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Immunität gegen SARS-CoV-2
Wie lange bleiben Infizierte geschützt?

Aktuell haben in Deutschland etwa 180.000 Menschen eine Infektion mit dem neuen Coronavirus überstanden. Ob diese Genesenen Monate, Jahre oder nur Wochen vor einer erneuten Ansteckung geschützt sind, ist noch unklar. Trotzdem lassen sich schon Konsequenzen aus den bisherigen Erkenntnissen ziehen.

Von Volkart Wildermuth | 01.07.2020
Zwei Frauen sind zu sehen, eine mit, eine ohne Mund-Nasen-Schutz
Die Dauer der Immunität nach einer Corona-Infektion lässt sich nur über lange Beobachtungszeiträume schlüssig belegen (picture alliance/Geisler-Fotopress/Christoph Hardt)
Was weiß man über die Langzeit-Immunität gegen SARS-CoV-2?
Können sich ehemals Infizierte ein zweites Mal anstecken?
Wie lange sind Patienten vor einer zweiten Coronavirus-Infektion geschützt?
Kann man praktische Konsequenzen aus den bisherigen Erkenntnissen ziehen?
Haben Impfstoffentwickler jetzt auch ein Problem?
Viele Eigenschaften von SARS-CoV-2 sind wissenschaftlich noch nicht ausreichend verstanden. Unklar ist auch, wie lange jemand nach einer Infektion mit dem neuen Coronavirus immun ist. Befunde der vergangenen Wochen sprechen eher dafür, dass die Immunität nicht allzu lange anhält, was auch mit Blick auf die Impfstoffentwicklung gegen COVID-19 eine schlechte Nachricht wäre. Über den aktuellen Forschungsstand wurde auf einer virtuellen Pressekonferenz des Science Media Centers Deutschland informiert.
Was weiß man über die Langzeit-Immunität gegen SARS-CoV-2?
Da zeichnet sich erst ganz langsam ein Bild ab. Tatsächlich ist dieses Virus ja nicht nur für unser Immunsystem neu, sondern auch für die Forscher. Sie begleiten die Epidemie und können deshalb nur nach und nach etwas über die Immunantwort herausbekommen. Die ersten Nachrichten waren positiv: In München wurden zum Beispiel die 16 Patienten des Webasto-Ausbruchs untersucht. Und da stellte sich erst einmal heraus: Alle haben Antikörper gebildet, die sie vor einer zweiten Infektion schützen sollten. Dann gab es aber beunruhigende Berichte aus Südostasien. Da wurden fünf Patienten beschrieben, die als geheilt entlassen wurden - und dann erneut an COVID-19 erkrankten. Allerdings blieb zunächst unklar, ob das Virus bei denen zwischendurch tatsächlich verschwunden war.
Gerade erschien eine Arbeit in Nature Medicine. Die beschreibt 37 Personen, die sich in Wuhan zwar angesteckt hatten, die aber nicht wirklich krank geworden sind. Bei 40 Prozent dieser Personen waren die Antikörper nach acht Wochen wieder verschwunden - und auch bei vielen Personen, die tatsächlich wegen COVID-19 im Krankenhaus waren. Auch bei 40 Prozent der Webasto-Patienten fallen inzwischen die Antikörspiegel deutlich ab.
Können sich ehemals Infizierte ein zweites Mal anstecken?
Nicht unbedingt, meinte Stephan Becker, Virologe von der Universität Marburg. Denn auch Blutproben mit wenig Antikörpern wiesen zum Teil eine erhebliche Aktivität gegen SARS-CoV-2 auf. Es gibt auch Hinweise, dass es weniger auf die Antikörper im Blut, als auf die in den Schleimhäuten ankommt. Außerdem sind Antikörper nur ein Teil des Immunsystems. Der ist aber für Wissenschaftler am leichtesten sichtbar zu machen deshalb am besten untersucht. Genauso wichtig sind aber zum Beispiel die Gedächtniszellen für Antikörper, die bei einer erneuten Infektion die Produktion der passenden Antikörper schnell wieder hochfahren könnten.
