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Immunsystem
Die Abwehr in die Wiege gelegt

Nach der Geburt muss einem Neugeborenen ein ziemlicher Spagat gelingen: Es muss Millionen nützlicher Bakterien in seinem Darm ansiedeln und gleichzeitig verhindern, dass Krankheitserreger eindringen. Wie das Immunsystem Ungeborener sich während der Schwangerschaft vorbereitet, haben Forscher nun genauer untersucht.

Von Christine Westerhaus | 18.03.2016
    Illustration eines Clostridium bacterium - das Bakterium kommt vor allem in Böden und im Verdauungstrakt von höheren Lebewesen vor.
    Eine Illustration von Bakterien. Neugeborene müssen nach der Geburt mit einem riesigen Ansturm fertig werden. (imago/Science Photo Library)
    Wenn ein Kind geboren wird, gelangt es von einer nahezu sterilen Umgebung plötzlich in eine Welt voller Bakterien und Viren. Trotzdem können die meisten Neugeborenen ihren Darm mit nützlichen Mikroben besiedeln, ohne dabei krank zu werden. Wie das gelingen kann, haben Andrew Macpherson und seine Kollegen von der Universität Bern an Mäusen untersucht. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass es die Bakterien der Mutter sind, die die Weichen für das spätere friedliche Miteinander von Maus und Mikrobe sorgen.
    "Früher dachte man, dass nach der Geburt die Reifung des Darms und seine Besiedlung mit Bakterien gleichzeitig passieren. Unsere Ergebnisse zeigen aber, dass bestimmte Moleküle, die die mütterlichen Bakterien absondern, schon vor der Geburt in den Körper des Fötus gelangen und sein Immunsystem stimulieren. Dieser Prozess bereitet das Ungeborene auf den Tsunami an Mikroben vor, der nach der Geburt auf das Neugeborene zurollt."
    Die Forscher hatten den Nachwuchs keimfrei aufgewachsener Mäuse mit Artgenossen verglichen, die während der Schwangerschaft mit bestimmten Bakterien beimpft worden waren. Dabei entdeckten sie, dass das Immunsystem derjenigen Nager, deren Mütter während der Schwangerschaft von Bakterien besiedelt waren, deutlich aktiver war, als bei den Nachkommen der keimfreien Tiere. Zudem beobachteten die Forscher, dass die Nachkommen der besiedelten Mäuse Bakterien und ihre Stoffwechselprodukte nach der Geburt besser tolerierten: Die Immunzellen verhinderten, dass Bakterien Entzündungen auslösten und über die Darmwand in den Körper eindrangen.
    Ein möglichst ausgewogenes Verhältnis nützlicher Bakterien
    "Das bedeutet, dass diese Vorbereitung des Immunsystems verhindert, dass aus nützlichen Bakterien schädliche Keime werden. Wir kennen das beispielsweise von Escherichia coli, ein Bakterium, das jeder Mensch in geringen Mengen in seinem Darm beherbergt. Gelangt es bei Neugeborenen über die Darmwand in andere Gewebe, kann es dort schwere Infektionen hervorrufen."
    Auch so genannte chronisch entzündliche Darmerkrankungen entstehen, weil Bakterien aufgrund einer Störung in das Innere der Darmwand und damit in den Körper gelangen. Viele Studien haben auch nachgewiesen, dass bei bestimmten Krankheiten, wie beispielsweise Diabetes, das Miteinander der Bakterien im Darm gestört ist. Es sei deshalb wichtig, das sich nach der Geburt ein möglichst ausgewogenes Verhältnis nützlicher Bakterien im Darm ansiedelt, so Andrew Macpherson.
    "Die Abfolge der Bakterien, die den Darm besiedeln, ist entscheidend, damit ein Tier eine gesunde Darmflora entwickelt. Diese Besiedlung geschieht in Wellen und wahrscheinlich ist ausschlaggebend, welche Bakterien sich direkt nach der Geburt im Darm niederlassen, weil sie gewissermaßen den Grundstein dafür legen. Wir haben zwar noch nicht untersucht, ob die mütterlichen Bakterienmoleküle darauf einen Einfluss haben. Doch es ist sehr wahrscheinlich, da wir uns seit Jahrtausenden gemeinsam mit diesen Bakterien entwickelt haben."
    Zurückhaltung bei Antibiotika
    Da das für alle Säugetiere gilt, gehen die Forscher davon aus, dass es beim Menschen einen ähnlichen Mechanismus gibt. Dass Schwangeren manchmal Antibiotika verschrieben werden, die unspezifisch auch nützliche Bakterien angreifen, hält Mcpherson für unkritisch. Doch leichtfertig sollten diese Mikrobenkiller nicht verschrieben werden.
    "Antibiotika sterilisieren den Köper ja nicht. Aber was sie tun, ist, sie verändern die Zusammensetzung der mütterlichen Mikrobiota, weil manche Keime empfindlicher auf Antibiotika reagieren als andere. Und das könnte auch einen Effekt darauf haben, welche Bakterien sich im Neugeborenen ansiedeln, da es ja nach der Geburt die meisten Mikroben von der Mutter bekommt, zum Beispiel auf dem Weg durch den Geburtskanal."
    Als Nächstes wollen Macpherson und seine Kollegen untersuchen, ob die mütterlichen Bakterien auch einen Einfluss auf das Allergierisiko der Ungeborenen haben.