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Im Zeichen der Schwerter

Eigentlich hatte der Apotheker Johann Friedrich Böttger nur ein bisschen herum experimentiert. Heraus kam das "weiße Gold", wie Porzellan zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch genannt wurde. 1710 wurde die Porzellanmanufaktur Meissen ins Leben gerufen.

Von Sabine Wuttke | 22.01.2010
    Es ist ein leises Klingen, das im Eingangsbereich an der Kasse ertönt. Es lässt nichts ahnen von dem scharfen Wind, der durch die Manufaktur fegt. Die alte Dame, die Mutter des europäischen Porzellans, hat elf Kriege überlebt, sechs verschiedene politische Systeme überdauert, ist weltberühmt - und steckt jetzt tief in der Krise. Christian Kurtzke, Geschäftsführer und "Notarzt" soll sie fit machen für das Überleben im 21. Jahrhundert.

    "Ich bin vor einem Jahr geholt worden, um das Unternehmen zu sanieren. Aber nicht kurzfristig, mit dem klassischen Bild des Sanierens, was man häufig dann hat, Mitarbeiterabbau, sondern nachhaltig und langfristig. Denn Meissen ist ein einzigartiges Kulturgut. Und wir haben vor, viel über die Vergangenheit zu sprechen, aber vor allem unsere Zukunft zu gestalten."

    Alles begann auf der über der Stadt thronenden Albrechtsburg. Hier schien das Geheimnis der Herstellung am besten geschützt, hier wurden die ersten Formen entwickelt, die ersten Dekore gemalt. In der Schauwerkstatt der Manufaktur unten im Triebischtal können die Besucher in verschiedenen Räumen die einzelnen Arbeitsschritte verfolgen. Mitarbeiter der Manufaktur führen vor, wie schon vor 300 Jahren gearbeitet wurde, angefangen von der Formgebung über die Bossiererei, dem Zusammensetzen einzelner Teile, bis hin zur Malerei. Daniela Lippert erläutert die einzelnen Arbeitsschritte:

    Eine Tasse mit dem berühmten Zwiebelmuster zum Beispiel beginnt ihr Porzellanleben als unförmiger Hohlkörper, dem sogenannten Hohlhubel.

    "Der Hubel wird in die Gipsform hinein gestellt und mit einem feuchten Schwämmchen vorsichtig gegen die innere Wand der Gipsform gedrückt. Sie sehen, wie jetzt die Tasse aus der Gipsform heraus genommen wird."

    Jetzt hat sie ihre charakteristische bauchige Gestalt. Die mit allen plastischen Verzierungen ausgeprägte Gipsform ist also der Ursprung aller Schöpfungen aus Meissen. Über 180.000 Formen aus den drei Jahrhunderten ihrer Geschichte sind aufbewahrt - in Häusern, in Kellern. In meterlangen Holzregalen liegen sie auf mehreren Etagen. Der materielle Wert dieses Archivs ist zwar nicht bezifferbar aber sein ideeller bedeutet

    "Für mich alles!",

    bekennt Jörg Danielczyk, der künstlerische Leiter für Gestaltung. Er sorgt dafür, dass die Modelle nicht verändert werden - Teller, die einem Blütenkelch ähneln, mit Schwanenhälsen verzierte Kannen, aufwendige Terrinen, die immer wieder in den alten Formen neu entstehen können. Ein Schatz, der allerdings immer weniger nachgefragt wird.



    "Was die Porzellan-Industrie, sage ich mal, am härtesten trifft, ist, dass sich die Tisch- und Tafelkultur negativ verändert. Tisch und Tafel sind aber der Geldbringer. Und wenn das weg bricht, wenn der Privatmann zur Feierlichkeit in ein Restaurant geht, nicht mehr zu Hause das Zwölfteilige eindeckt, dann ist die Nachfrage nicht mehr die. Ich hoffe immer noch, dass die Tisch- und Tafelkultur mal wieder zu dem wird, was sie mal war, ein Höhepunkt einer Feier."



    Doch auf Hoffnung allein kann das Traditionsunternehmen nicht bauen. Mit 21 Millionen steht es zurzeit in den roten Zahlen. In einem zweiten "Fundus" wartet ein Warenberg im Wert von 30 Millionen darauf, verkauft zu werden. 35 Millionen Umsatz erzielte das Unternehmen 2008. Nur fünf Millionen Euro mehr als das bestehende Warenlager, das darauf wartet, verkauft zu werden. Für den neuen Geschäftsführer die Gelegenheit,
    "mit einem Mythos aufzuräumen. Vielfach denkt man ja, Meissen, das steht für die Tisch- und Tafelkultur. Und es ist auch richtig. Wir haben entscheidend die Tisch- und Tafelkultur geprägt. Aber obwohl wir das geprägt haben, ist es nur eine unserer wichtigen Säulen. Die tragende Säule ist eine andere. Es ist die Inneneinrichtung und die Kunst. Und dieser Bereich, den wir zu neudeutsch 'fine living and art' oder Inneneinrichtung und Kunst nennen, der wird in Zukunft noch entscheidender für das Wachstum der Manufaktur sein."

    Wie leistungsfähig das Unternehmen zum Beispiel auf dem Gebiet der Wandgestaltung schon einmal war, zeigt anschaulich ein über 100 Jahre altes Vorbild, der sogenannte Fürstenzug in Dresden. Es ist das größte keramische Wandbild der Welt, misst 1000 Quadratmeter und besteht aus 25.000 Einzelteilen – angefertigt in Meißen. Auch für eine luxuriöse Inneneinrichtung aus Meissner Porzellan sieht Wolfgang Krause, Leiter der künstlerischen Wandgestaltung, Möglichkeiten. Vor einer Art Staffelei mit einer Wand aus blauen, unterschiedlich großen Fliesen skizziert er die Pläne:

    "Wir haben also vor, ganze Wände auszustatten, Inneneinrichtungen. Das heißt, wir denken an den Fußboden, wir denken an die Decke, an Interieur, an Leuchter, Bodenvasen und anderes mehr. Und wollen unter Umständen diese Wand auch sehr schlicht und einfach gestalten, indem wir sagen, ein interessantes Fugenbild und darauf einfache Farben."

    Hotels, private Villenbesitzer sind die Zielgruppe dieser extravaganten Innenarchitektur. An sie wendet sich auch die andere Innovation: Schmuck – Ketten, Ringe, Armreifen aus Porzellan, Gold und Brillanten. Wann und ob diese neuen Wege zum Ziel führen und in Meissen wieder schwarze Zahlen geschrieben werden, kann Christian Kurtzke nicht prognostizieren. Aber:

    "Ich kann sagen, dass Meissen 2009 geschafft hat, gegen den Trend der Branche, den Umsatz zu halten. Die Mitarbeiter entfesseln eine Energie mit Innovationen, die mich jeden Tag begeistern. Ich sag', wir machen Sprint und Marathon zugleich bei Meissen."

    www.meissen.de
    Eine Figur aus der Porzellanmanufaktur Meissen
    Auch die Bereiche Inneneinrichtung und Kunst sind tragende Säulen des Traditionsunternehmens. (Porzellan-Manufaktur Meissen)