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Im Schatten der Täter

Die Namen der mutmaßlichen Täter der Neonazi-Zelle kennt jeder, die der Opfer niemand. Morgen soll nun auf einer Gedenkfeier in Berlin den Todesopfern der rechtsextremen Anschläge gedacht werden. Ein Rückblick auf die Mordserie an neun Migranten und einer Polizistin.

Von Claudia van Laak | 22.02.2012
    Das klassizistische Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt ist nicht unbedingt ein Ort, an dem sich Semiya Simsek wohlfühlt. Morgen wird die 25-Jährige in der ersten Reihe Platz nehmen. Und dann ans Rednerpult treten, um darüber zu sprechen, wie es ihr und den übrigen Angehörigen der Mordopfer geht, die allem Anschein nach von Neonazis getötet wurden. Simsek:

    "Weil ich denke, ich bin das meinem Vater irgendwo schuldig, wir müssen ja als Familien etwas tun, das sich etwas ändert."

    Semiya Simsek ist die Tochter des ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek. Sie ist eine von wenigen Hinterbliebenen der mutmaßlichen Neonazi-Mordopfer, die an die Öffentlichkeit gehen:

    "Andere haben auch Angst, die sagen, wir wissen nicht, was dann morgen mit uns passiert, da haben sie auch recht, die haben alle das Vertrauen verloren."

    Die 25-jährige Deutsch-Türkin hat zu sich nach Hause ins hessische Friedberg eingeladen, serviert türkischen Tee in Gläsern und Marmorkuchen. Semiya Simsek ist in Deutschland geboren, hat hier Abitur gemacht und studiert, arbeitet als Sozialpädagogin in einem Jugendzentrum. Ihre Kritik ist deutlich: Die Namen der mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kenne ganz Deutschland, die Namen der Opfer niemand.

    "Was in den elf Jahren passiert ist, was für ein Mensch, was für ein Gesicht mein Papa hatte, das wird sehr wenig der Öffentlichkeit präsentiert, und das ist auch ein bisschen schade."
    Der Türke Enver Simsek kam 1986 nach Deutschland, arbeitete zunächst als Fabrikarbeiter, begann dann, Blumen zu verkaufen. Mit Erfolg. Aus einem kleinen Geschäft wurde im Laufe der Jahre ein Großhandel mit angeschlossenen Läden und mehreren Verkaufsständen. Enver Simsek fuhr nach Holland, kaufte dort die Blumen, verteilte sie an seine Läden und Verkaufsstände. Im September 2000 stand Simsek ausnahmsweise selber am Nürnberger Blumenstand, sein Mitarbeiter war im Urlaub. Am neunten September gegen Mittag trafen ihn acht Schüsse aus nächster Nähe. Seine damals 14-jährige Tochter Semiya eilte ins Krankenhaus.

    "Dann kam mir schon ein Beamter entgegen, der hat mir dann die ersten Fragen gestellt, ob er eine Waffe dabei hatte, ob wir bedroht wurden und so was, da hab' ich gedacht, warum stellt der mir so komische Fragen."

    Beamte durchsuchten die Wohnung der Familie, nahmen persönliche Gegenstände wie Fotoalben mit. Es folgten Verhöre auf der Polizeiwache, Verdächtigungen. Da Enver Simsek seine Blumen in Holland holte, vermuteten die Beamten, er könnte Rauschgifthändler gewesen sein, die Tat also vielleicht ein Racheakt im kriminellen Milieu.

    "Wir waren eh schon Opfer, meine Mama hat ihren Ehemann verloren, wir haben unseren Vater verloren, dann wirst du noch so misstrauisch betrachtet, das war echt nicht schön."

    Semiya Simseks braune Augen füllen sich immer wieder mit Tränen, wenn sie an die Monate nach der Ermordung ihres Vaters denkt. Ihre Mutter hält die Ungewissheit, die Unterstellungen und Verdächtigungen nicht aus, der Tod ihres Mannes lässt sie bis heute nicht los.

    "Sie ist dadurch krank geworden, natürlich, sie hat psychische Störungen, wir können nicht mir ihr im selben Haushalt leben, deshalb leben wir alle getrennt, natürlich besuchen wir sie, sie ist meistens bei ihren Eltern in der Türkei."

