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Im Inneren des Iran

Christiane Hoffmann lebte von 1999 bis 2004 als einzige deutsche Journalistin im Iran. In ihrem Erfahrungsbericht "Hinter den Schleiern Irans" zeigt sie uns den Iran von innen, mit allen richtigen und falschen Vorurteilen gegen ihn und der ganz einfachen Realität.

Christiane Hoffmann im Gespräch mit Shirin Sojitrawalla | 21.08.2008
    Shirin Sojitrawalla: Was ist denn Ihrer Meinung nach das größte Missverständnis im Verhältnis des Westens zu Iran, Christiane Hoffmann?

    Christiane Hoffmann: Ich glaube, es gibt überhaupt ein Missverständnis des Westens nicht nur im Umgang mit Iran, sondern auch mit anderen sich entwickelnden Ländern wie China, zum Teil auch mit Rußland. Und das ist, dass wir immer glauben, die Menschen dort wollten so sein wie wir, sie möchten denselben Weg der Entwicklung oder Modernisierung gehen, wie wir das im Westen getan haben. Mein Eindruck in Iran war sehr stark, dass die Iraner eigentlich nicht so sein wollen wie wir, selbst dann, wenn sie unzufrieden sind mit dem Regime und sich eigentlich eine andere politische Ordnung wünschen, wollen sie doch nicht den westlichen modernen Weg einfach so nachvollziehen, weil sie eben auch die Nachteile sehen. Sie sind sehr stark auf der Suche nach einem eigenen Weg.

    Sojitrawalla: Und können Sie sagen, wie die Iraner denn sein möchten?
    Hoffmann: Ein Freund von mir hat mal gesagt, das größte Missverständnis des Westens gegenüber Iran sei, dass wir immer glaubten, die Iraner wollten Freiheit, obwohl sie tatsächlich Unabhängigkeit wollten. Und er hat Unabhängigkeit vom Westen gemeint, nicht so sehr individuelle Freiheit in unserem Sinne, sondern eher eine Entwicklung, die frei ist von der Dominanz des Westens. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiges Thema über die verschiedenen politischen Lager hinweg. Es ist so etwas wie die Sehnsucht nach einer guten Moderne, die Elemente von Tradition bewahren möchte.

    Sojitrawalla: Besteht denn Ihrer Meinung nach überhaupt die realistische Möglichkeit, dass sich in Iran Wesentliches ändert?

    Hoffmann: In diesen Jahren, in denen ich dort gelebt habe, hatte ich immer die Erwartung, es müsse sich eigentlich unmittelbar etwas ändern. Es kann gar nicht so weitergehen, denn es ist ja eine solche Spannung in dieser sehr jungen Gesellschaft, wo 70 Prozent der Menschen jünger als 25 Jahre alt sind, viele von ihnen arbeitslos. Wir mit unserem westlichen Denken, das Widersprüche ausschließt und glaubt, dass sich Widersprüche auflösen müssen, denken, es könne gar nicht so weitergehen. Es hat sich aber doch nichts Wesentliches geändert in der Zeit, in der ich dagewesen bin, jedenfalls was das politische System angeht. Ich sehe jetzt auch nicht unmittelbar, sehr große Veränderungen, die von Innen kommen würden, denn alle oppositionellen Kräfte sind sehr stark unterdrückt. Es gibt keine massive gesellschaftliche Bewegung und das hat auch sehr viel mit dem Druck zu tun, der von Außen kommt.

    Sojitrawalla: Sie haben gerade schon den Druck von Außen auf Iran angesprochen. Jetzt haben gerade die Vereinte Nationen abermals Sanktionen gegen Iran verhängt. Ist das hilfreich?

    Hoffmann: Es gibt jetzt schon eine Reihe von Sanktionsrunden, die überhaupt nichts bewirkt haben, und ich glaube nicht, dass es in diesem Fall viel bewirken wird. Bisher hat der äußere Druck eher dazu geführt, dass das Regime im Innern die Repression stärker durchsetzen konnte. Es gibt eine Art Festungsmentalität, in der dann gar keine Kritik mehr geduldet wird oder jede Kritik eigentlich als Verrat angesehen wird. Das macht es für die Reformkräfte und die Bewegungen, die etwas ändern wollen wie zum Beispiel die Frauenbewegung, sehr viel schwerer.

    Sojitrawalla: Ihr Buch ist persönlicher als die Artikel, die sie für die FAZ aus Iran geschrieben haben. War das auch eine Wohltat für Sie, einmal nicht nur als sachliche Berichterstatterin, sondern quasi als Christiane Hoffmann selbst zu Wort zu kommen?

    Hoffmann: Ja, das war eigentlich die Motivation, das Buch zu schreiben, die Hauptmotivation. Das war so ein Bedürfnis, denn es gab für mich sehr viele nicht erzählte Geschichten. Persönliche Dinge, da diese Zeit, diese fünf Jahre, die ich dort gelebt habe, auch für mich persönlich eine sehr aufregende Zeit war: ich war frisch verheiratet, ich habe dann dort zwei Kinder zur Welt gebracht und ich bin sehr schwer krank gewesen. Es ging mir nicht darum, sozusagen als Selbstzweck, über mich zu berichten, aber ich glaube, das hat mir Zugang zu Themen und Teilen der Gesellschaft in Iran verschafft, die man sonst vielleicht nicht bekommt. Zum Beispiel die zahllosen Besuche bei Frauenärzten und die Gespräche mit Frauen über Geburt und Kinderkriegen, über Kaiserschnitte und natürliche Geburten oder eben auch, als ich dann krank war, die Frage, wie geht man in einer anderen Gesellschaft mit Schicksal um, mit Krankheit und wie wird das aufgenommen, wie begegnen die Iraner meiner Krankheit. Ich habe dann ja auch dort Kontakte zu Menschen bekommen, die dieselbe Krankheit hatten wie ich. Und ich glaube, da habe ich noch mal sehr viel verstanden über Iran.

