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Imperialismus im Namen Allahs

Ein in der islamischen Welt verbreiteter Mythos ist die Annahme, das Christentum betreibe seit dem Mittelalter Imperialismus, dem Islam hingegen seien Menschen, Länder, Kontinente einfach zugeflogen. Dieses Schwarzweiß-Bild spiegelt sich heute mehr denn je in vielen Schulbüchern: Von Marokko bis Pakistan wachsen Kinder mit der Gegenüberstellung der friedlichen Überzeugungskraft des Islam und der kolonialistischen Aggression des Christentums auf. Kaum ein säkular denkender Intellektueller hinterfragt das. Islamische Prediger leiten immer wieder ihre Rhetorik daraus ab, die sich dank der internationalen arabischsprachigen Satellitensender ins Unendliche multipliziert. Efraim Karsh, Leiter des Mediterranean Studies Programme am King's College der Londoner Universität, hat sich vorgenommen, mit diesem Mythos aufzuräumen. "Imperialismus im Namen Allahs." - Marc Thörners Rezension beginnt mit einer Leseprobe.

Rezensent: Marc Thörner | 12.02.2007
    Besatzer aus der Heimat zu vertreiben, ist ein Akt der Selbstbefreiung. Fremde Länder zu erobern und deren Bevölkerung zu unterjochen, ist purer Imperialismus. Weder die nordafrikanischen Berber, die ihre islamischen Eroberer bekämpften, noch die Dritte-Welt-Bewegungen des 20. Jahrhunderts, die sich dem europäischen Kolonialismus widersetzten, wollten die Heimat ihrer Imperialherren erobern. Doch [...] Mohammed (bat) seine Anhänger genau darum, als er 622 aus seiner Heimatstadt Mekka nach Medina geflohen und dort statt zu einem privaten Prediger zu einem politischen und militärischen Führer geworden war: nicht die fremde Besatzung abzuschütteln, sondern nach einer neuen weltweiten Ordnung zu streben, in der die gesamte Menschheit dem Islam anhängt oder zumindest unter der Herrschaft des Islam lebt.

    Ephraim Karsh belegt in seinem Buch detailreich, dass die Expansion des arabischen Reiches ein klassisches imperialistisches Projekt war, in dem die Religion in erster Linie als Vehikel fungierte. Um den ersten islamischen Staat von Medina zu konsolidieren, wurden bereits zu Lebzeiten Mohammeds jüdische Stämme niedergemetzelt. Später richtete sich die Gewalt der imperialistisch denkenden Omayaden-Kalifen gegen die konkurrierenden Anhänger Alis, die Schiiten. Und unter Umar, einem der ersten Kalifen, durften Juden und Christen zwar ihren Glauben behalten, waren aber Auflagen unterworfen, die sich, wie Efraim Karsh das tut, durchaus mit dem Wort Apartheid charakterisieren lassen:

    In Umars Reich ein Araber zu sein hieß, an der Spitze der Gesellschaft zu stehen. Man zahlte einen bescheidenen religiösen Zehnten, der mehr als wettgemacht wurde durch die Beute, die man [...] erhielt. [...] Das stand in deutlichem Gegensatz zu der schweren Steuerlast, unter der die übrige nichtmuslimische Bevölkerung [...] zu leiden hatte. [...] Juden und Christen mussten besondere Kleidung tragen, damit man sie von ihren muslimischen Herren unterscheiden konnte, durften nur auf Eseln reiten, konnten keine muslimischen Frauen heiraten, mussten ihre Plätze verlassen, wenn sich Muslime setzen wollten, waren von Machtpositionen ausgeschlossen und so weiter und so fort.

