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Imagewechsel
Kreuzchor ohne Kreuz

Zum 800. Geburtstag hat sich der berühmte Dresdner Kreuzchor ein neues Image verpasst: Die singenden Knaben treten weltgewandt und qualitätsbewusst auf – und weniger kirchlich. Das Kreuz kommt zwar noch im Namen vor, aber nicht mehr im Logo. Die Werbekampagne hat einen erbitterten Streit ums christliche Erbe ausgelöst.

Von Alexandra Gerlach | 30.03.2016
    Der Dresdner Kreuzchor singt in Begleitung durch das Orchester der Dresdner Philharmonie in der Kreuzkirche Dresden .
    Der Kreuzchor begeht in diesem Jahr sein 800. Gründungsjubiläum. Das Kreuz kommt zwar noch im Namen vor, aber nicht mehr im Logo. (picture alliance / dpa / Marko Förster)
    Er ist Dresdens ganzer Stolz: Der Kreuzchor. Doch seit Wochen schwelt der Streit. Meinungsbeiträge und Leserbriefe wechseln einander ab in der "Sächsischen Zeitung", Pfarrer und berühmte Ex-Kruzianer, wie etwa der Dresdner Tenor Peter Schreier oder der ehemalige Pfarrer der evangelischen Kreuzkirche, Joachim Zirkler nehmen Stellung. Gestritten wird um die Frage, ob das aufgefrischte, neue Erscheinungsbild des Kreuzchors noch christlich genug sei. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr zum 800. Geburtstag knirscht es mächtig im Gebälk. Irritiert wirkt auch der Dresdner Musikkritiker Michael Ernst, als er im MDR nach der aktuellen Außenwirkung des Chors befragt wird:
    "Na ja, ich bin der Meinung Tradition bedeutet ja nicht, dass alles so bleiben muss, wie es immer schon war. Aber dass ausgerechnet zum 800-jährigen Bestehen dieses Chores auf Modern gebürstet wird, das verwundert dann schon. Angefangen mit einem neuen Erscheinungsbild im Internet etwa, sowie in allen Broschüren und Publikationen des Chores da fällt mir auf und allen anderen natürlich auch, dass der Name, der ja auch mit 800 Jahren Kreuzkirche und Kreuzschule verbunden ist, plötzlich ganz ohne sein ursprüngliches Symbol auskommen muss. Kein Kreuz in der Broschüre!"
    Dass das Logo mit dem Kreuz fehlt, war dem Leipziger Thomaskirchenpfarrer im Ruhestand, Christian Wolff, schon vor Monaten aufgefallen. Die neue Kampagne ist ihm ein Dorn im Auge. Wolff betreibt einen durchaus politischen Blog im Internet und äußert sich regelmäßig zu Fragen der Zeit. Bereits im Dezember beklagte der diskussionsfreudige und wortgewaltige Pfarrer, das der Dresdner Kreuzchor das große Jubiläum offenkundig zum Anlass nehme, sich Zitat "von seiner gemeinsamen Geschichte mit Kreuzschule und Kreuzkirche und damit von seiner Jahrhunderte alten Trias aus Glauben, Musik und Bildung zu verabschieden. Stattdessen, so der Pfarrer weiter, liefere sich der Chor "total" einem Marketing aus, das nicht einen Inhalt kommuniziere sondern ihn dadurch vernichte, indem es sich selbst zum Inhalt mache.
    In diesem Sinne sorgte auch der große Festakt zum 800. Geburtstag des Jubilars Anfang März für Irritationen, zunächst, da er in der säkularen, prachtvollen Semperoper und nicht in der eigentlichen Heimstatt des Chores, der gleichfalls 800 Jahre alten Kreuzkirche stattfand. Vielleicht deshalb bekundete Kreuzkantor Roderich Kreile in seiner kurzen Ansprache explizit das grundlegende Wertefundament des Kreuzchors, als er sagte:
    "Wir sind ein städtischer Chor, der in ungebrochener christlich-humanistischer Tradition steht."