    Sojitrawalla: Sie schreiben an einer Stelle Ihres Buches, je vertrauter Ihnen Iran wurde, desto rätselhafter schien Ihnen das Land. Ist das eine Grunderfahrung, die man in der Fremde macht oder eine iranspezifische Erfahrung?

    Hoffmann: Natürlich ist es schon so, dass je näher man ein Land kennenlernt, um so mehr versteht man seine Komplexität und Widersprüche. Das ist sicher eine allgemeine Erfahrung. Aber ich glaube, dass es in Iran eine spezielle Kultur der Rätselhaftigkeit oder der Selbstverrätselung gibt, die ja auch in diesem kulturellen Motiv des Schleiers sehr stark drin ist. Wenn man bedenkt, dass die Hälfte der Bevölkerung verschleiert und verborgen ist. Dieser Gestus des Sich-selbst-Verbergens und damit auch den Fremden zurückzuweisen und ihm keinen Zugang zu gewähren, das ist etwas, was ich dort immer wieder erlebt habe. Diese Rätselhaftigkeit sehe ich auch als einen Abwehrmechanismus gegen westliches Verstehen-wollen.

    Sojitrawalla: Sie mussten ja auch als Ausländerin in Iran ihr Haar verhüllen. Haben Sie eine Meinung zum so genannten Kopftuchstreit hierzulande?
    Hoffmann: Ich habe ein Kapitel dieser Frage gewidmet, also was bedeutet das Kopftuch für die Frauen in Iran, wo das eine ganz andere Dimension hat, mit dem Zwang, das Kopftuch zu tragen. Das hat auch eine historische Dimension, weil es gab in Iran sowohl das Verbot sich zu Verschleiern als auch den Zwang. Es wurde immer der Machtanspruch des jeweiligen Regimes am Körper der Frau exerziert, und das nehmen die Frauen auch sehr stark wahr und versuchen deshalb, ihre Kleidung wieder ins Private zurückzuholen und für sich zurückzugewinnen. Ich glaube, der Kopftuchstreit in Deutschland ist natürlich anders gelagert, aber wir haben auch dort eine große Bandbreite von Bedeutungen, die diesem Kopftuch zukommen: Es kann ein politisches Symbol sein oder ein religiöses Bekenntnis oder auch einfach nur Ausdruck von pubertärer Sinnsuche oder Rebellion und das alles haben wir natürlich auch in verschiedenen Facetten in Iran.

    Sojitrawalla: Sie schreiben, dass Ihre Iran-Erfahrung paradoxerweise im Westen nicht ihre Glaubwürdigkeit erhöhte, sondern vielfach den Verdacht nährte, Sie seien voreingenommen. Können Sie sich das erklären?
    Hoffmann: Das hatte viel mit der Verschärfung des Konflikts zwischen Iran und dem Westen nach dem 11. September und dem Atomstreit ab 2003 zu tun. Es gibt natürlich das Phänomen des Korrespondenten, den man turning native nennt, dass man nicht mehr den ausreichenden Abstand hat, um auf eine Gesellschaft zu schauen. Wenn man über Iran berichtet, kann man es eigentlich nie recht machen. Man wird immer kritisiert werden, weil die einen meinen, man sei Apologet des Regimes und zu iranfreundlich. Auf der anderen Seite zieht man sich die Kritik derer zu, die sagen, das wird alles nur pauschal von einer westlichen Warte abgeurteilt. Es ging mir darum, das zu beschreiben. Dass man als Korrespondent immer in Konfliktsituationen gerät.

    Sojitrawalla: Sie lassen Ihr Buch mit starken Frauen enden. Kann man man das als Zeichen der Hoffnung lesen?

    Hoffmann: Ja, kann man schon. Es ist natürlich zum Teil schon eine Wunschvorstellung. Ich denke aber schon, dass die Frauen ein großes Veränderungspotenzial haben und der dynamischste Teil der Gesellschaft sind. Die Männer, das sieht man auch in meinem Buch, sind Kriegsversehrte, Märtyrer, die sind müde und krank, während die Frauen diejenigen sind, die die Initiative ergreifen, die etwas verändern wollen. Ich sehe da schon ein Potenzial, aber meine iranische Freundin, die in Deutschland lebt und das Buch gelesen hat, sagte: "Du also diese Ende war viel zu optimistisch." Ich weiß natürlich selbst, dass das zum Teil mehr eine Wunschvorstellung als eine realistische Sicht auf die Zukunft ist.

    Christiane Hoffmann: Hinter den Schleiern Irans
    Einblicke in ein verborgenes Land

    DuMont Verlag, Köln 2008, 318 Seiten, 19,90 Euro