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Imam Benjamin Idriz über Frauen im Islam
"Den Koran in meiner Zeit verstehen"

Lassen sich die Frauen-Passagen des Korans neu deuten? Der Münchener Theologe und Imam Benjamin Idriz liest die islamischen Texte in einer Weise, die Frauen helfen soll. Er will religiös legitimierte Männergewalt mit theologischen Mitteln bekämpfen.

Von Abdul-Ahmad Rashid | 27.11.2019
Benjamin Idriz, Imam der Moschee Penzberg
In seinem neuen Buch beschäftigt sich Benjamin Idriz mit den Aussagen, die der Koran in Bezug auf Frauen macht. (imago stock&people)
Er ist einer der bekanntesten Muslime in Deutschland: Benjamin Idriz, seit fast 25 Jahren Imam der Moschee in Penzberg bei München. Der Theologe hat in Damaskus in Syrien seine theologische Ausbildung absolviert und spricht fünf Sprachen. Schon im Alter von elf Jahren lernte er den Koran auswendig. In seiner Moschee predigt Benjamin Idriz auf Deutsch.
In seinem neuen Buch "Der Koran und die Frauen. Ein Imam erklärt vergessene Seiten des Islam" beschäftigt sich der Theologe nun, als Mann, mit den Aussagen, die der Koran in Bezug auf Frauen macht.
Dieser Beitrag über das neue Buch von Benjamin Idriz wurde in einer Sendung mit einem Beitrag über das neue Buch von Necla Kelek gesendet. Die Redaktion setzt auf Meinungsvielfalt.
"Immer wieder, wenn ich Menschen begegne, dann kommt die Frau in den Vordergrund. Die Stellung der Frau, warum die Frauen hinter den Männern beten, warum die Frauen Kopftuch tragen, warum ein Mann vier Frauen heiraten darf, und warum ein Mann laut dem Koran seine Frau schlagen darf, und so weiter und so fort."
"Frauenfeindlichkeit bis heute erschreckend präsent"
Es geht dem Theologen darum, dass muslimische Männer ihr Verhalten ernsthaft überdenken sollen. Idriz kritisiert, dass Männer ihre Dominanz gegenüber Frauen aus dem Koran abgeleitet hätten. Für ihn eine Fehlinterpretation, die sich über Jahrhunderte festgesetzt habe.
"So wichtig es ist, dass wir sehen und anerkennen, wie der Koran und der Prophet die Lage der Frauen verbesserten, so wenig dürfen wir zulassen, dass mit dieser Einsicht eine andere Realität verdrängt oder verharmlost wird: Die Tatsache, dass die Muslime nach dem Tod des Propheten die Reformen des Korans und des Propheten nicht fortsetzten. Durch die Geschichte räumten muslimische Rechtsgelehrte und Koranexegeten, sicher auch unreflektiert, Männern den Vorrang und die Privilegien gegenüber Frauen ein. So ist in der Literatur, im Diskurs und im Denken und Tun einiger Muslime Frauenfeindlichkeit bis heute erschreckend präsent, und es wird ungeheuer viel Einsatz, Mut und langwierige Arbeit erforderlich sein, um das muslimische Unterbewusstsein davon zu befreien."
Text zeitgemäß interpretieren
Dieses tradierte Denken möchte der Theologe nun aufbrechen. Rechte und Pflichten von Frau und Mann spielten im Koran eine zentrale Rolle, so Idriz. Daher müssten die entsprechenden Stellen im Text zeitgemäß interpretiert werden: "Die Vernunft erlaubt mir, den Koran in meiner Zeit, für meine Bedingungen zu verstehen."
Idriz analysiert die Verse des Korans und kommt dabei zu neuen Erkenntnissen. So beispielsweise in Bezug auf Vers 34 in Sure 4 des Koran: Dort wird den Männern angeblich erlaubt, ihre Ehefrauen zu schlagen.
"Und diejenigen, deren Widersetzlichkeit ihr befürchtet, – ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie. Wenn sie euch aber gehorchen, dann sucht kein Mittel gegen sie. Gott ist erhaben und groß." (Koran Sure 4, Vers 34)
Das arabische Wort für schlagen, "daraba", deutet der Theologe aber anders:
"Das kommt dreiundfünfzig Mal im Koran vor. In keiner Stelle wurde als ‚schlagt sie‘ übersetzt, nur in dieser Stelle. Da habe ich gesagt, das kann nicht richtig sein. Ich bin der Meinung, aber nicht der einzige, sondern ich habe die Meinung einiger Gelehrter in der Türkei, die sich mit dem Koran auseinandersetzen, die zu dem Schlussgedanken gekommen sind, dass das Wort nicht 'schlagt sie' bedeutet, sondern ‚trennt euch eine Weile‘."
