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Immobilien im Naturschutzgebiet

Bulgarien ist ein Land mit einem großen Anteil fast unberührter Natur und einer Artenvielfalt, die in Europa einzigartig ist. Doch überall im Land entstehen neue Hotelkomplexe, Golfanlagen und Skigebiete, und das sogar in Naturschutzgebieten. Viele dieser Bausstellen sind aber illegal. Dagegen hat sich mittlerweile eine breite Protestbewegung mit vorwiegend jungen Menschen formiert. Aus Bulgarien berichtet Simone Böcker.

17.07.2008
    Ein Büro in einem unscheinbaren grauen Wohnblock in Sofia: Der Arbeitsplatz von Jordanka Dineva und ihren Kollegen von der Biodiversity Foundation. Eine kleine Vogelstatue steht auf ihrem Schreibtisch. Von hier aus koordiniert sie die Kampagne für das Rila-Gebirge. Mitten im Nationalpark mit seinen Bergseen soll ein riesiges Skiressort entstehen.

    " 80 Prozent des Ressorts liegen im Rila-Nationalpark. Dafür gibt es keine Erlaubnis. Der Lift sollte nicht bis zu den Seen führen, aber die Pläne wurden dahingehend geändert. Eigentlich ist es nicht unsere Aufgabe, andere zum Einhalten der Gesetze zu bringen. Aber weil es sonst niemand tut in Bulgarien sind wir Umweltschützer gezwungen, wie Juristen die Gesetze zu studieren und dann Beschwerden zu schreiben. "

    Die 25-Jährige steckt sich die langen braunen Haare hoch. Was Umweltschutz in Bulgarien in der Praxis heißt, hat sie mittlerweile gelernt. Dazu gehört auch die Lektion, dass die illegalen Machenschaften der Bauinvestoren meist ungestraft bleiben.

    " Wir können nicht mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass eine Verbindung zur Mafia besteht. Aber wenn man ständig Mahnungen an die Behörden schickt und überhaupt nichts passiert, dann liegt diese Verbindung zwischen Investoren und staatlichen Institutionen sehr nahe. "

    "Ich kann mich nicht von dir trennen, Gebirge" heißt es in dem Lied, das als Hymne für Rila geschrieben wurde. Mit Demonstrationen und Unterschriftensammlungen versuchen Hunderte junger, freiwilliger Aktivisten, die Bedrohung für die einzigartige Gebirgslandschaft in die Öffentlichkeit zu bringen. Stanislav Boyadjiev war einer derjenigen, die im letzten Oktober Infomaterial vor Ort an der Baustelle verteilen wollten.

    " Plötzlich kam noch ein Auto, da saßen vier, fünf ganz kaputte Typen drin, versoffen verraucht, fürchterlich. Dann sind sie raus, ja, was wollt ihr hier, und dann ging's los. "

    Stanislav hat 13 Jahre in Deutschland gelebt. Weil ihm die Natur gefehlt hat, ist er zurück nach Bulgarien gekommen.

    " Die jungen Leute waren dann schon erschrocken, man hat ja auch gesehen, die haben Waffen gezogen, Messer, die gingen dann auf uns wieder los: haut ab, das ist hier unseres, hier wird gebaut, egal ob ihr wollt oder nicht, wenn ihr nicht wollt, machen wir euch klein. Wir haben gesagt, gut jetzt weg. Rein in die Autos und weg. "

    Ins Rila-Gebirge fahren er und seine Freunde seitdem nicht mehr. Die Angst steckt ihnen immer noch in den Knochen. Oftmals werden auch Bürger in den Orten, wo neue Bauprojekte entstehen sollen, von den Baufirmen eingeschüchtert, erzählt Jordanka Dineva. Die Verflechtung dieser Firmen mit der Politik sei offensichtlich.

    " Seit einem halben Jahr liegt ein neues Gesetz vor zum strengeren Naturschutz. Aber es geht nicht durchs Parlament. Denn dort sitzen Leute mit engen Kontakten zu den Investoren. Deswegen haben sie kein Interesse etwas zu verändern. "

    Doch helfen auch Gesetze nichts, wenn sie nicht eingehalten werden. Die Hoffnung liegt wie bei vielen Dingen in Bulgarien bei den EU-Institutionen. Im Mai haben Umweltschützer eine Petition mit 150.000 Unterschriften für den Schutz des Rila-Gebirges an EU-Umweltkommissar Dimas übergeben. Wenn Bulgarien sich nicht an die Auflagen des Europäischen Umweltschutzprogramms Natura 2000 halte, so Dimas, könnte der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof landen.