erstens hat man zu berücksichtigen, dass Bedingungen wichtig sind, weil es natürlich sonst Tor und Tür öffnen würde für eine leichtfertige Handhabung der Verträge, zweitens, weil wir natürlich auch darauf zu achten haben, dass Länder wie Portugal und Irland, die sich jetzt doch ziemlich erfolgreich mit diesen Maßnahmen auseinandersetzen, eine gleiche Behandlung bekommen. Aber es kann durchaus sein, dass solch ein Programm vielleicht weniger eingreifend ist, als das, was wir vorher gekannt haben, und das wäre zum Beispiel eine Möglichkeit, wenn wir darüber reden, zu sehen, wie wir die Verflechtung von Staat und Banken verringern können. Und wissen Sie, wir haben auch ein Interesse daran, wenn einer Bank geholfen wird, dass das nicht auf eine solche Art und Weise funktioniert, dass der Druck auf den Staat dermaßen wächst, dass der Staat dann nachher in Probleme kommt, die dann wieder gelöst werden müssen durch schwerere Maßnahmen, als wir vorher geplant hatten. Deshalb versuchen wir, eigentlich ein bisschen subtiler zu steuern als das, was wir vorher gekannt haben. Aber unbekannt laut Vertrag sind diese Möglichkeiten nicht.

    Barenberg: Und aus Ihrer Sicht sind die Brüsseler Beschlüsse insofern erfolgreich und keineswegs Zugeständnisse, gerade mit Blick auf Italien und Spanien?

    Knapen: Nein. Es ist der Versuch, die Bedingungen, die Kontrolle und die Bedürfnisse auf das richtige Maß zu schneiden. Und wissen Sie, es ist auch ein Problem, wenn ein Land, das zum Beispiel Probleme mit seiner Bank hat, zu lange wartet, um Hilfe anzurufen, womit die Sache eigentlich nur ernster wird und mehr negative Konsequenzen hat für die anderen Euroländer. Deshalb sind auch damals diese precautionary credit lines - ich versuche gerade, das deutsche Wort dafür zu finden -, aber sind dafür diese precautionary credit lines gerade entwickelt worden, um da eine Möglichkeit zu geben, etwas subtiler zu steuern, und mit einer subtileren Steuerung braucht man auch eine subtilere Kontrolle.

    Barenberg: Schauen wir am Ende unseres Gesprächs noch auf die Situation in Griechenland, dort wird sich die EU-Troika dieser Tage wieder ein Bild machen von den Verhältnissen, und einigermaßen klar scheint ja zu sein, dass dem Land jede Perspektive für den Weg aus der Krise derzeit fehlt. Nun gibt es in Deutschland immer wieder Stimmen, so auch heute, von Politikern, die fordern, dass man sich auf den Austritt Griechenlands aus der Eurozone einstellen müsste und dass das auch gar kein Schaden für die Eurozone sei. Würden Sie da widersprechen?

    Knapen: Also zunächst einmal passt das mir überhaupt nicht, zu spekulieren über derartige Möglichkeiten. Wie wir immer sagen, das passt auch zur Regierungsverantwortung: Technisch sind wir auf alles vorbereitet. Aber wir gehen bis heute davon aus, dass die Griechen die Abmachungen einhalten werden, und die haben auch eine Regierung gewählt, die gesagt hat, wir möchten am liebsten innerhalb des Euros bleiben und uns mit unseren Vertragspartnern so gut wie möglich verständigen. Also wir gehen davon aus, dass das funktionieren wird, und deshalb kann ich nicht darauf spekulieren, was sonst alles noch möglicherweise passieren könnte.

    Barenberg: Zum Schluss: Sind wir auf dem Weg zu den Vereinigten Staaten von Europa, wenn man bedenkt, was die vier Präsidenten, die EU-Spitzen, derzeit ausarbeiten, das alles in Richtung eines Masterplanes für die Zukunft Europas?

    Knapen: Also ganz ehrlich gesagt, wenn man die Vereinigten Staaten von Europa nennt, dann denkt man an die Parallele von den Vereinigten Staaten von Amerika, und die sehe ich überhaupt nicht. Dass die Verflechtung zwischen den Eurostaaten ein Ausmaß angenommen hat, was mehr Zusammenarbeit und mehr Gegenseitigkeit erfordert, als wir bis jetzt gemacht haben, davon bin ich überzeugt.

    Barenberg: Der Christdemokrat Ben Knapen, Europaminister der Niederlande. Herr Knapen, ganz herzlichen Dank für das Gespräch heute Morgen.

    Knapen: Vielen Dank, Herr Barenberg.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.