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Imbiss-Eröffnung nach Anschlag in Halle
"Die Menschen stehen zu uns"

Der "Kiez-Döner" war beim Anschlag von Halle einer der Tatorte. Dort erschoss der Attentäter eines seiner Opfer. 40 Tage später wurde der Imbiss wiedereröffnet. Der Besitzer konnte dabei einen prominenten Kunden begrüßen. Die Rückkehr in den Alltag fällt aber weiter schwer.

Von Christoph Richter | 18.11.2019
Izzet Cagac, Betreiber des Kiez-Döners, steht vor seinem Imbiss in Halle und telefoniert. Ministerpräsident Haseloff und der Opferbeauftragte der Bundesregierung haben den vom rechtsextremen Terroranschlag betroffenen Kiez-Döner besucht.
Hat 40 Tage nach dem Anschlag seinen Imbiss wiedereröffnet: Besitzer Izzet Cagac (dpa-Zentralbild / dpa / Jan Woitas)
"Grüß Dich, hallo! Ich freue mich …"
Reiner Haseloff ist einer der ersten Gäste im Kiez-Dönerimbiss in der Hallenser Ludwig-Wucherer-Straße. Der Ort, an dem Kevin S. ums Leben kam und vom Attentäter erschossen wurde. Sachsen-Anhalts Regierungschef Haseloff grüßt, wird wie ein langjähriger Stammgast empfangen. Und löst sein Versprechen ein, mit Inhaber Izzet Cagac nach der Wiedereröffnung den ersten Döner gemeinsam zu essen:
"Ja, das ist ganz wichtig, dass der Imbiss wieder eröffnet. Weil, der gehört einfach zu Halle. Und allein diejenigen, die aus meiner Verwandtschaft, ja als Studenten regelmäßig sich beköstigt haben, erwarten einfach, dass es wieder losgeht. Ja, das ist ein Bestandteil der kulturellen Identität."
Bei Bekannten des Opfers ist der Schmerz noch spürbar
Haseloff plaudert, ist interessiert. Lässt sich die Erinnerungsecke zeigen, die Freunde zum Gedenken an Kevin eingerichtet haben. Mittendrin eine goldene Gedenktafel, drauf steht: 'Wo Liebe wächst, gedeiht Leben – wo Hass aufkommt, droht Untergang'. Der Schmerz sitze noch tief, erzählt die 18-jährige Anne Kühne, eine Freundin des Verstorbenen:
"Also, wir haben die Gedenkecke gestaltet, haben tapeziert. Hier draußen mit aufgeräumt. Also wir haben dem Besitzer echt geholfen."
Es war eine Chance, von ihrem Kumpel richtig Abschied zu nehmen. Mit dem sie viel gelacht und Quatsch gemacht habe, sagt die junge Frau noch:
"Also ehrlich: Mir geht es nicht gut. Es ist eine Ehre für mich, dass ich zur Eröffnung kommen darf, dass ich dabei sein kann. Aber es fällt mir noch schwer."
40 Tage Trauerzeit - gemäß islamischer Tradition
Jetzt hat man den Imbiss wiedereröffnet. Wie es in der islamischen Tradition üblich ist, nach einer 40-tägigen Trauerzeit.
"Das gehört dazu. Weil, 40 Tage nach dem Tod löst sich das Fleisch vom Knochen, sagt man bei uns. Die Trauerzeit ist dann abgeschlossen. Deswegen wollen wir jetzt ein Zeichen setzen. Das machen wir mit einem kostenlosen Essen, danach werden wir schauen."
Damit alle was bekommen, hat Izzet Cagac 800 Kilogramm Fleisch gekauft, dazu Salat und Brot. Was am Ende leider aber nicht für alle gereicht habe, ergänzt er noch. Jetzt wünsche er sich sehnlichst nur noch eins, sagt Izzet Cagac – dass endlich wieder Normalität einkehre. Zur Eröffnung des Döner-Ladens ist auch Notfallseelsorgerin Thea Ilse gekommen, Sachsen-Anhalts Landespolizeipfarrerin:
"Ich finde es toll, dass Izzet den Laden wieder aufmacht, dass sie überlegen, wie es weitergehen soll. Weil es heißt, mit den beiden, die verstorben sind, ist nicht alles zu Ende. Sondern wir können in der Stadt mit einer klaren Haltung weiterleben."
Zusammen mit seiner Familie wohnt Inhaber Izzet Cagac seit 20 Jahren in Halle. Und besitzt insgesamt vier Imbiss-Läden. Den Laden in der Ludwig-Wucherer Straße – am Rande des gutbürgerlichen Paulusviertels – hat er seinen beiden Mitarbeitern Ismet und Rifat Tekin geschenkt, die zur Zeit des Attentats dort arbeiteten. Und nur mit viel Glück überlebt haben.
"Normalität wird es nie wieder geben, aber wir leben weiter"
"Die haben etwas überlebt, was schrecklich war. Da muss ich selber ein Zeichen setzen, dass ich sage: Jetzt nach 14 Jahren, so lange arbeiten die Brüder schon bei mir, dass die irgendwie belohnt werden. Das muss passieren, damit die wieder Schwung bekommen. Normalität wird es nie mehr geben, aber wir werden weiterleben."
Aber – so traurig es ist – sagt Izzet Cagac noch, bei den Menschen in Halle an der Saale habe sich seit dem Terroranschlag auch etwas verändert:
"Die sind freundlicher geworden. Auf jeden Fall. Grüßen jetzt immer. Vorher war es nicht so. Nur die paar, die man gekannt hat, haben gegrüßt. Ansonsten ist der Rest nur vorbeigelaufen. Aber jetzt, wenn ich hier stehe, ist es völlig anders. Das ist ein schönes Gefühl. Die Menschen stehen zu uns."
Doch es gibt einen Wermutstropfen. Denn nachdem Izzet Cagac im Internet ein Manifest veröffentlicht hat, indem es heißt, dass man sich nicht spalten, den Hass nicht ins Herz lassen dürfe, werde Stimmung gegen ihn gemacht, erzählt er. Es heiße, er würde sich am Terroranschlag bereichern, würde Unmengen an Spenden erhalten. Izzet Cagac ist zutiefst verärgert, weil es nicht stimme, sagt er. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff springt für ihn in die Bresche:
"All das, was man Ihnen versucht in den dissozialen Netzwerken hinterherzuschieben, da muss ich sagen, das ist absoluter Unsinn. Das lassen wir uns auch nicht gefallen, dem werden wir auch entgegentreten. Und alles was Sie an moralischer Unterstützung brauchen, das bekommen Sie auch."
Später steht auch noch der US-amerikanische, in Bremen geborene, Fußball-Profi des Drittligisten Hallescher FC, Terrence Boyd, zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern im Laden und lässt es sich munden. Und macht damit genau das, was Haseloff von den Hallensern fordert: Kommt vorbei, esst einen Döner im Kiez-Imbiss, das sei die beste Form der Solidarität:
"Ich habe auf Knoblauch verzichtet, weil ich noch einen Termin mit meiner Frau habe. Aber ansonsten kann ich nur sagen: rein, Döner kaufen, essen und genießen."