"Das Ziel des Korans war, Polygamie zu überwinden"
Auch weitere Reizthemen scheut der streitbare Theologe nicht, wie beispielsweise die vom Koran sanktionierte Polygamie. So heißt es im Koran in Sure 4, Vers 3:
"Und wenn ihr befürchtet, nicht gerecht hinsichtlich der Waisen zu handeln, dann heiratet, was euch an Frauen gut scheint, zwei, drei oder vier. Wenn ihr aber befürchtet, nicht gerecht zu handeln, dann (nur) eine. Das ist eher geeignet, dass ihr nicht ungerecht seid." (Koran, Sure 4, Vers 3)
Idriz plädiert hier für eine historische Einbettung dieser Verse:
"Das Ziel des Koran war, Polygamie zu überwinden, in normalen Situationen abzuschaffen, in kriegerischen Situationen vielleicht wiederzubeleben, je nach Bedarf. Das kann auch eine Lösung sein. Aber in einer Zeit, es viele Witwen gibt, wo viele Frauen gibt, die nicht in der Lage sind, Männer zu finden - das kann auch eine Lösung sein in einer Zeit, wo Krieg herrscht. Aber wenn Frieden herrscht, dass wir den Koran so verstehen, zwei, drei oder vier Frauen zu heiraten, das ist gegen den Willen des Korans."
In Deutschland ist die Mehr-Ehe gesetzlich verboten, doch finden sich auch hierzulande immer wieder Fälle, auch in muslimischen Familien. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn die Ehen im Ausland geschlossen wurden. Idriz verurteilt diese Praxis, "weil der Koran explizit sagt, es ist besser für die Männer, dass der Mann nur eine Frau hat."
Religiös legitimierte Gewalt von Männern
Idriz geht in seinem Buch mit den tradierten Interpretationen kritisch um, versucht Lösungen zu finden, wie der Koran heute interpretiert werden kann. Doch wieso braucht es einen Text aus dem 7. Jahrhundert als Legitimation, um die längst in der Gesellschaft verankerte Gleichberechtigung zu begründen?
"Ich will einen Muslim sehen vor mir und, dass er nicht den Konflikt zwischen dem Koran und dem Grundgesetz sucht. Sondern einen Muslim will ich sehen, der sagt: Meine Offenbarung, mein Koran, ist eine Offenbarung für alle Zeiten. Alle Schriften danach, die entstanden sind, können zu dieser göttlichen Offenbarung führen, und das, was ich im Grundgesetz sehe, dass die Geschlechter gleichberechtigt sind, eben in diesem Paragraph sehe ich den Geist des Korans. Und deswegen: Ein Muslim kann nicht im Widerspruch leben zwischen dem Koran und den Werten, die wir in Deutschland haben."
Idriz versteht sein Buch auch als Hilfe für muslimische Frauen in deutschen Großstädten mit hohem muslimischem Bevölkerungsanteil. Denn viele litten unter einer religiös legitimierten Gewalt von Männern: "Ein Muslim ist erst dann ein guter Muslim, wenn er mit seiner Frau gut umgeht."
Warum muss ein Mann die Frauen befreien?
In seinem Buch kritisiert Idriz Autorinnen mit "muslimischem Namen, die aufgrund negativer biografischer Erlebnisse dem Islam oft kritisch bis feindselig gegenüber stünden". Doch es stellt sich die Frage, warum es ein Mann sein muss, der die Frauen befreien will?
Manchem Leser mag der Ansatz von Idriz nicht weit genug gehen. So verteidigt er weiterhin das Kopftuch für erwachsene Frauen – das für Kinder lehnt er kategorisch ab – und will auch keine Frauen als Vorbeterinnen für gemischte Gebete. Sein Ansatz bietet dennoch Muslimen eine Möglichkeit, ihre Religion mit den Anforderungen einer modernen, nichtmuslimischen Gesellschaft in Einklang zu bringen – ohne ihre Traditionen aufzugeben.
Idriz theologische Reflektionen sind nicht wirklich neu, aber mutig. Idriz Verdienst ist es, neue Koran-Deutungen aufzugreifen und einem größeren Publikum bekannt zu machen. Der Autor, der in der Vergangenheit immer wieder auch durch verbale Angriffe gegen liberale Muslime in den sozialen Medien bekannt geworden und deswegen nicht unumstritten ist, wird sich in Zukunft an seinen im Buch formulierten Positionen und Aussagen messen lassen müssen. Vor allem ist "Der Koran und die Frauen" aber ein Buch, das in erster Linie nicht von muslimischen Frauen gelesen werden sollte, sondern von muslimischen Männern.
Benjamin Idriz: "Der Koran und die Frauen. Ein Imam erklärt vergessene Seiten des Islam"
Gütersloher Verlagshaus, 192 Seiten, 18 Euro.