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Im Kampf gegen Napoleon

Dass Napoleons Truppen bei Waterloo 1815 eine vernichtende Niederlage erlebten, war nicht zuletzt auf das taktische Geschick von Generalleutnant Anton Neidhardt von Gneisenau zurückzuführen. Der vor 250 Jahren geborene Gneisenau hatte die Preußische Heeresreform vorangetrieben, die von den französischen Militärerfolgen lernen wollte, um Napoleon schließlich zu besiegen.

Von Bernd Ulrich | 27.10.2010
    "Es ist aus Nettelbeck - es hat keinen Sinn mehr, wir können die Stadt nicht halten. - Gneisenau, Sie können das einem alten Mann doch die Schande nicht antun und unsere Stadt dem Napoleon preisgeben. Kolberg darf nicht aufgegeben werden, Gneisenau! - So wollt' ich's von Ihnen hören, Nettelbeck, jetzt können wir zusammen sterben."

    Sie sind dann doch nicht gestorben, die beiden Kolberg-Helden Nettelbeck und Gneisenau, nach denen bis heute unzählige Straßen und Plätze benannt sind. Aber ihre Organisierung des Widerstandes gegen die französischen Belagerer im Jahre 1807 wird im NS-Epos "Kolberg" zum verlogenen Fanal für den Volkssturm, in denen die Nazis das letzte Aufgebot zusammengetrommelt hatten.

    Der Film bildete einen Höhepunkt in der Instrumentalisierung vor allem eines Mannes - August Wilhelm Anton Neidhardt von Gneisenau. Der aber war von nichts weiter entfernt als vom rassistischen, volks- und vaterlandsfeindlichen Nationalsozialismus. Geboren am 27. Oktober 1760 im kursächsischen Schildau als Sohn eines Artillerieleutnants, schien seine berufliche Zukunft vorbestimmt, wenngleich keinesfalls deren originelle Ausgestaltung. Der Historiker Franz Herre hat die Lebensdaten dieses Offiziers und Reformers - bis heute gültig - so zusammengefasst:

    "Nach dem Tode Friedrichs des Großen wird er preußischer Premierleutnant, langweilt sich in Provinzgarnisonen, ärgert sich über den Gamaschendienst, liest und liest und steht nicht an, ins Zeughaus der Revolution zu greifen, ihm handfeste Waffen zu entnehmen zum Kampf gegen das preußische Anciene Regime, für individuelle Freiheit, staatsbürgerliche Gleichheit und nationale Brüderlichkeit."

    Das ist viel für einen preußischen Offizier jener Tage, zu viel für manchen seiner Offizierskameraden: Bis an sein Lebensende wird Gneisenau darunter leiden, dass er als "Roter", als "Revoluzzer" und "Jakobiner" denunziert wurde. Richtig war, dass die eigentlichen Auslöser für Gneisenaus Reformideen in der Französischen Revolution und deren Folgen in Gestalt Napoleons zu suchen sind. Insbesondere die vernichtende Niederlage Preußens 1806 in der Doppelschlacht von Jena und Auerstädt hatte das ganze Ausmaß altpreußischer Rückständigkeit in der Ausbildung der Soldaten und Offiziere verdeutlicht.

    Das musste sich ändern. So wie die Französische Revolution die Männer für die Verteidigung der Revolution und schließlich für die Eroberung Europas mobilisierte, so sollten nun die Preußen, ja, die Deutschen, im Geiste eines patriotischen Enthusiasmus für die Niederlage Napoleons und politische und militärische Reformen kämpfen. Nicht mehr Prügel und Drill durften den Soldatenalltag bestimmen, vielmehr hatte der soldatische Beruf, wie es Gneisenau formulierte, nun als "ehrenvollste Beschäftigung" des freien Staatsbürgers zu gelten.

    Die Angst des Königs und des Adels, mit solchen und weiteren Reformen die schlafenden Hunde der Revolution im eigenen Land zu wecken, hatte damit kaum abgenommen. Die Volksbewaffnung durch die Wehrpflicht, die Schaffung von Landwehr und milizartigem Landsturm, die Öffnung des Offizierskorps für das Bürgertum, - solche von Gneisenau und anderen verfolgten Pläne konnten erst realisiert werden, wie Friedrich Engels zu Recht konstatierte,

    "nachdem 1812 die Vernichtung der großen napoleonischen Armee auf dem Rückzug von Moskau das Signal zum allgemeinen Aufstand gegen die französische Oberherrschaft im Westen gegeben hatte."

    Der zweifache Sieg über Napoleon, dessen entscheidende Niederlage bei Waterloo 1815 von Gneisenau wesentlich mit verantwortet wurde, war auch eine Frucht der Militärreformen. Indessen darf insbesondere im Hinblick auf den von Gneisenau propagierten Volkskrieg nicht vergessen werden, worauf jüngst erst wieder der Historiker Jürgen Osterhammel hingewiesen hat:

    "Landwehren, Milizen, Partisanen und irreguläre Truppen aller Art stellten eine potenzielle Bedrohung jeder politischen und sozialen Ordnung dar. Regierungen hüteten sich daher generell, sie 'von der Leine zu lassen'. Die Epoche bereitete die Zutaten des totalen Krieges vor. Sie selbst hatte vor 1914 noch nicht die Konsequenzen zu tragen."

    Gneisenau hätte sie gewiss auch nicht gebilligt. Am zehnten Jahrestag der Schlacht von Waterloo zum Generalfeldmarschall befördert, bekleidete er bis zu seinem Tod am 23. August 1831 kein wirklich wichtiges Amt mehr. Auch dies ein Ergebnis seiner frühen, radikalen Reformvorschläge.