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Im Hause des Richters

Die Weltöffentlichkeit sah die Bilder wenige Stunden nach dem Tod des Diktators. Das staatliche Fernsehen des Irak dokumentierte, ohne Ton, was geschah, bis der Henker die Schlinge um den Hals von Saddam Hussein legte. Marc Thörner hat diese Stunden im Hause des Richters erlebt. Richter Munir al Haddad erzählt über die Gründe der Strafe, die Verbrechen der Baath-Diktatur und denkt über die Zukunft des Irak nach.

Eine Sendung von Marc Thörner | 29.12.2007
    29. Dezember 2006, 20 Uhr. Überall in der arabischen Welt beginnen Meldungen zu kursieren, die irakische Justiz habe das Todesurteil gegen Saddam Hussein endgültig bestätigt. Nichts als Gerüchte? Werden irakische Regierung und Justiz die unwägbaren Risiken in Kauf nehmen, die sich mit dem Tod Saddams verbinden? Noch dazu jetzt, kurz vor dem islamischen Opferfest?

    Richter Munir al Haddad lässt keine Zweifel offen. Er hat das Todesurteil gerade unterzeichnet - und er wird bei der Hinrichtung dabei sein.

    Der 43-Jährige sitzt nun im Wohnzimmer seiner Villa in Bagdads schwer gesicherter Grüner Zone, das spärliche Haar sorgfältig gekämmt, die Krawatte gelockert, das Jackett griffbereit auf dem Sofa. Jeden Augenblick, so sagt er, könne das Büro des Premierministers ihm Bescheid geben. Dann wird er sich ins Auto setzen und zum Vollstreckungsort fahren.

    "They told me before one hour: you must be ready. From the office of Prime Minister. Maybe this night or tomorrow, maybe."

    Im Haus des Mannes, der mit einem Federstrich das Schicksal des Exdiktators besiegelt hat, geht es geschäftig, wenn auch nicht besonders unruhig zu.
    Anlässlich der besonderen Situation rechnet man mit vielen Gästen. In der Küche wird fieberhaft gearbeitet. Haddads neunjährige Tochter hilft, geht zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her, stellt ein Tablett mit Teegläsern zwischen uns auf den Tisch, ehe sie auf einem Sessel in der Ecke des Raumes Platz nimmt, um zuzuhören.

    Das Handy des Richters klingelt immer wieder. Viele rufen ihn jetzt an und fragen, ob sie ihn vielleicht zur Hinrichtung begleiten können. Haddad lehnt das mit müdem Lächeln ab. Abgesehen, davon, dass so etwas rechtlich nicht möglich ist - er würde gern mit allen tauschen, die in dieser Nacht zu Hause bleiben können.

    "Ich wünschte, mein Chef hätte mir gesagt: Bleiben Sie heute Nacht zu Hause und schlafen Sie bei Ihrer Familie. Ich meine, wenn man wirklich etwas Schönes sehen will, dann sieht man sich nicht an wie Saddam hängt. Ich würde mir lieber Mireille Mathieu ansehen. Oder einen Film mit Alain Delon. Oder mit Brigitte Bardot. Oder Gina Lollobrigida. Ich bin alles andere als froh, dass ich gleich los muss, nur damit ich Saddam Hussein hängen sehe. Das ist kein schöner Anblick, sondern ein sehr übler. Scheußlich. Ich hasse es. Aber es ist mein Job."

    Auch in Dudschail, einer Kleinstadt nördlich von Bagdad, dürfte die Spannung zu dieser Stunde steigen. Dudschail – der Name steht in Saddams Todesurteil. Dudschail: Hier hatte der Exdiktator 1982 nach einem angeblichen Attentatsversuch auf ihn mehrere Hundert Schiiten verschleppen und ermorden lassen.

    Colonel Adnan Wadih ist dort Leiter des Sicherheitszentrums, das irakische Polizei und US-Armee gemeinsam betreiben. Niemand könne wissen, so hatte der Sicherheitschef vor ein paar Tagen gesagt, was im Falle einer Hinrichtung Saddams über den Ort hereinbrechen werde.

