Dienstag, 23. April 2024

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Im Hass gegen Christen, Juden und Hindus

Für die Regierung des neuen pakistanischen Ministerpräsidenten Yousaf Raza Gilani soll die Bekämpfung des Terrors höchste Priorität genießen. Diese Kampfansage könnte auch Koranschulen betreffen, deren Anzahl sich unter Musharaff auf 70.000 erhöhte. Denn der Präsidentengeneral hatte es zugelassen, dass sich viele diese Schulen zu Kaderschmieden der Taliban entwickelten. Von Marc Thörner.

29.03.2008
    Buntbemalte Lastwagen gegen Motorrikschas, Taxis gegen Pferdetongas - auf Karachis Straßen herrscht ein Kampf ums Überleben. Wer heil die andere Straßenseite erreichen will, muss wie ein gehetzter Hase Haken schlagen können. Mitten im gnadenlosen Asphaltdschungel der Mega-Metropole plötzlich das:

    Hinter hohen Mauern eine Oase: Langgestreckte einstöckige Häuser mit Arkaden, angeordnet um einen Innenhof.

    "Die Unterrichtszeit ist beendet. Die Studenten kommen zurück. Sie unterscheiden sich von College- oder Universitätsstudenten. Die sind nach dem Unterricht völlig außer Rand und Band, die schreien, laufen und balgen sich herum. Sehen Sie sich an, wie unsere Studenten gehen. Allein ihr Gang ist schon respektgebietend. Als Muslime müssen wir uns stets bewusst sein, wie wir sein müssen, damit Allah uns liebt. "

    Die Madrassa Dar ul Uloom im Stadtviertel Banuri Town ist eine von zahlreichen privaten Koranhochschulen, wie es sie nicht nur in Pakistan gibt, sondern überall in der islamischen Welt.

    Iskandar Abderrazak hat schon als kleiner Junge begonnen und das ganze Curriculum durchlaufen. Jetzt ist er Rektor der Banuri Town Madrassa. Der etwa sechzigjährige Herr im weißen Shalvar-Khamis-Gewand, mit hennarot gefärbtem Bart wirkt auf den ersten Blick wie ein weltentrückter Theologe.

    Das ändert sich, sobald er anfängt, über den Dschihad zu reden. Ein Terminus, der seiner Meinung nach, im Westen völlig verzerrt dargestellt wird.

    "Sie kommen doch aus Deutschland. Wer könnte den Dschihad besser verstehen als Sie? Als Deutschland gegen den Rest der Welt kämpfte, fabrizierte die ganze Welt Anschuldigungen gegen Ihr Land. Und war das eine gute oder eine schlechte Propaganda? Genauso wie einst Deutschland, sind heute wir Muslime die Opfer einer falschen Propaganda."

    Äußerungen wie diese sind der Grund, weshalb Leute wie Syed Shams ed-Din vom pakistanischen Menschenrechtskomitee die Jugendlichen vor den Koranhochschulen warnen.

    "Nicht alle Medersen, aber viele von ihnen lehren Hass gegen Christen, Juden und Hindus. Sie predigen den Dschihad, den heiligen Krieg gegen die Minderheiten. Sie gründen ihre Lehren auf den Hass gegen alle, die eine andere Religion haben, die anders sind. Ja sogar gegen andere Interpretationen und Sekten des Islam wie etwa Schiiten. "

    Der Grund dafür wurzelt im 19. Jahrhundert, genauer: in der Auseinandersetzung mit den britischen Eroberern. Hinter den Mauern vieler Koranhochschulen wurde die Erinnerung an die zerstörte islamische Mogulherrschaft wachgehalten. 1866, wenige Jahre nach dem von Großbritannien blutig niedergeschlagenen Sepoyaufstand - dem letzten Versuch, das Muslimreich in Indien wieder herzustellen - gründeten zwei unbeugsame Korangelehrte die Deoband-Madrassa: Hort eines kämpferischen, rigoristischen Islam; eines Islam, der rückwärtsgewandt war und der die alte Größe neu heraufbeschwören wollte; eines Islam, der alle vom Modernismus inspirierten Islamreformen als Versuch abtat, mit den Kolonialherren gemeinsame Sache zu machen.