    Der "Imperialismus im Namen Allahs", so Efraim Karsh, ziehe sich wie ein roter Faden durch die islamische Geschichte. Als Belege dafür nennt er das Reich der Osmanen, die Großmachtansprüche der Perserschahs, den Versuch, nach dem Ersten Weltkrieg mit Hilfe des legendären T.E. Lawrence ein arabisches Königtum zu schaffen, geht dann in eine Beschreibung des arabischen Nationalismus über, behandelt die Fälle Nasser und Saddam Hussein, macht einen Abstecher zu Khomeini und landet schließlich bei Bin Laden. Das Osmanenreich lässt sich mit Fug und Recht als ein Beleg für den "Imperialismus im Namen Allahs" anführen. Doch bei den folgenden Beispielen gerät Karsh langsam vom Thema ab - hinein in eine Nacherzählung der arabischen Geschichte vom 17. bis zum 21. Jahrhundert. - Sicherlich war Religion in der panarabischen Rhetorik ein immer wiederkehrender Bezug - aber in einem nationalen Sinn. Bismarck, das viel zitierte Vorbild arabischer Nationalisten, berief sich bei der Gründung eines deutschen Reiches immer wieder auf das Christentum. Als Religionsführer ist er nicht bekannt geworden. Die iranische Revolution als Beispiel für ein imperiales Projekt zu nennen, ist nicht weniger fragwürdig. Der Revolutionsführer Khomeini hat zweifelsohne versucht, seine Ideologie von der Herrschaft der Religionsgelehrten zu exportieren. Da sie der eigenen schiitischen Tradition, der apolitischen Grundhaltung, der Diskussionsorientiertheit und Auffächerung des schiitischen Klerus widerspricht, ist das seinen Nachfolgern bis heute nicht gelungen. Der Islamismus wiederum ist eine Ideologie mit Absolutheitsanspruch, doch kein Imperialismus, dazu fehlt ihm das konstruktive Element. Auch das letzte im Buch genannte Beispiel: Osama Bin Laden und seine im Februar 1998 gegründete "Front für den Dschihad gegen die Juden und die Kreuzfahrer" taugt nicht wirklich, um einen neuen "Imperialismus im Namen Allahs" zu belegen, auch wenn Karsh das mit einer Aneinanderreihung von Zitaten versucht:

    "Mir wurde aufgetragen, alle Männer so lange zu bekämpfen, bis sie sagen‚es gibt keine Gottheit außer Gott."
    Abschiedsbotschaft des Propheten Mohammed, März 632.

    "Mir wurde aufgetragen, die Menschen so lange zu bekämpfen, bis sie sagen, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und Muhammad sein Prophet ist." Osama Bin Laden, November 2001."


    Damit begibt sich der Autor in bedrohliche Nähe zur Traktatenliteratur, wie sie an arabischen Kiosken aushängt. Dabei, und dies ist das Merkwürdige an Karshs Ansatz, liegen die Beispiele auf der Hand. Zwischen 1901 und 1950 hätte die al Saud-Familie die Arabische Halbinsel nicht unter Kontrolle bringen können, ohne den Dschihad gegen die Feinde des reinen Glaubens zu erklären. Allein der religiöse Impetus verschaffte den al Saud Macht über die auseinanderdriftenden Stämme dieses riesigen Gebiets und soviel Autorität, dass sie sich ohne Probleme von den europäischen und US-amerikanischen Nichtmuslimen Geld zustecken lassen konnten. Die staatliche Einigung Marokkos von 1912 bis 1934 wäre undenkbar gewesen, wenn sich der Sultan nicht auf französisches Betreiben die Aura eines gottgesandten Führers der Gläubigen gegeben hätte. Das sudanesische Regime legitimierte sein Vorgehen gegen den animistisch und christlich geprägten Süden mit der zivilisatorischen Überlegenheit des Islam. - Noch viele weitere Beispiele ließen sich anführen, in denen sich von Imperialismus im Namen Allahs sprechen lässt. Der Autor hat ein wichtiges Thema angerissen. Welch eine spannende Geschichte! Aber eine Geschichte, die zu schreiben bleibt.


    Efraim Karsh: Imperialismus im Namen Allahs. Von Muhammad bis Osama Bin Laden. DVA. München 2007. 400 Seiten. 24,95 Euro.