    "Unsere Gegend ist eine Schiitengegend, eine schiitische Enklave mitten im sunnitischen Gebiet. Seit der Prozess gegen Saddam begonnen hat, gibt es Probleme mit dem sunnitischen Gouverneur. Die Provinzregierung hat uns immer wieder wissen lassen, dass die Einwohner Dudschails ihre Anzeigen gegen Saddam Hussein zurückziehen sollten. Tut ihr das, so hat man uns dort versprochen, dann wird euere Stadt davon profitieren. (/) Darauf sind wir nicht eingegangen und deshalb hat die Provinzverwaltung Dudschail von der Nahrungsmittelzufuhr abgeschnitten, volle sieben Monate lang. Das gleiche gilt für die Benzinzufuhr. Das war für uns ein harter Winter. Drei Monate ohne Benzin."

    "Ich saß Saddam während des Prozesses gegenüber. Immer, wenn ich ihm in die
    Augen sah, blickte er zu Boden. Er wusste, dass er schuldig war. (/) Er wusste genau, welche Sonderbehandlung er meiner Familie gegeben hatte."

    Hier in Dudschail lebt auch der bei den Saddam-Anhängern meistgehasste Mann: Hadschi Ali Haydari. Einer der Hauptbelastungszeugen gegen Saddam Hussein. Seiner Aussage ist es vor allem zuzuschreiben, dass Saddam bereits in erster Instanz zum Tode verurteil wurde.

    "Am 8. Juli 1982 kam Saddam Hussein auf Besuch in unsere Stadt. Die Regierung behauptete, es habe dabei den Versuch gegeben, Saddam zu ermorden.
    Attentatsversuch auf den Präsidenten der Republik lautete der Vorwurf. Sämtliche Familien, bei denen niemand zur Baath-Partei gehörte, wurden unverzüglich festgenommen. Einen Tag nach dem angeblichen Attentatsversuch, wurde auch meine Familie zum Gefängnis transportiert, alle 45 Familienmitglieder, selbst mein Vater, der 78 Jahre alt war. Außerdem meine Neffen, Brüder, und ihre schwangeren Frauen, die ihre Kinder dann im Gefängnis zur Welt brachten. Alle Neugeborenen starben, weil es keine Nahrung für sie gab und weil ihre Mütter sie nicht stillen konnten. Die Mütter waren mit Elektroschocks gefoltert, an den Händen aufgehängt und mit Stöcken geschlagen worden.

    Damals war ich 14 Jahre alt und ich wurde auch gefoltert. Die jüngeren aus der Familie wurden in Isolationshaft gehalten und bekamen immer wieder Schläge auf die Fersen. Meine Brüder wurden getötet. Erst brach man ihnen noch die Schultern. Und dann wurden sie in Öfen gesteckt, so, dass nur noch ihr Köpfe noch hervorguckten."

    Wie Saddam Hussein mit Regierungsgegnern umging, weiß auch Richter Munir al Haddad. Unter dem Saddam-Regime gehörte seine Volksgruppe zu den Verlierern.

    "Ich bin Kurde und Schiit. Ich stamme aus Nasseria im Süden des Irak. Als Saddam im Amt war, war ich bitter arm. Ich brauchte Geld. Deshalb bin ich in die Golfemirate ausgewandert. Für meine Arbeit als Richter im Saddam-Prozess habe ich dann später eine Zusatzausbildung erhalten, in England, Italien und Holland. Mit amerikanischen Lehrern."

    War Saddams Richter ein Regimegegner? Hat er den Irak wirklich nur aus finanziellen Gründen verlassen? Kann man ihm nicht Befangenheit vorhalten? Haddad winkt ab. Egal wer über den Ex-Staatschef zu urteilen habe – letztlich seien die Gesetze ausschlaggebend.

    "Für Saddam gab es keine Chance. Ich hasse die Todesstrafe, ich hasse sie wirklich. Aber angesichts dieser Verbrechen habe ich ja gesagt. Ich habe sein Todesurteil unterschrieben. Der vielen Opfer wegen. 148 Morde in Dudschail. Und 180 000 bei der Anfal-Offensive gegen die Kurden. Das ist das Problem. Saddam Hussein ist wie Hitler."

