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"Im Nachhinein weiß es jeder"

Der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte hatte bereits im Sommer 2006 in seinem Buch "Der Crash kommt" die derzeitige US-Finanzkrise vorausgesagt. Doch niemand wollte damals auf ihn hören. Jetzt macht Otte auch der Politik schwere Vorwürfe. Schon 2006 habe es die sogenannten Lügnerkredite in großem Umfang gegeben. Es sei "völlig klar" gewesen, dass den Kreditmärkten der Kollaps drohte, so Otte.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller | 24.09.2008
    Dirk Müller: Schon - so könnte man jedenfalls sagen - bei der ersten Hürde gestrauchelt, nicht gescheitert, aber immerhin gestrauchelt. Das 700 Milliarden schwere Rettungspaket für die Finanzbranche gestrauchelt im amerikanischen Senat. Der Crash ist also gekommen, im großen Stil. Und dass er kommt, das wusste jemand schon im Sommer 2006, in einem Buch publiziert. Autor ist der Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte, nun bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Max Otte: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Otte, niemand hat darauf gehört, was Sie geschrieben haben. Waren Sie zu sehr "Kassandra"?

    Otte: Na ja. Ein kleiner Professor irgendwo in der Provinz, der kann schreiben und das Buch ist von Anfang an von Leuten, von Selbständigen, die noch für ihr eigenes Geld wirtschaften müssen, sehr gut aufgenommen worden und wurde auch zum Bestseller. Aber die Politik hört zunächst einmal natürlich nicht auf so was. Jetzt im Nachhinein weiß es jeder.

    Müller: Die Politik und die Finanzdienstleister dann eben auch nicht.

    Otte: Ja. Die schon gar nicht, denn solange sie Geld verdienen, machen sie fröhlich weiter.

    Müller: Warum wussten Sie damals schon Bescheid?

    Otte: Es war ganz klar. Es gab damals schon Lügnerkredite in großem Umfang. Die gibt es schon seit fünf Jahren, sogenannte "Liar loans". Es gab damals schon die enorme Verschuldung der USA, das Außenhandelsbilanzdefizit, die inländische Verschuldung und so weiter. Das war völlig klar, dass auf den Kreditmärkten dieser Welt der Kollaps droht.

    Müller: Also Mitverantwortung auch der Politik?

    Otte: Natürlich. Ein großer Politiker oder ein bekannter Politiker hat vor zwei Wochen noch gesagt, niemand konnte das vorhersehen. Ich würde sagen, es wäre seine Pflicht mit gewesen, das vorherzusehen.

    Müller: Nennen Sie uns noch einmal Kriterien, die als Schablone quasi gefehlt haben, wo man sich verweigert hat, die anzulegen?

    Otte: Jede Krise ist anders. In der Vergangenheit war es die Internet-Blase. Da wurden Internet-Aktien überbewertet und dann hat ja die Federal Reserve den Geldhahn aufgedreht, um die Rezession, die dann drohte, nach 9/11 in Geld zu ertränken. Dadurch sind eben neue Märkte für das Kapital gefunden worden und neue Überbewertungen in anderen Bereichen, in dem Fall die Immobilien. Das ist so gefährlich, weil es hier um zehn Billionen geht. Wenn dort die Werte fallen, ist das anders als in der Technologie-Blase. Das war zwar schmerzhaft, aber hier geht es dann ans Mark und Bein der Wirtschaft. Von daher ist der Plan, der von Paulson und Ben Bernanke da ausgearbeitet worden ist, ist zwar schmerzhaft, aber mit Sicherheit sinnvoll. Was sie da versuchen, ist wirklich ein heroischer Akt und der amerikanische Kongress, der da sehr basispopulistisch ist und das vor allem natürlich - wir haben es eben gehört: "unamerican" und "socialism" und so weiter, also das kritisiert, sollte darauf in der Tat etwas offener drauf zugehen, denn das ist notwendig.

    Müller: Sie kennen ja, Herr Otte, Bernanke persönlich. Hat der jetzt total versagt?

    Otte: Ben Bernanke war der Direktor meines Doktorandenprogramms in Princeton. Ich erinnere mich gerne an die Grillnachmittage bei ihm. Er war streng, er war sehr "low-key". Wir haben also nicht erwartet, dass er da in so eine hohe Position kommt. Das politische Engagement war völlig unerwartet.