    Enver Simsek ist das mutmaßlich erste Mordopfer der rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle. In den Jahren darauf werden acht weitere Kleinunternehmer mit türkischen und griechischen Wurzeln mit derselben Waffe Marke Ceska Kaliber 7,65 Millimeter aus nächster Nähe geradezu hingerichtet.


    Nürnberg, 9. September 2000
    Enver Simsek, Blumenhändler

    Nürnberg, 13. Juni 2001
    Abdurráim Özüdogru, Schneider

    Hamburg, 27. Juni 2001
    Süleyman Tasköprü, Obst- und Gemüsehändler

    München, 29. August 2001
    Habil Kilic, Obst- und Gemüsehändler

    Rostock, 25. Februar 2004
    Mehmet Turgut, Dönerverkäufer

    Nürnberg, 9. Juni 2005
    Ismail Yasar, Imbissbesitzer

    München, 15. Juni 2005
    Theodoros Boulgarides, Mitinhaber eines Schlüsseldienstes

    Dortmund, 4. April 2006
    Mehmet Kubasik, Kioskbesitzer

    Kassel, 6. April 2006
    Halit Yozgat, Betreiber eines Internetcafés


    Die Polizei gründet eine Sonderkommission namens Bosporus, in den Medien werden die Taten unter der diskriminierenden Bezeichnung "Dönermorde" verbucht. Im April 2007, ein Jahr nach der Hinrichtung von Halit Yozgat, wird in Heilbronn die Polizistin Michele Kiesewetter erschossen. Ihr Tod erregt sehr viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit als die Ermordung der neun Migranten in den Jahren zuvor. Dass die Täter mutmaßlich dieselben sind, ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Die Ermittler tappen im Dunkeln, weitere Hinrichtungen mit der Ceska bleiben aus. Nach und nach legt die Polizei die ungeklärten Fälle zu den Akten. Die Mordserie gerät in Vergessenheit.

    Auch Semiya Simsek versucht, einen Schlussstrich unter den Tod ihres Vaters zu ziehen. Plötzlich, Anfang November letzten Jahres, die dramatische Wende: Eine rechtsextreme Terrorzelle namens Nationalsozialistischer Untergrund soll für die Mordserie an neun Migranten und einer deutschen Polizistin verantwortlich sein.

    "Stimmt das oder stimmt das nicht? Soll ich mich darauf verlassen oder nicht? Das war mein erster Gedanke."

    Am 4. November 2011 setzen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem missglückten Bankraub im thüringischen Eisenach ihr Wohnmobil in Brand, töten sich anschließend selbst. Etwa zeitgleich explodiert 180 Kilometer entfernt, im sächsischen Zwickau, eine Dachwohnung, die Brandstiftung geht offenbar auf das Konto von Beate Zschäpe. Wenige Tage später stellt sie sich der Polizei.

    Nach bisherigen Ermittlungen der Bundesanwaltschaft bildeten die Drei eine rechtsterroristische Zelle und gaben sich den Namen Nationalsozialistischer Untergrund, NSU. Auf einem Video hat sich der NSU zu der rassistischen Mordserie bekannt, außerdem zu einem Nagelbombenattentat 2004 in Köln und einem weiteren Sprengstoffanschlag. Das Bekennervideo enthält unter anderem Fotos, die die Rechtsextremisten direkt nach der Ermordung von ihren Opfern machten. Generalbundesanwalt Harald Range:

    "Strafrechtlich bewerten wir das derzeit als Bildung einer terroristischen Vereinigung, Mord in zehn Fällen, ein versuchter Mord, zwei Sprengstoffanschläge und drei Fälle der schweren räuberischen Erpressung."

    Ein Schock. Und eine große Niederlage für die Sicherheitsbehörden. Wie konnte dies geschehen? Das ist die meistgestellte Frage. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages für die Geheimdienste beruft rasch eine Sondersitzung ein. Sein Vorsitzender, der SPD-Bundestagsabgeordnete Thomas Oppermann, spricht aus, was viele in Deutschland denken.