    Saddam Hussein – ein arabischer Hitler? Zu den Hoch-Zeiten seines Regimes hatten sich die meisten öffentlichen Urteile über Saddam und seine allmächtige Baath-Partei ganz anders angehört.

    "Emanzipation der Frau, Beseitigung des Analphabetentums, Zerschlagung des Großgrundbesitzes, der politischen Macht des Großgrundbesitzes, Verteilung von Agrarreformland auf 300 000 Familien. Und, und, und..."

    Aziz Alkazaz, gebürtiger Iraker, war am Deutschen Orient Institut Jahre lang für den Irak zuständig. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes verfasste zur Saddam-Zeit dort Gutachten über das irakische System.

    Zitat Aziz Alkazaz:

    "Die Baath-Partei identifiziert sich mit den sozialen Werten, die in den Glanzzeiten der islamischen Geschichte herrschten…"

    ...referierte der Irak-Spezialist in einer von der Stiftung Volkswagenwerk bezahlten Analyse den Kurs der Baath-Partei...

    "So wie der Islam damals die Araber aus dem Zustand der Zerrissenheit und Rückständigkeit herausgelöst und ihnen die Möglichkeit der Selbstverwirklichung und der Entwicklung einer schöpferischen Gesellschaft gegeben habe, so wolle der Baath heute eine ähnliche Revolution durchführen und den Aufbau einer befreiten, einheitlichen und sozialistischen Gesellschaft ermöglichen."

    "Mit höchster Priorität Anstreben einer arabischen Einheit, dann die bekannte Trinität: Einheit, Sozialismus Freiheit. Freiheit vom ausländischen Einfluss, von ausländischer Dominanz, aber auch Freiheit von sozialen Krankheiten. Und Sozialismus nicht im Sinne von sowjetischem Sozialismus oder chinesischem Sozialismus, sondern bodenständiger Sozialismus. Das ist ganz kurz gesagt, die Grundidee dieses so genannten Baath-Sozialismus."

    Lange Zeit klang diese Analyse auch plausibel. Besonders Ende der 70er Jahre. Nachdem die iranischen Mullahs das Schah-Regime hinweggefegt hatten, waren Europäer und US-Amerikaner auf der Suche nach verlässlichen und vor allem: säkularen Verbündeten, die verhinderten, das sich die islamische Revolution noch weiter ausbreitete. Saddam Hussein bot sich als Verbündeter an. Als Frontstaat gegen den Iran erhielt sein Land massive Waffenlieferungen aus den USA und aus Europa.

    Wenig opportun und ziemlich akademisch schien es vor diesem Hintergrund, die Quellen der Baath-Ideologie im Original zu lesen. Zum Beispiel die Ideen von Michel Aflaq und Sati Husri, die in den 1940er Jahren den Baathismus entwickelten. 2004 hat der Soziologe Ian Buruma deren Schriften analysiert.

    Zitat Buruma:

    "Die Ideale der Baath, die arabische Welt zu einer organischen Gemeinschaft zu vereinen..."

    ... fasst er zusammen....

    "...gingen unmittelbar auf pan-germanische Theorien zurück, die in den 1920er Jahren in faschistischen Kreisen in Wien und Berlin kursierten. Der Baath-Gründer Sati Husri träumte von einer arabischen `Volksgemeinschaft`, die durch militärische Disziplin zusammengehalten wurde. Eifrig studierte er deutsche Romantiker wie Fichte und Herder, die der französischen Aufklärung die Vorstellung von einer organischen, ‚völkischen’ Nation entgegengesetzt hatten, die in Blut und Boden wurzelte."

    Tatsächlich gab es einiges, was schon in den 70er und 80er Jahren hätte stutzig machen können: Die Bekämpfung der schiitischen Glaubensrichtung als "unarabisches Sektierertum"; die schwülstige Kraftsprache und das militärische Auftreten der Baath-Führung; die Rechtfertigung von Angriffskriegen; und – je mehr der brutale Aufsteiger Saddam Hussein das System dominierte – die rücksichtslose und massenhafte Liquidierung nicht nur von Regimegegnern, sondern auch von solchen Menschen, die Saddam lediglich als Risikofaktoren einstufte.

