Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Impfen statt schneiden?

Medizin. - Forscher suchen schon seit vielen Jahren gezielt nach Unterschieden zwischen Tumorzellen und normalen gesunden Zellen. Genauer gesagt, nach Strukturen, die nur auf der Tumorzelle zu finden sind und die sich nutzen lassen, um das Immunsystem gegen die Krebszellen zu aktivieren.

Von Martin Winkelheide | 01.03.2004
    Wir müssen beschreiben, was auf dem Tumor vorkommt, was das Immunsystem sehen soll und was sonst nicht vorkommt.

    Stefan Stevanovic, Biochemiker an der Universität Tübingen, weiß, solche genau beschreibbaren Unterschiede, so genannte "definierte" Antigene, zu finden - das ist aufwändig und mühsam. Und bei den wenigsten Tumorarten sind Forscher bislang fündig geworden. Mediziner von der Urologischen Universitätsklinik Lübeck sind deshalb einen anderen Weg gegangen, als sie ausprobierten, ob eine Immuntherapie Patienten mit einem Nierenzellkrebs davor schützen kann, einen Rückfall zu bekommen. Sie entwickelten einen Impfstoff auf der Basis der Krebszellen der Patienten, wie Studien-Autor Christian Doehn erläutert.

    Das sind dann keine ganzen Tumorzellen mehr, sondern das sind Fragmente dieser Tumorzelle, die für den Patienten selbst unschädlich sind, - wie wir unter anderem auch im Tierversuch nachweisen konnten.

    Der Impfstoff wird unter die Haut eingespritzt, dort wird er von spezialisierten Zellen erkannt, innerlich verarbeitet und wiederum anderen Zellen der Körperabwehr präsentiert, wie wir sagen. Die Präsentation führt dazu, dass diese Abwehrzelle sich so umgestaltet, dass sie derartige Zellen immer wieder erkennen würde in der Zukunft und diese Zellen gezielt abtöten kann.

    So das Konzept der Lübecker Impfstudie. Der Impfstoff enthält nicht genau definierte Oberflächenstrukturen der Krebszellen, sondern viele verschiedene Strukturen. Auch solche, die auf normalen, gesunden Körperzellen zu finden sind. Gegen diese Art von Impfversuchen hat der Biochemiker Stefan Stephanovic grundsätzliche Vorbehalte.

    Wir haben immer das Problem, wenn man solche undefinierten Impfstoffe nimmt, dann ist natürlich die genaue Dokumentation, die wir einfordern, nicht möglich. Wenn ich so ein "teuflisches Gebräu" – was Leute schon gesagt haben – in Patienten reinspritze, auch wenn es ihr eigener Tumor ist, und das Immunsystem soll darauf reagieren, wissen wir nicht, gegen was da reagiert wird.

    Christian Doehn dagegen verweist auf die Ergebnisse der Lübecker Impfstoffstudie. Patienten, die nach der Nierenkrebs-Operation im Monatsabstand sechs Mal den Impfstoff erhielten, hätten seltener einen Rückfall erlitten, also Tochtergeschwülste ausgebildet.

    Nach einer derartigen Operation werden in etwa zwei Drittel der Patienten geheilt sein. Mit dieser Therapie, die wir durchgeführt haben, sind von 100 Patienten, die behandelt worden sind, 13 weniger erkrankt als im Vergleich zur nicht behandelten Gruppe.

    Die Fachzeitschrift "The Lancet", in der die Ergebnisse veröffentlicht wurden, wertet die Studie als so wörtlich "immunologischen Durchbruch" - aber die Impfung könne noch nicht als neuer Standard in der Behandlung von Nierenkrebs angesehen werden. Auf dem Krebskongress in Berlin kritisierten Experten denn auch, die Studie lasse noch viele Fragen offen. Das liegt zum einen an der Methode der Durchführung. Alle sechs Monate prüften Röntgenärzte, ob ein Patient eine Metastase entwickelt hatte oder nicht. Sie wussten dabei, ob sie die Aufnahmen eines geimpften Patienten analysierten oder eines Ungeimpften. Allein dieses Wissen, gibt Kurt Miller von der Charité Berlin zu bedenken, könne beeinflussen kann, zu welchem Befund ein Röntgenarzt komme.

    Es kann sein, dass der Therapiearm zu optimistisch beurteilt wird.

    Natürlich gibt es viele eindeutige Befunde, wo man sagt: keine Frage, das ist hier eine Metastase, und das wird jetzt auch so interpretiert. Es gibt aber auch Befunde, die natürlich interpretierbar sind. Schwerer noch wiegt, dass die Lübecker Studie keine wissenschaftlich gesicherte Aussage darüber macht, ob Patienten die Impfung wirklich nützt. Kurt Miller:

    Es gibt zwei wesentliche Kriterien, die für alle Studien in der Onkologie gelten, an denen man den Nutzen einer Therapie misst. Das eine ist Reduktion von möglicherweise mit der Therapie verbundene Symptome wie Schmerzen, oder andere Widrigkeiten. Und das andere ist, Überlebensverlängerung. Bei diesen Patienten ist weder das eine noch das andere gemessen worden, sondern es ist der Progressionsvorteil gemessen worden.

    Leben Patienten dank der Impfung länger? Studienautor Christian Doehn gibt zu.

    Darüber können wir keine definitive Aussage treffen. Es könnte sein, dass sie länger leben. Aus rein klinischer Sicht würde man das sogar erwarten, denn wenn ein Patient eine Metastase vom Nierenzellkarzinom bekommt, dann lebt er durchschnittlich ein bis anderthalb Jahre.

    – das ist aber eine indirekte Schlussfolgerung. Der direkte Nachweis, dass der Nutzen für den Patienten da ist, ist aber nicht erbracht worden.

    Dennoch hat das Hannoveraner Pharma-Unternehmen "Liponova", das den Impfstoff herstellt, einen Antrag gestellt - auf EU-weite Zulassung.