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"Im Westen nichts Neues" am Schauspiel Dresden
Bühnenadaption ohne Esprit

Angst, Monotonie und Schrecken - Erich Maria Remarque beschreibt im Roman "Im Westen nichts Neues" das Grauen des Ersten Weltkriegs. Mina Salehpour hat das Stück nun in Dresden auf die Bühne gebracht. Ein kraftloser Abend, der es nicht schafft, die Vorlage ins 21. Jahrhundert zu transportieren.

Von Thilo Sauer | 12.01.2020
Eine Szene aus dem Theaterstück "Im Westen nichts Neues" nach dem Roman von Erich Maria Remarque unter Verwendung einer Fassung von Kerstin Behrens und Lars Ole Walburg. Auf dem Bild: Lisa Natalie Arnold, Holger Hübner, Denis Geyersbach, Daniel Séjourné, Januar 2020
Der Krieg als schwarzes Ungetüm mit vielen Armen und Beinen - eine Szene aus "Im Westen nichts Neues" am Staatsschauspiel Dresden (Staatsschauspiel Dresden / Foto: Sebastian Hoppe)
Langsam geht das Licht im Kleinen Haus des Dresdener Schauspiels aus. Nur wer ganz genau hinschaut, kann erkennen, wie sich der rote Vorhang öffnet. Die nackten Körper der fünf Schauspielerinnen und Schauspieler werden kurz sichtbar. Schnell wird klar, dass sie Soldaten sind. immer wieder versuchen sie sich mit Feuerzeugen Zigaretten anzuzünden. Die Soldaten sind der Dunkelheit und dem Krieg schutzlos ausgeliefert. Doch es ist nicht ausschließlich die Angst vor dem Tod, die sie lähmt, sondern die Eintönigkeit eines Krieges, der scheinbar kein Ende findet.
"Erst müsst ihr alle da sein.
Wir sind alle da.
Wo sind die andern?
Die werden heute nicht von dir verpflegt – Feldlazarett oder Massengrab.
Aber, aber, aber …"
Die Dunkelheit bleibt über den Großteil der Inszenierung von "Im Westen nichts Neues" das bestimmende Element. Regisseurin Mina Salehpour verzichtet bei den meisten Szenen darauf, die Bühne umfassend auszuleuchten. Stattdessen setzt sie auf ausgesuchte Lichtquellen, auf rückwärtige oder schwache Beleuchtung. In diesem Krieg scheint es niemals wirklich Tag zu werden und kaum einen warmen Moment zu geben. In diesem Dämmerlicht entwickelt Mina Salehpour vereinzelte, starke Bilder.
Krieg als Ungetüm mit vielen Gesichtern
Die Darsteller stehen in einem Wassergraben, den Bühnenbildnerin Andrea Wagner in den Bühnenrand eingelassen hat. Die rückwärtige Bühnenwand hebt sich und durch einen schmalen Spalt dringt grelles Licht und blendet das Publikum, während die Soldaten von den Schrecken des Schlachtfeldes und den Gasangriffen erzählen. Erst als einer der Soldaten zum Urlaub in die Heimat fährt wird die Bühne ausgeleuchtet. Vier Schauspieler sind dabei in einen Schlauch aus schwarzer Folie gekrochen und haben ihre Köpfe und Arme wieder ins Freie gesteckt. Das schwarze Ungetüm mit vielen Gesichtern erörtert nun, wie man den Krieg zu gewinnen habe.
"Der Stammtisch beginnt zu erläutern, wo in Frankreich der Durchbruch zu machen sei. "Ich hab’s: Hört auf mit eurem Stellungskrieg und schmeißt die endlich raus. Dann ist Frieden."
Salehpour verlässt sich ganz auf das Buch von Remarque, den sie von den Schauspielern in den statischen Szenen rezitieren lässt. Dabei wollte die Regisseurin scheinbar Pathos vermeiden und lässt den Text eher beiläufig aufsagen. Dadurch verliert der Abend jedoch stark an Kraft, da die Schauspieler sich die Worte nicht gänzlich zu eigen machen: Sie stolpern über die Sätze, verkörpern die Szenen nicht und verleihen den Erkenntnissen Remarques keinen Nachdruck.
"Nummern von Kompanien. Bei jedem Ruf sondert sich ein Häuflein ab, ein karges, durcheinander gewürfeltes Häuflein fahler, schmutziger Soldaten, ein Rest von vielen Namen."
Licht als Fremdkörper
Wie lässt sich Krieg darstellen? Diese Frage beschäftigte Mina Salehpour. Denn Worte werden dem Geschehen oft nicht gerecht und Bilder können nur eine Illusion des Grauens bleiben. Deswegen zeigt die Regisseurin den Krieg nicht konkret und versucht stattdessen mit poetischen Mitteln die Trostlosigkeit einer Welt einzufangen, in der der Frieden keinen Raum mehr hat. Sie verzichtet auf komplexe Videoprojektionen oder Soundcollagen. Nur die binauralen Beats von Sandro Tajouri sorgen für an- und abschwellendes Summen im Zuschauerraum, das genauso gut von der Front stammen könnte. Salehpour verlässt sich auf die ursprünglichen Mittel der Bühne: Das Licht bekommt eine Hauptrolle, die immer wieder Akzente setzt und das Thema bestimmt. Es wirkt in den Szenen wie ein Fremdkörper und brennt bei manchen Auftritten in den Augen. Es wird in Form einer kleinen Flamme zum Lebensfunken und in Form einer Granate zur Bedrohung.
"Eine Leuchtkugel geht hoch. Diese verfluchten Leuchtschirme. Dann geht es los: ein Feuerball, Maschinengewehre knattern."
Verpasste Chance
Trotz dieser eindrücklichen Grundidee Salehpours bleibt die Inszenierung flach, eine Bebilderung des Textes, der allzu treu auf die Bühne gebracht wurde. Das Theater ist Kunstform der Gegenwart und sollte bei solchen Adaptionen die Vorlage auf ihre Aktualität prüfen und bis zur Zeitgenossenschaft aufbrechen. In Dresden bleibt Remarques Antikriegsroman jedoch ein historisches Dokument, das die Schrecken einer vergangenen Kriegsform fühlbar macht. Doch der Krieg hat sich weiterentwickelt, ist grausamer und unfassbarer geworden. Die Produktion am Dresdener Schauspielhaus verpasst damit in den 20er Jahren des 21. Jahrhundert die Chance, eine ähnliche Wirkung zu erzielen, wie die Vorlage in den 20ern des 20. Jahrhunderts.