    Das Resultat bestand am Ende wirklich in einer Mischung aus Blut und Boden – wenn auch anders, als von den Vordenkern des Baath-Regime geplant.
    Auf seinem Acker bei Hilla, südlich von Bagdad, beobachtete der Bauer Sayed Abdallah 1991 Massenexekutionen. Nach dem Sturz Saddams führte er die Vertreter der neuen Regierung an die gleiche Stelle:

    "3.102 Leichen wurden auf meinem Land bisher gefunden. Alle, die hier liegen, sind Soldaten, die meisten stammen aus der Gegend von Hilla, aber auch aus anderen Provinzen. Nach dem verlorenen Krieg von 1991 waren sie in einem langen Fußmarsch aus Kuwait zurückgekehrt. Als sie ankamen, wurden sie einer nach dem anderen erschossen, weil sie sich angeblich an dem Schiitenaufstand gegen das Regime beteiligt hatten. Wenn Leute kommen, die seit Jahren ihre Angehörigen vermissen, suchen sie in den Plastiksäcken nach Kleidungsstücken der Verschwundenen. Das ist die einzige Möglichkeit, jemanden zu identifizieren."

    Eine alte Frau ist schon seit dem frühen Morgen dabei, einen nach dem anderen auszuschütten:

    "Ich suche nach den Kleidungsstücken meiner beiden Söhne. Beide waren Soldaten. Seit mehr als zehn Jahren sind sie verschwunden. Man hat die Zwei beschuldigt, 1991 an der schiitischen Revolte gegen Saddam Hussein teilgenommen zu haben. Sie wurden zusammen auf einem Lastwagen weggebracht. Seit mehr als zehn Jahren habe ich nichts von ihnen gehört. Jemand hat mir gesagt, dass ich hier vielleicht Spuren von ihnen finde."

    Aziz Alkazaz:

    "Man hat das geahnt, man hat das nicht gesehen, man hat das gehört. Man konnte nicht überall das hören, aber man konnte - wenn man mit betroffenen Familien gesprochen hat, hörte man von kriminellen Praktiken. Wir haben das innerhalb der Iraqi Community hier immer wieder diskutiert, wenn wir da waren ja auch. Nur wir haben das nicht in den deutschen Medien gemacht oder in den westlichen Medien gemacht, insbesondere in der Zeit wo der Krieg wirklich vorbereitet wurde und diese Kritik dann instrumentalisiert wurde als Deckmantel für den Krieg. Nicht draußen das machen, um einem geplanten Krieg den Cover zu geben."

    Noch immer ist das Thema der Massentötungen unter Saddam in der arabischen Welt weitgehend unerwünscht. In den meisten arabischen Medien werden Saddams Verbrechen von denen seiner Gegner überlagert. Viele sehen den Expräsidenten bis heute nicht als einen Täter, sondern als ein Opfer. Die Gerichtsverhandlung gegen ihn gilt weitgehend als Farce. Als ein Prozess im Schatten der US-amerikanischen Panzer. Aziz Alkazaz:

    "Wenn ich spreche von Siegerjustiz, dann meine ich nur, dass die Sieger ihre eigenen Verbrechen ausklammern. Oder wie nennen Sie das, wenn 13 Jahre Embargo im Irak ist und eine, fünf oder – sechs Millionen Menschen dem zum Opfer gefallen sind. Das waren die eigentlichen Massenvernichtungsmittel im Irak. Wer redet denn davon? War das nicht Mord?"

    Bei Richter Munir al Haddad klingelt noch immer das Telefon alle paar Minuten. Doch der entscheidende Anruf ist noch nicht gekommen. Morgen, darüber ist sich Haddad im klaren, wird für ihn nichts mehr so sein wie zuvor. Nicht unwahrscheinlich, dass er mit seiner Unterschrift unter Saddams Todesurteil gleichzeitig sein eigenes unterzeichnet hat. Wie geht er mit der eigenen Gefährdung um? Wie fühlt er sich als wandelndes Ziel?

