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Immer mehr können nur noch Teilzeit arbeiten

Für viele junge Kreative ist Teilzeit-Arbeit ein Traum, weil sie genug Zeit fernab des Jobs lässt. Aber: Teilzeitstellen sind ein Hinweis auf zunehmend prekärere Arbeitsverhältnisse. Und in Deutschland ist ihr Anteil in den letzten zehn Jahren im EU-Vergleich besonders stark gestiegen. Das zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Von Gerhard Schröder | 19.10.2011
    Zehn Millionen Menschen in Deutschland arbeiten Teilzeit. Das sind 43 Prozent mehr als vor zehn Jahren. So das Ergebnis einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Demnach ist der Anteil der Teilzeitjobber seit dem Jahr 2000 von 19 auf 26 Prozent gestiegen. Deutschland liegt damit weit über dem EU-Durchschnitt, sagt Karl Brenke, der Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Ein Ergebnis, das Zündstoff birgt. Denn es findet eine recht banale Erklärung für die erstaunlichen Erfolge im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit:

    "Es ist ja so, dass die Regierung immer wieder darauf hinweist. Das Beschäftigungsniveau ist so hoch wie nie zuvor in der Bundesrepublik - das stimmt. Das kam aber vor allen Dingen durch Teilzeitarbeit zustande. Die geleisteten Arbeitsstunden, also das Arbeitsvolumen, das hat sich überhaupt nicht erhöht. Wir haben aber sehr viel mehr Leute auf dem Arbeitsmarkt, das heißt immer mehr Leute arbeiten im Schnitt immer kürzen."

    Das deutsche Arbeitsmarktwunder ist gar keines, sagt der Arbeitsmarktforscher Brenke. Die Erfolge am Arbeitsmarkt sind lediglich das Ergebnis einer Umverteilung. Es wird nicht mehr in Deutschland gearbeitet als vor zehn Jahren, die Arbeit wird nur anders verteilt.

    Ganz neu ist der Befund des DIW nicht. Dass immer mehr Menschen Teilzeitarbeiten, ist den Statistikern der Bundesagentur für Arbeit zu entnehmen. Mehr Teilzeitstellen zu schaffen, sei ja auch erklärter politischer Wille gewesen, sagt Heike Helfer, die Sprecherin von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Mit dem Teilzeit- und Befristungsgesetz habe die Politik vor zehn Jahren die Hürden für Teilzeitarbeit gesenkt, gerade auch, um jungen Eltern mehr Spielraum zu geben, um Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren. Dass die Teilzeit aber so dramatisch gestiegen sein soll, wie das DIW ermittel hat, überrascht aber auch die Bundesregierung:

    "Es ist ein wenig zu früh. Wir haben die Studie noch nicht analysiert, ich hab' die Pressemeldung des DIW gelesen. Es ist nicht ganz neu. Also es deckt sich teilweise auch mit Beobachtungen, die das IAB schon vorgelegt hat. Insgesamt gesehen, müsste ich aber so eine Beurteilung nachreichen, weil mir schlicht keine Bewertung des Hauses vorliegt."

    Teilzeit ist nach wie vor eine Domäne der Frauen, jede Zweite arbeitet reduziert. Viele, weil sie mehr Zeit für Kindererziehung oder auch die Pflege eines Angehörigen haben möchten. Bei Männern ist Teilzeit noch nicht so verbreitet, hat aber in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen. Inzwischen hat jeder sechste die Arbeitszeit reduziert. Viele allerdings nicht ganz freiwillig, sagt DIW-Forscher Karl Brenke.

    "Man sieht eine relativ hohe Anzahl von Personen, die wegen eines Mangels an Vollzeitstellen auf Teilzeit sind und deren Anteil hat in den letzten Jahren auch noch zugenommen, das heißt Teilzeitarbeit ist auch zum Teil Spiegelbild einer Misere auf dem Arbeitsmarkt und immerhin 2 Mio. Personen sind davon betroffen, dass Sie nur deshalb einen Teilzeitjob haben, weil sie keine Vollzeitstelle finden können."

    Jeder fünfte Teilzeitjobber würde seine Arbeitszeit gern ausdehnen. Dieses Potenzial könnte man nutzen, um ein anderes drängendes Problem zu lösen: Den Kampf gegen den Fachkräftemangel.

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    Mal Politologin, mal Rikschafahrerin, mal Kellnerin - Prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse (DLF) *