    Die Ableger der erzkonservativen Deoband-Madrassa fanden sich bald überall in Indien und im späteren Pakistan.

    Verstärkt wurde der religiöse Konservatismus noch in den 1980er Jahren. Um Jugendliche zum Kampf gegen die atheistischen Sowjets in Afghanistan anzustacheln, finanzierten Pakistan, Saudi Arabien und die USA Lehrmaterial, in dem der Dschihad, der heilige Krieg gegen Ungläubige als wichtigste Pflicht des Gläubigen dargestellt wurde.

    Zu den größten und am meisten politisierten Koranhochschulen gehört die Haqqania-Madrassa vor den Toren Peshawars in den Nordwestlichen Grenzprovinzen.

    Um diverse Innenhöfe, jeder von den Ausmaßen eines Fußballfeldes ziehen sich weißgetünchte Arkadenbauten. Im Parterre liegen die Unterrichtsräume, im ersten Stock die Zimmer der Studenten. In der Mehrzahl junge Männer zwischen 17 und 25 - wie Mohammed Khan, der aus den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze kommt.

    "Schade, dass ich mit niemandem Englisch sprechen kann. Ich habe zwar Englisch gelernt, aber ich kann die Sprache nirgends praktizieren, deshalb bin ich nicht besonders gut. Mir fehlt einfach die Praxis."

    Mohammed Khan gehört per definitionem zur Gruppe der Taliban - er ist Paschtune, Koranhochschüler, kommt aus den Stammesgebieten. Ansonsten entspricht er aber durchaus nicht dem Klischee vom kriegslüsternen Fanatiker. Eigentlich, so räumt er ein, hätte er gerne Sprachen studiert.
    Leider waren seine Eltern zu arm, um ihm die Ausbildung an einer Universität zu finanzieren.

    Auf den ersten Blick dreht sich in der Haqqania alles um Religion. Auf den zweiten Blick ist sie ein lukratives Familienunternehmen. Sämtliche Schlüsselstellungen sind mit Söhnen, Brüdern und anderen Verwandten des Direktors besetzt. Maulana Sami ul Haq, der diesen Posten wiederum von seinem Vater geerbt hat, fließen großzügige Spenden zu - und das nicht nur von Privatpersonen. In seiner Hochschule wurde Mitte der 90er Jahre ein Großteil der späteren afghanischen Taliban-Regierung ausgebildet. Mit Unterstützung der pakistanischen Regierung und der USA - die mit den erzkonservativen Koranschülern damals eine propakistanische und anti-iranische Ordnungsmacht in Kabul installieren wollten.
    Maulana Sami ul Haq:

    "Ich habe keine Ahnung, warum die USA die Taliban erst unterstützten und das Steuer dann herumwarfen. Aber eines weiß ich sicher: Dass die Taliban immer die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung genossen! Als sie an die Macht gelangten, hatte Afghanistan 20 Jahre Bürgerkrieg hinter sich. Sie waren es, die dem Land Frieden brachten! Sie haben sogar den Drogenhandel unter Kontrolle gebracht. Sie sollten für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen werden! Aber stattdessen bekämpft der Westen sie jetzt! "

    Zwar wird Präsident Musharraf nicht müde, von einer Registrierung und lückenlosen Überwachung der Koranhochschulen zu reden. Gleichzeitig hütet er sich aber vor einem Frontalangriff auf das religiöse Unterrichtssystem. Erstens entlasten die Medersen das brachliegende staatliche Bildungswesen. Zweitens stellt das religiöse Establishment die Macht des Präsidenten nicht in Frage. Jedenfalls solange der die Madrassa-Betreiber schalten und walten lässt. Madrassa-Chef Sami ul Haq wiederum, sonst in seinen Äußerungen nicht eben zimperlich, vermeidet es, die Staatsmacht unnötig zu provozieren.

    "Die Medersen sind bereits im wesentlichen registriert und dagegen haben wir durchaus nichts einzuwenden. Wir sind prinzipiell immer bereit, unsere Regierung zu unterstützen."

    Aus gutem Grund: So wie es sich der Präsident nicht leisten kann, die Religiösen zu verprellen, braucht auch Maulana Sami ul Haq die Mächtigen in Islamabad. Schließlich möchte er die florierende Haqqania-Madrassa noch gern an seinen Sohn vererben.