    "Ich finde das unbegreiflich, dass eine rechtsextreme Bande über zehn Jahre hinweg in Deutschland Morde begehen kann, ohne dass Polizei und Verfassungsschutz diese Dinge zusammenbringen."

    Die Spur führt zunächst nach Thüringen. Die drei mutmaßlichen Mitglieder des NSU stammen aus Jena. Sie sind Jugendliche, als die Mauer fällt, schließen sich nach der Wende der rechtsextremen Szene an. Mundlos und Böhnhardt werden schnell zu Anführern des Jenaer Arms der Neonazi-Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz". Der Verfassungsschutz wird aufmerksam, führt mehrere V-Leute im Umkreis der Neonazi-Kameradschaft.

    Ab 1996 häufen sich die rechtsextremistischen Straftaten in Jena. An einer Autobahnbrücke finden Polizisten eine erhängte Puppe mit einem Davidstern. Vor dem Theaterhaus wird ein Koffer mit Hakenkreuz entdeckt, er enthält eine Bombe ohne Zünder. Der damalige Thüringer Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer analysiert:

    "Das ist schon vom Tätertyp eine andere Qualität als der dumpfe Neonazi, der mit der Keule um sich schlägt, mit dem Baseball-Schläger um sich schlägt. Hier waren Leute zu Werke, denen das offenbar nicht ausgereicht hat, die mehr wollten."

    Thüringens Verfassungsschutz weiß, um wen es sich dabei handelt. Anfang 1998 erfolgt eine Razzia, dabei hebt die Polizei eine Bombenwerkstatt in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage aus. Uwe Böhnhardt selber hat die Polizisten dorthin geführt. Dann steigt er in sein Auto, fährt weg. Pech für die Beamten, dass sie keinen Haftbefehl in der Tasche haben. Den können sie erst zwei Tage später bei der Staatsanwaltschaft Gera erwirken. Zu diesem Zeitpunkt ist das Trio allerdings längst abgetaucht. Verfassungsschutzchef Roewer nach der missglückten Festnahme:

    "Leute, die auf der Flucht und in der Lage sind, mit Sprengstoff umzugehen, sind immer als gefährlich einzuschätzen."

    Helmut Roewer lag richtig. Denn zwei Jahre danach begeht das Trio, das sich Nationalsozialistischer Untergrund nennt, seinen mutmaßlich ersten Mord an einem Migranten in Nürnberg. Davon ahnt in Thüringen allerdings niemand etwas - dort werden die Drei nach wie vor wegen versuchter Sprengstoffanschläge und Propagandadelikten gesucht.

    V-Leute von vier Geheimdiensten - vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Bundesamt, Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst MAD - sollen sich im Umfeld des Trios befunden haben, außerdem Zielfahnder der Landeskriminalämter Thüringen und Sachsen. Aber offenbar arbeiteten die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern nicht zusammen, setzten sich noch nicht einmal gegenseitig in Kenntnis. Wenige Jahre später sind die dem Trio vorgeworfenen Taten verjährt, die Ermittlungen werden eingestellt. Ex-Verfassungsschutzchef Roewer heute:

    "Alle diese Maßnahmen, sehr viele, sehr intensive, sehr kostspielige, sind alle ins Leere gelaufen. Das ist das Ergebnis, was ich Ihnen schildern kann. Dass mir das nicht gefällt, brauche ich nicht zu betonen."


    "Alle zusammengenommen sagen, sie hätten nicht gewusst, wo die international gesuchten Straftäter sind. Und das macht deutlich, es handelt sich um ein Organisationsverschulden der kompletten Art. Und das ist das Eigentliche, was ich dann eben auch eine politische Mitverantwortung des Staates nenne. Das nenne ich Mittäterschaft."
    Sagt Bodo Ramelow, Fraktionsvorsitzender der Linken im Erfurter Landtag. In Thüringen befassen sich zwei Gremien mit der Geschichte des Nationalsozialistischen Untergrunds: eine von der Landesregierung eingesetzte Kommission unter Leitung eines ehemaligen Bundesrichters und ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Auch auf Bundesebene haben sich mehrere Gremien konstituiert, die Behördenversäumnisse aufklären und künftig verhindern sollen.