    Müller: "Low-key" heißt lokal verwurzelt?

    Otte: Nein. "Low-key" heißt, er hat den Ball immer sehr flach gehalten. Er war Professor, bodenständig, ruhig und so weiter. - Nein, er macht genau das richtige. Er hat ja die Zeit der großen Depression lange und intensiv studiert und darüber auch mehrere Bücher geschrieben. Es ist sozusagen seine Stunde. Dieser Plan ist absolut notwendig. Das ist eine Feuerlösch-Maßnahme. Sie ist sicherlich nicht schön. Wenn der Kongress das jetzt nicht genehmigt, dann ist das schon dramatisch. Das ist so ungefähr wie mit dem Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg, der von Wilson ausgehandelt wurde und wo dann der amerikanische Kongress nicht mitgemacht hat. Der Kongress hat da seinen eigenen Willen.

    Müller: Wenn die Unternehmen sich die Tasche vollstopfen in den vergangenen Jahren, gerade auch die amerikanischen Unternehmen, und das dann alles scheitert, dann müssen wir doch so realistisch sein einzusehen, dass der Steuerzahler nun helfen muss?

    Otte: Die Wirtschaft ist unfair. Es ist ein Versagen der Politik in den Jahren 1998 bis 2007 gewesen. Da hätte man diese Exzesse beschränken müssen. Da hätte man auch die Gier irgendwie politisch kontrollieren müssen. Darauf hat niemand gehört. Das ist also eine Schwäche der Politik. Jetzt bleibt uns leider nichts anderes, als in der Tat Notmaßnahmen zu treffen und zu hoffen, dass es dann beim nächsten Mal besser wird.

    Müller: Ich muss noch mal auf Ihren Grillpartner zurückkommen, Ben Bernanke. Sie sagen, das was jetzt passiert ist korrekt, ist richtig, ist unter dem Strich das beste was man machen kann. Aber er, der amerikanische Notenbankchef, hat ja nun offenbar auch die Krisen der Zeit, die Zeichen der Zeit in den Monaten vor dem Crash überhaupt nicht erkannt.

    Otte: Das ist richtig. Man projiziert da viel in den Notenbankchef hinein, aber so mächtig ist er dann auch nicht. Solange die Krise nicht da ist, wäre er, wenn er dort die Stimme erhoben hätte, sofort als Sozialist gebrandmarkt worden und eine lahme Ente gewesen und hätte also gar nichts machen können. Da ist er natürlich auch nur "Spitzenbeamter". So mächtig ist er auch nicht. Jetzt in der Krise kann er seine Stimme erheben. Natürlich hätte er vorher warnen und mahnen können. Ich kenne ja auch seinen Vor-Vorgänger, den Paul Volcker. Der hat auch bei uns unterrichtet. Der hat ja 1981 die Inflation gestoppt. Das hat ihm nicht viel Freude bereitet. Ein Notenbankchef kann die Zinsen anziehen. Das schafft er, wenn die Inflation galoppiert. Das kann er eigenmächtig. Aber diese Programme, die er jetzt macht, die hätte er noch vor einem Jahr, vor 14 Monaten, sagen wir 15 Monaten niemals öffentlich ventilieren dürfen.

    Müller: Herr Otte, als Linkspolitiker, der ich nicht bin, würde ich aber jetzt sagen, Bernanke ist, nach dem was Sie gesagt haben, ein Vasall des Kapitals.

    Otte: Würde ich nicht sagen, denn im Moment geht es wirklich darum, den Systemkollaps zu verhindern. Auf der einen Seite hat sich Goldman Sachs, der Arbeitgeber von Paulson, in gewisser Weise in die Arme des Staates geflüchtet. Aber dem Kapital ist sicherlich nicht sehr wohl dabei, wenn jetzt der Staat so massiv eingreift, denn das wird auf Dauer natürlich auch Freiheitsrechte oder Rechte des Kapitals zu Gunsten anderer Interessengruppen beschneiden. Das ist eher eine undurchsichtige und zwielichtige oder nicht ganz klare Situation.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Buchautor, Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Max Otte. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.