    "Wichtiger Botschafter des Evangeliums"
    In den nachfolgenden Festreden spielte diese ursprünglich reformatorische Verbindung von Bildung und Glauben auf die universal verständliche Musik dann jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Einzig die Rede des katholischen, sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich bildete die Ausnahme. Der Dresdner Kreuzchor, so Tillich, sei von Anbeginn ein wichtiger Botschafter des Evangeliums, der mit seinem Gesang im Gottesdienst eine große Bedeutung entwickle:
    "Er stiftet Gemeinschaft, führt die Gläubigen zusammen, ermöglicht es inne zu halten und sich gemeinsam auf den Glauben, auf das, was den Tag bestimmt zu besinnen und vorzubereiten und diesen Glauben musikalisch zum Ausdruck zu bringen."
    Die Regie des Festakts scheute mit einem opulenten Bilderbogen clipartig geschnittener Impressionen der 125 jungen Sänger keine Mühen, um die Bedeutung des weltberühmten Knabenchors in Szene zu setzen. Prachtvolle, sorgsam inszenierte Bilder zeigen die Kruzianer an der Ostsee und in China, in den Konzertsälen der Welt und dazwischen immer wieder Premiumprodukte aus sächsischer Produktion. Handgefertigte Luxusuhren, Meissner Porzellan, Hochleistungsforschung, sächsischer Wein und auch ein kurzer Blick auf die Kreuzkirche, allerdings ohne das Turmkreuz zu zeigen.
    Für den Leipziger Pfarrer im Ruhestand, Christian Wolff ist dieser Marketing-Ansatz des Chors, in dem "das Kreuz auf dem Turm dem Bildschnitt zum Opfer falle", fatal. Pünktlich zum Jubiläumsjahr sei der Kreuzchor hiermit im "ideologischen und religiösen Niemandsland angekommen".
    Häufigere Auftritte an sakulären Orten
    Diese Kritik sei völlig überzogen, meint hingegen der berühmte Dresdner Tenor Peter Schreier. Seine Zeit als Kruzianer liege zwar inzwischen 60 Jahre zurück aber er sehe keinerlei Anlass zur Besorgnis, dass der Chor sich von seinen christlichen Wurzeln entferne. Wie oft sollten denn Kreuzkantor und Chorknaben noch beweisen, dass sie, die wöchentlich Vespern und Gottesdienste musikalisch gestalteten, sich an ihre Wurzeln gebunden fühlten, fragt Schreier in einem Zeitungsinterview. Und überhaupt: wer kenne schon die Logos? Schließlich sei das Kreuz bereits im Namen des Kreuzchors enthalten, "mehr Kreuz gehe nicht", kommentiert Schreier.
    Das sieht auch der ehemalige Pfarrer der Kreuzkirche, Joachim Zirkler so. Er verteidigt zudem die in jüngerer Zeit häufigeren Auftritte des Chores an säkularen Orten wie dem Dresdner Hauptbahnhof, in einer Einkaufsgalerie oder wie zuletzt im Dezember im Dresdner Dynamo-Stadion. Dort erreiche der Chor Menschen, die ihn ansonsten nicht hören würden, sagt Zirkler und stützt damit Kreuzkantor Roderich Kreile, der nicht nur Lob erhielt für den vorweihnachtlichen Auftritt der Sängerknaben im Fußball-Stadion. Im MDR-Fernsehen verteidigt Kreile den neuen Kurs:
    "Wenn wir selber der Überzeugung sind, dass das, was wir machen, gut ist, den Kindern selber gut tut, aber auch in unserer Gesellschaft viel Gutes bewirken kann, dann wissen wir auch, dass wir vielen Menschen in manchen Lebenssituationen Trost und Kraft, mit unserem Tun spenden. Das wollen wir doch nach außen tragen und das das ist auch kein Dünkel. Nein, wir wollen sagen, seht her, hier ist eigentlich ein Schatz und jetzt lenken wir halt mal Scheinwerfer drauf, damit alle Leute sehen, da ist ein Schatz."