    "Ich fühle gar nichts. Ich bin Richter. Das ist mein Job. Wir haben ein Gesetz in diesem Land. Das ist unser Gesetz. Das ist die Entscheidung unseres Gerichts. Die endgültige Entscheidung. Sie lautet darauf, dass Saddam Hussein schuldig ist."

    Munir al Haddad:

    "I will go in any time. In any time I will go." (Telefon klingelt) " I’m sorry."

    Zeit zu gehen. Haddad greift sein Jackett und verabschiedet sich formvollendet.

    Wächter:

    "Saddam finished! Enough. Saddam no good. Beautiful! Finished! Enough! Thank you, thank you Sir, thank you!"

    Bagdad, 30. Dezember 2006, kurz vor Mitternacht...

    O-Ton, Autorenstimme:

    "Wir befinden uns jetzt auf dem Flughafen der Grünen Zone., Es ist der Helikopterstützpunkt. Gerade eben ist hier ein irakischer Polizeiwagen, ein Pickup, vorgefahren. Auf diesem Polizeipickup lag ein sehr schlichter Sarg aus hellem Holz. Saddam Hussein ist heute in den frühen Morgenstunden in Bagdad hingerichtet worden. Es gab den ganzen Tag über Meldungen, dass er in Tikrit beerdigt werden soll und zwar spätestens 24 Stunden nach seiner Hinrichtung. Es gab weitere Meldungen, dass die Stammeschefs von Tikrit die irakische Regierung gebeten haben, ihnen die Leiche von Saddam Hussein zu übergeben, um ihn in seiner Heimtastadt Tikrit zu begraben."

    Unter der Hand kursiert bei den GI am Rand des Flugfelds die Information: bei dem Toten auf dem Polizeifahrzeug handele es sich um Saddam Hussein. In der Wartebaracke konferieren zwei gut gekleidete irakische Zivilisten mit einer Gruppe hoher US-Militärs. Daneben sitzt Sergeant Craig, ein Mitarbeiter der Armee-Pressestelle. Kann er die Information bestätigen?

    O-Ton, Autorenstimme:

    "Sergeant Craig, it’s right that Saddam Hussein was in this coffin? - Sergeant Craig, stimmt es, dass Saddam Hussein in dem Sarg war?"


    Sergeant Craig:

    "Ahhh....you get me... oh man! Let me make a phone call…Ohhhh…"

    O-Ton, Autorstimme:

    "Der Polizeipickup ist soeben zu einem Hubschrauber gefahren. Es handelt sich um amerikanische Blackhawk Kampf- und Transporthubschrauber. Der Sarg wurde in einen Hubschrauber verladen. Im Augenblick wartet der Hubschrauber, dass er abheben kann. Der Sarg befindet sich jetzt also noch im Hubschrauber und der Hubschrauber ist noch nicht gestartet."

    Sergeant Craig:

    "I don’t know. That’s a ‘Government- of-Iraq-Issue' - Wir können das weder bestätigen, noch dementieren. Das betrifft hundertprozentig die irakische Regierung, ganz allein deren Rechtssystem... ja: Ich hab ’nen Sarg gesehen. Keine Ahnung, wer da drin lag. Ich steh hier bloß am Flugfeld - und da hinten steht ein Laster."

    O-Ton, Autorenstimme, Rotorengeräusch:

    "Die Rotorblätter des Hubschraubers drehen sich. Der Hubschrauber ist gerade dabei, das Flugfeld am Rande der Grünen Zone zu verlassen, der Hubschrauber wird jetzt gleich abheben und Richtung Tikrit losfliegen."

    Nachdem die beiden Blackhawks abgehoben haben, schwebt prompt der nächste Helikopter ein, Der planmäßige Flug nach Tikrit.