Leif-Erik Sander von der Berliner Charité konnte aus eigenen Untersuchungen berichten, dass auch die T-Zellen auf SARS-CoV-2 reagieren. T-Zellen sind ein weiteres Element der Immunantwort: T-Helfer-Zellen können andere Immunzellen aktivieren und T-Killer-Zellen töten infizierte Zellen ab. Beide T-Zell-Typen finden sich bei genesenen COVID-19-Patienten und überraschenderweise auch bei einigen Personen, die das Virus noch gar nicht hatten. Wahrscheinlich waren sie früher mit Schnupfen-Coronaviren infiziert und bildeten daraufhin T-Zellen, die auch das neue SARS-CoV-2 in einem gewissen Maße erkennen und bekämpfen können.
Wie lange sind Patienten vor einer zweiten Coronavirus-Infektion geschützt?
Das kann man nicht mit Hilfe von Laborparametern bestimmen. Das lässt sich nur über lange Beobachtungszeiträume schlüssig belegen. Deshalb gibt es an vielen Kliniken in Deutschland Sprechstunden für Genesene, um genau solche Fragen zu klären. Aber das wird noch Monate dauern. Solange kann man nur Vergleiche ziehen. Bei den Corona-Schnupfenviren ist es so, dass der Immunschutz nur wenige Monate anhält, man kann sich schon im nächsten Winter mit dem gleichen Virus erneut infizieren. Sollte das auch auf SARS-CoV-2 zutreffen, wäre das eine schlechte Nachricht.
Es sieht aber so aus, als ob andere Coronaviren, also SARS und MERS eine deutlich längere Immunantwort auslösen würden. Aber wem das neue Coronavirus hier ähnelt, das kann derzeit noch niemand sagen, dafür braucht es einfach noch Zeit. Man darf nicht vergessen, die ersten COVID-19-Patienten haben ihre Infektion erst seit sieben Monaten hinter sich.
Kann man praktische Konsequenzen aus den bisherigen Erkenntnissen ziehen?
Ja, kann man. Der Infektionsepidemiologe André Karch aus Münster zum Beispiel sagt: Solange es unklar ist, ob die Immunantwort gegen SARS-CoV-2 dauerhaft ist, ist es zu früh auf eine Strategie der Herdenimmunität zu setzen. Denn die basiert ja darauf, dass große Teile der Bevölkerung für lange Zeit vor dem Virus geschützt sind. Außerdem sagt er auch, dass dieses Konzept der Immunpässe nicht aufgeht. Da ist ja die Vorstellung: Man misst die Antikörper und wer die hat, gilt als geschützt vor SARS-CoV-2 und kann sein normales Leben ohne Einschränkungen wieder aufnehmen. Neben den ethischen Problemen funktioniert das schon aus biologischen Gründen nicht. Erstens sind längst nicht alle Antikörpertests in der Lage, wirklich spezifisch den Schutz vor SARS-CoV-2 zu messen - einige reagieren auch auf harmlose Schnupfencoronaviren. Vor allem aber ist ja nicht klar, wie lange der Schutz anhält.
11.06.2020, Schleswig-Holstein, Westerland/Sylt: Ein gebrauchter Mundschutz mit Resten von Lippenstift liegt am Strand vor der Strandpromenade von Westerland auf Sylt. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther besuchte am Donnerstag die Nordseeinsel um sich ein Bild von der aktuellen Lage auf der Insel zu machen. (zu dpa «»Sehr diszipliniert« - Sylt gut vorbereitet für Saison») Foto: Christian Charisius/dpa | Verwendung weltweit
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Haben Impfstoffentwickler jetzt auch ein Problem?
Nein, denn Impfstoffe sollen nicht unbedingt die natürliche Immunität gegen SARS-CoV-2 nachbilden. Es kann gut sein, dass sie auf eigenen Wegen für einen starken Schutz sorgen. Stephan Becker, der Virologe von der Uni Marburg, ist da sehr optimistisch - auch weil es inzwischen über 200 Impfstoffprojekte gibt, von denen etliche ja bereits in ersten Phasen klinisch erprobt werden. Leif-Erik Sander von der Charité sieht das ähnlich, gibt allerdings zu Bedenken, dass sich fast alle Projekte auf das Spike-Protein auf der Außenseite des Virus konzentrieren. Wenn das für einen Schutz nicht ausreicht, wird es schwieriger. Und André Karch betont, dass die Daten im Moment gut aussehen mögen, was die Immunantwort auf die Impfstoffe betrifft. Aber entscheidend ist, ob die Vakzine die Menschen auch im praktischen Leben schützen. Und das kann sich erst in den großen Phase 3-Studien zeigen. Und da werden vor Ende des Jahres kaum belastbare Ergebnisse vorliegen.
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