Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Im Land des schwarzen Goldes

Wenn am kommenden Samstag das Finale des Eurovision Song Contest ausgetragen wird, richten sich viele Augen auf das moderne Aserbaidschan. Die Geschichte des ölreichen Staates ist dagegen kaum bekannt. Schon 1929 erschien in Berlin ein Buch über das "exotische Land", das damals zum Bestseller avancierte.

Von Ingo Petz | 21.05.2012
    "Vor vierzig Jahren war Baku eine Wüstenstadt, in mancher Hinsicht ist sie es bis heute geblieben. Damals gab es aber noch keine einzige Straße, die einigermaßen europäisch gewesen wäre. Heute sind am Meeresufer Gartenanlagen gebaut, mit Theatern, Kaffeehäusern, Badeanstalten, Promenaden und Sportklubs, damals gab es nichts dergleichen."

    Die aserbaidschanische Stadt am Kaspischen Meer, erlebte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine rasante Entwicklung. Der erste Ölboom brachte Reichtum in die uralte Handelsstadt an der Seidenstraße und machte sie zu einem multikulturellen und -konfessionellen Tor an der Schwelle zwischen Ost und West. Seit 1806 gehörte Baku zum Russischen Zarenreich. Die alten Ölfelder, die man noch heute in Baku sieht, haben sich auch bei dem jungen Essad Bey tief in die Erinnerung eingebrannt.

    "Die Öltürme, die sich zu Hunderten neben Baku erheben, sind ein phantastisches, ein unvergessliches Bild. Ihre hölzernen, von Öl durchtränkten Wände bedecken die tiefen Bohrungen, aus denen Tag und Nacht unaufhörlich das Öl geschürft wird …"

    Das schwarze Gold transformierte die alte aserbaidschanische Welt unter dem Einfluss des Westens, der über das Zarenreich und internationale Unternehmer wie die Nobels oder Rothschilds nach Baku kam. Dieser Wandel ist das Leitthema von Beys autobiografischem Buch, das 1929 in der Weimarer Republik erschien und als "Abenteuerbericht" aus einer exotischen Welt für Furore sorgte. Bey war eine schillernde Gestalt in der Berliner Salon-Welt. Seit 1926 schrieb der Sohn eines russischsprachigen Juden und einer weißrussischen Jüdin, der die deutsche Sprache von seinem Kindermädchen gelernt hatte, als "Orient-Experte" für die Literarische Welt. Sein Debüt "Öl und Blut im Orient" avancierte zum Bestseller und Skandalbuch, den die antisemitischen Kreise im Deutschen Reich nutzten, eine Hetzkamapagne gegen den als Lev Nussimbaum geborenen Juden zu initiieren. 1936 floh er deshalb aus Berlin nach Italien, wo Bey 1942 starb. Die Wirren des Zweiten Weltkriegs haben ihn und seine Schriften vergessen lassen. Als fundierte Quelle für die frühe Zeit des modernen Aserbaidschan wurde das Buch erst vor allem durch den US-Journalisten Tom Reiss seit den 1990ern wiederentdeckt. Er beschrieb Beys spannend-getriebenes Leben in Artikeln und in seinem Weltbestseller "Der Orientalist". Seitdem werden Beys Bücher auch wieder in Aserbaidschan beachtet. Reiss schreibt Bey auch die Autorenschaft des Romans "Ali und Nino" zu - eine Liebesgeschichte, die heute als aserbaidschanisches Nationalepos gilt und 1937 unter dem Pseudonym Kurban Said veröffentlicht wurde. In "Blut und Orient" schreibt der junge Bey:

    "In Aserbaidschan herrschte damals noch tiefe Ruhe, soweit dieser Begriff mit Aserbaidschan vereinbar war. Fliehende russische Truppen lagerten friedlich noch irgendwo in der Nähe Bakus, und die die armenische Partei Duschnaktjutjun (das weiß ich leider nicht. Ich würde es aussprechen, wie es geschrieben ist) organisierte, ohne viel Aufsehen zu erregen, eine Armee, die nach Armenien zur Verteidigung des Landes abziehen musste. Ihre Führer waren der Fürst Andronik und Stepa-Lalai. Nach Armenien kamen die beiden aber nicht, denn es nahten die drei blutigen Märztage, in denen das Schicksal Aserbaidschans entschieden wurde und 30.000 Leichen die Plätze, Dächer und Gassen Bakus bedeckten."

    Bey beschreibt hier die Massaker zwischen dem 30. März und 2. April 1918 an den in Baku lebenden Aserbaidschanern durch Armenier, die von den Bolschewiken gestützt wurden. Es ist ein typischer Text von Bey, der Fakten und Erzählung miteinander verbindet. Der Leser begleitet Bey so in die Welt der Ölbarone, zu den Feueranbetern der Zarathrusten oder zu kaukasischen Stämmen. Zudem beleuchtet Bey die Machstrukturen innerhalb der unterschiedlichen ethnischen, sozialen und religiösen Gruppen in Baku. Er erzählt die Geschichte des alten Aserbaidschans und berichtet schließlich von der Flucht mit seinem Vater vor den Bolschewiken. Es folgt eine abenteuerliche Reise, die die beiden nach Turkmenistan, Persien, wieder in den Kaukasus und schließlich nach Istanbul und Paris führt.

    "Wir verließen den Dampfer, fuhren in ein internationales Grand-Hotel und sahen unterwegs Reklameplakate nach europäischer Art. Im Petite Chants heute die größte Revue der Welt. In Anatolien zehntausend Christen erschlagen, rief im gleichen Augenblick der Zeitungsjunge. Zum ersten Mal kauften wir eine französische Zeitung. In dieser Sekunde begann für mich Europa. Der alte Osten war tot."

    Der alte Osten war für Bey ein magisches Bild des Orients, das durch den Ersten und Zeiten Weltkrieg, den zunehmenden Einfluss des Westens und durch das Entstehen der Sowjetunion zusehends verschwand. Diese Zeit des Umbruchs für Aserbaidschan dokumentiert zu haben, ist der herausragende Verdienst Essad Beys. Wer über das heutige Aserbaidschan heute mitreden will, sollte diesen Klassiker gelesen haben.


    Essad Bey: Öl und Blut im Orient: Meine Kindheit in Baku und meine haarsträubende Flucht durch den Kaukasus
    Hans J. Maurer Verlag, 272 Seiten, 18,90 Euro