    Dem Links-Politiker Ramelow kommt es besonders darauf an, die Rolle der Geheimdienste aufzuklären. So soll ein führender Neonazi insgesamt 200.000 Mark für seine Spitzeldienste vom Thüringer Verfassungsschutz bekommen haben. Außerdem soll den untergetauchten Neonazis über einen V-Mann Geld für gefälschte Pässe angeboten worden sein. Der Vorsitzende der Links-Fraktion im Erfurter Landtag ist der Ansicht:

    "Bei der Menge an V-Leuten und Quellen, bei der Menge an Geld, die aus dem Amt direkt in die braune Szene geflossen sind, musste man den Eindruck haben, es sind eher die Braunen, die das Amt führen, als dass das Amt wirklich bei den Braunen aushorcht, was da los ist."

    Eine Behauptung, die von offizieller Seite natürlich scharf zurückgewiesen wird. Aber die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern geben auch Fehler zu, haben bereits Strukturen verändert, um sich nicht mehr dem Vorwurf auszusetzen, man sei auf dem rechten Auge blind.

    So hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die vor einigen Jahren aufgelöste eigenständige Abteilung Rechtsextremismus wieder reaktiviert. Ein gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus wurde ins Leben gerufen. Außerdem soll künftig garantiert sein, dass das Bundesamt und die Landesämter ihre Erkenntnisse untereinander austauschen. Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, erläutert:

    "... ,dass die Landesämter jetzt, aufgrund des Beschlusses der Innenministerkonferenz, gehalten sind, uns zeitnah alle Informationen aus dem Bereich des gewaltbereiten Rechtsextremismus zu liefern. Das war in der Vergangenheit nicht der Fall."

    Und das dürfte einer von mehreren Gründen dafür gewesen sein, dass die Zwickauer Terrorzelle nach jetzigem Ermittlungsstand so viele Jahre unbemerkt im Untergrund morden konnte. Einen zweiten Grund nennt der Politikwissenschaftler Gideon Botsch von der Universität Potsdam.

    "Ich spreche da von Wahrnehmungsfiltern, die offensichtlich verhindern, dass wir in die richtige Richtung gucken, obwohl das Material zutage liegt, den Verfassungsschutzbehörden bekannt war, der Polizei bekannt war, werden hier offensichtlich Dinge nicht so zusammengesetzt, zusammengebracht. Und das liegt unter anderem an der Wahrnehmung von rechtsextremistischem Terrorismus, den wir durch die Brille lesen dessen, was wir vom linksradikalen Terrorismus kennen."

    "Braune Armee Fraktion" lautete ein Titel des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Er suggeriert: Rechte und linke Terroristen gehen nach demselben Muster vor. Nur wer dies glaubt, wundert sich darüber, dass die Zwickauer Terrorzelle keine Bekennerschreiben hinterließ. Der Rechtsextremismusexperte Gideon Botsch weiß:

    "Bei rechtsextremem Terror gibt es in der Regel keine Bekennerschreiben. Die meisten rechtsextremen terroristischen Taten, geplanten gezielten Gewalttaten, sind ausdrücklich ohne Tatbekenntnis, und das schon seit vielen Jahren oder Jahrzehnten."

    Wer ein wenig nachforscht, erkennt mögliche Vorbilder für die Vorgehensweise der Zwickauer Terrorzelle. Zum Beispiel die extrem gewalttätige Combat-18-Bewegung aus Großbritannien, der militaristische Arm der später auch in Deutschland verbotenen Neonazi-Gruppierung blood & honour. So kursiert ein Jahr vor dem mutmaßlich ersten Mord des NSU ein englischsprachiges Pamphlet im Internet, eine Art Ausbildungshandbuch der Combat-18-Bewegung.

