Freitag, 19. April 2024

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Immunitätsausweis nach COVID-19-Infektion
"Prämiert wird, wer sich nicht an die Regeln hält"

Der Soziologe Armin Nassehi hat sich gegen einen Immunitätsausweis nach einer überstandenen Corona-Infektion ausgesprochen "Es könnte einen Anreiz für junge, gesunde Menschen geben, sich zu infizieren, um diesen Ausweis zu bekommen und Vorteile zu haben", sagte er im Dlf.

Armin Nassehi im Gespräch mit Tanya Lieske | 04.05.2020
Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Hier ein Portät vor der TV Talkshow "Hart aber Fair".
Armin Nassehi in Professor für Soziologie in München. (picture alliance / Sven Simon)
Sogenannte "Immunitätsausweise" für genesene Covid-19-Patienten sind aktuell ein Debattenthema. Während die einen sie für ein wichtigstes Instrument für eine funktionierende Gesellschaft halten, zeigen sich andere besorgt – nicht nur um die damit einhergehende Stigmatisierung.
Der Soziologe Armin Nassehi hält Immunitätsausweise für ethisch und rechtlich problematisch. "Wir wissen noch nicht genug darüber, ob jemand, der Antikörper hat, tatsächlich immun ist. Aber selbst wenn es sicher wäre, gibt es damit ausreichend Probleme. Es könnte einen Anreiz geben, sich zu infizieren als junger gesunder Mensch, um diesen Ausweis zu bekommen und Vorteile zu haben", sagte er im Interview mit dem Deutschlandfunk.
Zudem könnte es verfassungsrechtlich bedenklich sein, "wenn man Menschen je nachdem, ob sie Antikörper haben oder nicht, bestimmte Rechte zuweist, bestimmte Veranstaltungen zu besuchen, einen Arbeitsplatz zu haben oder ähnliches."
Regelverstoß wird belohnt
Durch einen solchen Ausweis entstehe eine "definierte Ungleichheit der Gesellschaft", so Nassehi. "Eigentlich wird damit prämiert, dass man sich nicht an die Regeln hält, damit man sich ansteckt und dann bestimmte Rechte oder Möglichkeiten hat und andere, die sich nicht angesteckt haben, dann schlechter gestellt werden." Eine solche Einteilung der Gesellschaft verändere den Blick auf andere Menschen. "Wie schauen wir uns den anderen eigentlich an? Es wird so etwas wie eine Misstrauenskultur über den Körper des anderen etabliert."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Das widerspreche allem, was man im Hinblick auf die Inklusion von Menschen in die Gesellschaft kenne. Inklusion basiere auf einer "Gleichheitsunterstellung". Aber das Ergebnis eines Tests "publik zu machen, einen Ausweis zu vergeben, gewissermaßen die eigenen Daten zu Markte zu tragen, wäre eine Form von Ungleichheit, die die Gesellschaft Leuten zuweist, die vollkommen unverschuldet in eine solche Situation gekommen sind", sagte Nassehi.
"Wir müssen tastend auf Sicht fahren"
Einer Tracing-App kann der Soziologe, der auch Mitglied der Akademie Leopoldina ist, unter bestimmten Bedingungen etwas Positives abgewinnen: wenn es gelänge, "aus der App nicht auf individuelle Personen so zu schließen, dass ihr Verhalten eingeschränkt wird, sondern, dass die Leute in der Lage sind, sich selber einzuschränken."
EIn mann mit Schutzmaske vor dem Mund steht auf der Straße und schaut auf sein Smartphone, April 2, 2020, Barcelona, Spanien 
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Nassehi deutete den Immunitätsausweises als Versuch, in der aktuellen Unsicherheit Kontrolle zurückzugewinnen. "Allein die Tatsache, dass wir noch gar nicht wissen, wie viele Menschen in der Bundesrepublik infiziert sind und was das für Todesraten und Raten von Schwerkranken usw. bedeutet, ist ein Hinweis darauf, dass wir in einer Situation leben, die von einem starken Kontrollverlust geprägt ist. Und da scheint es sehr sinnvoll zu sein, etwas zu haben, was leicht zu verstehen ist."
Es sei schwierig, richtig zu entscheiden. "Wir müssen eigentlich tastend auf Sicht fahren", rät Nassehi. Ein Immunitätsausweis sei keine gute Lösung. "Wahrscheinlich ist es sinnvoller, flächendeckende Tests zu machen, als Menschen mit einem Ausweis auszustatten, der es ihnen gestattet, in eine stärkere Normalität zurückzukehren."