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Im Schatten des großen Nachbarn
Corona-Management Taiwan

Taiwan gehört zu den Ländern weltweit, die die Ausbreitung des Corona-Virus trotz großer räumlicher und wirtschaftlicher Nähe zu China am besten gemanagt haben. Denn die Demokratie mit ihren knapp 24 Millionen Taiwanesen war vorbereitet und reagierte sehr schnell.

Von Carina Rother und Andre Zantow | 21.03.2020
KInd auf einem Spielplatz
Trotz Corona-Krise können Kinder in Taiwans Hauptstadt Taipeh auf die Spielplätze (Carina Rother / Deutschlandradio)
Ein Gemüsemarkt in Taipeh. Frau Su ist mit ihrem Einkaufs Trolley gekommen und trägt eine Maske vor dem Mund – wie derzeit alle im Straßenbild in Taiwan:
"Das ist unser Nationalcharakter: Wir sind es gewöhnt, Mundschutz zu tragen. Ich selber habe ein geschwächtes Immunsystem. Deswegen sagen die Ärzte, dass ich im öffentlichen Raum immer Mundschutz tragen soll. Damit schützt du dich selbst und Andere. Die Westler denken da vielleicht anders. Wir lernen auch schon in der Grundschule, wie man gründlich Hände wäscht. Das finde ich sehr gut."
Rücksichtnahme hat geholfen das Virus einzudämmen
Aber nicht nur die Rücksichtnahme in der Öffentlichkeit habe geholfen, das Virus einzudämmen. Es sei auch das Wissen über den großen Nachbarn China, erzählt die zierliche Frau aufgeregt – anders als in Europa:
"In Deutschland wurden zu langsam Schritte eingeleitet. Wir verstehen China. Wir sind sehr nah dran, und wir verstehen ihr Vorgehen und ihre Politik. Deswegen haben wir frühzeitig reagiert. Eigentlich denken wir, die europäischen Länder sind sehr weit entwickelt. Wir haben nicht damit gerechnet, dass sie zu langsam reagieren würden."
Fieberkontrollen vor jedem öffentlichen Gebäude
Taiwan hat schon Ende Januar Maßnahmen gegen das Corona-Virus ergriffen: Erst der Einreisestopp für Leute aus Wuhan – dem Ursprungsort des Virus, danach für ganz China. Seit Anfang Februar gibt es Fieberkontrollen vor jedem öffentlichem Gebäude und alle müssen sich die Hände desinfizieren, dazu umfassende Quarantänevorschriften für jeden Einreisenden. All das hat funktioniert.
Seit dem ersten bestätigten Corona-Fall in Taiwan am 21. Januar wurden bisher rund 150 Infizierte gemeldet, der Großteil sind Taiwaner, die aus dem Ausland zurückgekommen sind, deshalb stieg die Zahl in den vergangenen Tagen etwas an. Zwei ältere Menschen sind bisher gestorben.
Das öffentliche Leben geht weiter: Schulen und Universitäten sind geöffnet – nur im Februar gab es eine vorsorgliche Verlängerung der Winterferien um zweieinhalb Wochen. Die Leute gehen zur Arbeit, auch kleinere Veranstaltungen sind möglich, weil sich alle diszipliniert an die Sicherheitsmaßnahmen halten und es nicht zu großen Menschenansammlungen kommt.
"Es wird ein langer, globaler Kampf"
"Taiwan konnte zwar eine schwerwiegende Epidemie verhindern, aber es wird ein langer, globaler Kampf. Wenn Taiwan die Epidemie unter Kontrolle hat, aber der Rest der Welt nicht, und weiterhin Reisende ankommen, dann ist das für uns genauso schlecht. Das heißt, wir betreiben jetzt Früh-Prävention, aber wie lange sollen wir diese Früh-Prävention aufrechterhalten? Das wissen wir alle nicht."
Chiang Kuan Yu ist Präsident der NGO Taiwan International Health Diplomacy, die sich für medizinische Zusammenarbeit zwischen Taiwan und dem Rest der Welt einsetzt. Denn Taiwan ist kein Mitglied der Weltgesundheitsorganisation, weil Chinas Führung das nicht zulässt – sie erhebt Anspruch auf die demokratisch regierte Insel. Die Folgen dieser Politik spüre nun auch Europa, so der Arzt, der viel im Krankenhaus arbeitet und deshalb nur telefonisch erreichbar ist:
Europa hat die Gelegenheit zur Früh-Prävention verpasst
"Das größte Problem in Europa ist, dass sie die Gelegenheit zur Früh-Prävention verpasst haben. Denn sie haben von der Weltgesundheitsorganisation falsche Informationen bekommen. Die wirkliche Sterblichkeitsrate dieses Virus liegt in Wuhan laut der Fachzeitschrift ‚The Lancet‘ bei 20 Prozent und keinesfalls bei drei, wie es anfangs hieß. … Die WHO hat sich nicht getraut, sich in China einzumischen. Deswegen trägt diese Organisation die größte Verantwortung für die globale Epidemie."
Schwere Vorwürfe, die WHO-Chef Tedros bei einem Besuch in Peking zurückwies. China habe "uns sicherer gemacht", sagte er. Alle strengen Maßnahmen zur schnellen Eindämmung begrüße die WHO. Zu Taiwan kein Wort.
Dabei hat die Insel viel Erfahrung mit Erregern aus China. Arzt Chiang Kuan Yu erinnert an die SARS-Epidemie 2003, die auf Taiwan 73 Tote forderte, die bis heute sehr präsent ist und dazu beitrug, nun alle schnell in Alarmbereitschaft zu versetzen:
"Damals haben wir große Verluste erlitten und keine Informationen erhalten. Wir sind zum Epidemie-Gebiet geworden, wir saßen in der hintersten Reihe. Ihr habt alle Informationen erhalten, und uns wollte die WHO nichts sagen. Wir mussten die Epidemie alleine bekämpfen und waren international isoliert. Nicht nur die menschlichen Verluste, auch die wirtschaftlichen Verluste waren sehr hart."
Taiwan ist von der WHO ausgeschlossen
Um gegen den Ausschluss Taiwans von der WHO zu protestieren, reist William Tseng seit fast zwei Jahrzehnten nach Genf zur WHO-Konferenz und hält dort Protestplakate hoch. Auch 2019 war er da:
Der Aktivist der Lobby-Organisation TAIUNA, die sich bei UN-Organisationen für eine internationale Anerkennung Taiwans einsetzt, sitzt in einem Café in Taipeh, und hofft freudig auf die erstmalige Teilnahme an der WHO-Konferenz in diesem Jahr:
"Unter den jetzigen Umständen hat die WHO doch keine andere Wahl, als Taiwan zumindest dieses Jahr als Beobachter zur Weltgesundheitskonferenz einzuladen. China ist der Ursprung der Infektion und trägt die Hauptschuld. Auf der diesjährigen Weltgesundheitskonferenz muss untersucht werden, warum China nicht sofort die Fakten offengelegt hat. Und zweitens, wieso Taiwan trotz seiner erfolgreichen Prävention immer noch keinen Status als ständiger Beobachter hat."
Die größte Sorge von William Tseng ist jetzt, dass die WHO die Hauptversammlung im Mai absagen könnte. Und er sein Anliegen nicht mehr vortragen kann.
"So wie die Situation in Europa gerade ist, wird sie mindestens verschoben werden. Wir sind dagegen, aber wir befürchten, dass WHO-Generaldirektor Tedros die Konferenz absagen könnte. Dann müsste China vor den anderen Ländern keine Rechenschaft ablegen."