    Dieses Papier propagiert die Strategie des "leaderless resistance", des "führerlosen Widerstands". Man solle kleine abgeschottete Terrorzellen bilden, keine Bekennerschreiben hinterlassen, sondern eine allgemeine Verunsicherung durch Gewalttaten erzeugen, heißt es in diesem anonymen Pamphlet. Zitat:

    Wenn Du Dich selber als Nationalsozialistischer Revolutionär siehst, dann gründe eine Zelle. Hör auf zu reden, beginn den Weg. Das ist keine Rock´n´Roll-Mode-Veranstaltung, wir befinden uns im Krieg.

    Gut möglich, dass die Zwickauer Zelle dieses Pamphlet kannte. Auch für das Nagelbombenattentat 2004 in der türkisch geprägten Kölner Keupstraße gab es Vorbilder. Fünf Jahre zuvor explodierten mehrere Nagelbomben in multikulturell geprägten Stadtteilen Londons, die Anschläge waren rassistisch motiviert. Doch weder die britische Combat-18-Bewegung noch die Londoner Nagelbombenattentate brachten die deutschen Behörden auf die Idee, bei den Mördern mit der Ceska könne es sich um rassistisch oder rechtsextremistisch motivierte Täter handeln. Der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm:

    "Was den Rechtsextremismus angeht, insbesondere jetzt speziell diese Terrorzelle angeht, so ist es ja richtig, dass niemand die Mordserie in Verbindung mit Rechtsextremismus gebracht hat. Niemand, die Polizei nicht, der Verfassungsschutz nicht, niemand."

    Die Ermittlungen sind kompliziert und langwierig, denn Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sind tot, Beate Zschäpe sitzt hinter Gittern und schweigt. 13 Personen gelten derzeit als Beschuldigte, sechs davon befinden sich in Untersuchungshaft.

    Die Bundesanwaltschaft setzt besonders auf die Aussage des mutmaßlichen Helfers Carsten S., der seit Anfang Februar in Untersuchungshaft sitzt. Der 32-Jährige war ein führendes Mitglied der Neonazi-Kameradschaft Thüringer Heimatschutz und soll der Zwickauer Terrorzelle nach deren Abtauchen eine Waffe beschafft haben.

    Im Auftrag der Bundesanwaltschaft wühlen sich Kriminaltechniker seit Wochen durch die Asservate. Generalbundesanwalt Range hofft, dass Beate Zschäpe und die mutmaßlichen NSU-Helfer im Herbst dieses Jahres angeklagt werden können.

    Morgen lädt die Spitze des deutschen Staates in das Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt ein, zur Trauer- und Gedenkfeier für die Opfer des Rechtsterrorismus. 1400 Gäste werden anwesend sein, darunter auch der Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten, Joachim Gauck.

    Für seine voraussichtliche Wahl am 18. März haben die nordrhein-westfälischen Grünen Gamze Kubasik in die Bundesversammlung entsandt. Ihr Vater Mehmet Kubasik, wurde nach bisherigem Ermittlungsstand 2006 höchstwahrscheinlich von der Zwickauer Neonazi-Zelle ermordet.

    Grünen-Chef Cem Özdemir sprach von einem wichtigen und richtigen Zeichen. Der Bundespräsident sei ein Vertreter aller Menschen des Landes, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion oder Lebensweise. Die Tochter des ermordeten Enver Simsek, die morgen bei der Gedenkfeier sprechen wird, hätte sich solche Gesten früher gewünscht. Semiya:

    "Nach elf Jahren ist es zu spät, leider es ist so, es ist zu spät, mein Papa kommt nicht mehr zurück."

    Semiya Simsek wird trotzdem eine kurze Rede halten, dann zurück ins hessische Friedberg fahren und ihrem Arbeitgeber die Kündigung überreichen.

    "Ich hatte bis heute eigentlich nie die Frage: Gehöre ich in diese Gesellschaft oder nicht, diese Frage hatte ich gar nicht, aber mittlerweile denke ich, wir gehören gar nicht dazu, die wollen uns gar nicht. "

    Deshalb wird Semiya Simsek das Land verlassen, in dem sie vor 25 Jahren geboren wurde. Enttäuscht von einem Staat, der es zuließ, dass Rassisten offenbar jahrelang unentdeckt morden konnten. Im Juni wird die Tochter des Blumenhändlers Enver Simsek in die Türkei ziehen.