    Und dort gibt es anderntags die nächste Überraschung. In der Kantine der US-Militärbasis Camp Speicher sitzen alle die, die gestern nacht in der Wartebaracke saßen. Die US-Offiziere und die zwei Iraker in zivil: Es sind Hamid Shekti, der Gouverneur der Salah-ed-Din-Proviz und sein Polizeichef. Und wer war der im Sarg?

    Gouverneur Hamid Hamud Shekti:

    "Er war immerhin mal 35 Jahre lang unser Präsident, wir mussten unsere Pflicht tun. Wir waren es ihm schuldig, ihn zu beerdigen und die Trauerfeier in Tikrit zu organisieren. Schließlich ist Saddam Hussein ja in Tikrit geboren. Die Amerikaner haben sich wirklich große Mühe gegeben, uns beim Transport von Saddams Sarg zu helfen."

    Das mit dem Sarg? - Keine Ursache, wehrt Lieutenant Colonel Harris ab, der Kommandeur, der im Raum Tikrit stationierten Task Force Panther. Das sei doch selbstverständlich. Man habe einfach ein paar guten Kumpeln einen Freundschaftsdienst erwiesen.

    Lt. Col Harris:

    "Gouverneur Shekti, Herr Abu Mahsen und Polizeigeneral Hamid spielen seit langem in der Zusammenarbeit mit uns die Vorreiterrolle, gemeinsam haben wir schon ein paar gute Dinge auf die Beine gestellt!"

    Die US-Armee entwendet den Sarg ihres Erzfeinds der Regierung in Bagdad und überstellt ihn Saddams Stamm in Tikrit? Hat sich die Strategie um 180 Grad gedreht? Lieutenant Colonel Harris, Kommandeur der im Raum Tikrit stationierten Task Force Panther erklärt einen Tag später die Motive des Transports.

    Lt. Col Harris:

    "Was ist das Ziel eines Aufstandes? Antwort: Das Ziel besteht darin, eine amtierende Regierung loszuwerden, also den Status Quo im Land zu verändern. Diejenigen, die das betreiben, sind in der Regel Wenige: eine kleine Gruppe von Leuten. Um ihr Ziel zu erreichen, müssen sie die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen. Oder Druck ausüben, der mindestens so stark sein muss, dass eine schweigende Mehrheit sie passiv gewähren lässt. Unser Schlüssel zum Erfolg heißt daher: Die Herzen und Köpfe dieser Menschen für uns zu gewinnen."
    Es gehe darum, so Kommandeur Harris, mit Hilfe solcher Goodwill-Aktionen die sunnitischen Stämme von der al Kaida weg und auf die Seite der Koalition zu bringen.

    Beidschi, unweit Tikrit, lokales Zentrum von Saddams al Bin-Nasr-Stamm. 3. Januar 2007. Vier Tage nach Saddams Exekution. Um nach der "Goodwill-Aktion" das Gespräch mit Saddam Husseins Familie aufzunehmen und die Herzen und Köpfe der Sunnitenstämme zu gewinnen, schickt Lieutenant Colonel Harris einen Offizier los.
    Umgeben von zwei Dutzend GI’s, bahnt sich Captain Peterman seinen Weg durch die Trauerkundgebungen zu Ehren von Saddam.

    Der Offizier für Zivilangelegenheiten steuert das Haus von Scheich Ziyad an, einem Cousin Saddam Husseins.

    Scheich Ziyad, ein Schnurrbartträger Anfang 50, ähnelt seinem toten Cousin Saddam Hussein auffallend. Zu einem braunen, goldgesäumten Dischdascha-Gewand trägt der lokale Führer der Bin Nasr die rotweißgemusterte Keffieh-Kopfbedeckung der Sunnitenstämme. Mit einer weltmännischen Armbewegung fordert er den Captain, dessen Dolmetscher und einen Sergeant auf, in die Madschlis zu treten, den traditionellen Wohnraum. Polster ziehen sich entlang der Wände. Kleine Teetsichchen stehen davor.

    Peterman reißt den Klettverschluss seiner Schutzweste auf und setzt sich.
    Drei andere Verwandte Saddams, Männer zwischen 20 und 30, setzen sich dazu.
    Captain Peterman und Scheich Ziyad scheinen sich seit langem zu kennen.

    Cpt Peterman:

    "I missed you, I missed you so much." - Hattest du schon Zeit nach Udscha zu fahren? Ich bin sicher, dass du fahren willst, um Saddams Grab zu sehen."

    Scheich Ziyad:

    "Ich habe mit den anderen Stammeschefs vereinbart, dass wir morgen oder übermorgen fahren."

    Cpt Peterman:

    "Ich bin heute gekommen, um deinen Schmerz mit dir zu teilen. Ich habe extra bis heute gewartet, bis zum dritten Tag nach Saddams Tod, um dir zum Trauern etwas Zeit zu geben, ich dachte mir, vielleicht bist du heute eher zum Sprechen aufgelegt. Deine Trauer ist meine Trauer. Auch wenn Saddam nicht in Einklang mit den Amerikanern gelebt hat."

    Scheich Ziyad:

    "Aber ohne die Unterstützung der US-Regierung hätte die irakische Regierung Saddam niemals hängen lassen können."

    Cpt Peterman:

    "I understand you feelings."

    "Ich spreche offen mit dir, Mr Peterman: Es war unnötig, die Lage derart zu verschärfen. All diese Kurden und Schiiten haben die Amerikaner überredet, Saddam töten zu lassen. Und das während des Opferfestes. Es ist verboten, während des Opferfestes jemanden hinzurichten, Mr. Peterman!"
    Und dann formuliert Scheich Ziyad seine Sicht der Dinge: Was geschehen ist, ist geschehen. Für den Tod Saddams ist in erster Linie die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad verantwortlich. Unterstützt werden die schiitischen Parteien vom Iran. Also haben US-Armee und Saddams Stamm einen gemeinsamen Gegner.

    "Ich sage dir, Mr. Peterman: nur die leeren Hüllen der irakischen Schiitenpolitiker sind hier im Irak. Aber ihre Herzen und Köpfe sind im Iran. Und auch das habe ich dir schon gesagt: Unter unserem Herrn Präsidenten Saddam Hussein gab es all die Probleme nicht, die wir heute im Irak haben. Deshalb müssen wir gemeinsam die Baath-Partei wieder an die Macht zurückbringen. Denn die Baath-Partei war schon immer gegen Fundamentalisten und gegen die al Kaida."

    Auf dieses Feindbild können sich die beiden Seiten einigen. Captain Peterman schließt im Auftrag der US-Armee einen Deal: Die US-Armee wird dem Stamm Saddam Hussein Mittel für Infrastruktur zukommen lassen. Sie wird den al Bin-Nasr erlauben, Waffen zu tragen. Als Gegenleistung erhofft sie sich Zusammenarbeit im Kampf gegen die al Kaida.

    Dudschail, acht Tage nach der Hinrichtung Saddams. Die neue Allianz zwischen der US-Armee und den Sunnitensträmmen macht den Einwohnern der schiitischen Enklave schwer zu schaffen.

    Col. Adnan Wadih:

    "Damals wie heute ist es dasselbe. Die Regierenden möchten unsere Stadt kaputtmachen, weil sie eine schiitische Stadt inmitten eines sunnitischen Territoriums ist."

    Dudschail zerstören, das schaffe die Provinzregierung Dudschail zwar nicht. Aber, so meint Colonel Wadih, für ihre Rolle bei den Saddam-Prozessen wolle der sunnitische Gouverneur die Menschen aus der Stadt bestrafen. Wenn nicht direkt, dann dadurch, dass er den Einwohnern nicht helfe.

    "Jeder Einzelne, der von hier in Richtung Bagdad fahren möchte, wird in den Sunnitengemeinden südlich der Stadt getötet. Oder wenn er die andere Richtung nach Tikrit einschlägt, wird er dort in der Sunnitengegend abgefangen und massakriert. Es ist nicht einfach, die Stadt überhaupt zu verlassen. Deshalb steigen die Preise sämtlicher Waren an. Keine Lieferungen kommen hinein. Die Menschen in Dudschail leiden noch immer."