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Impfung gegen Coronavirus
Lernen aus Vorgängerviren

Das SARS- wie auch das MERS-Virus, die 2003 und 2012 bereits auftraten, zählen zur Familie der Coronaviren. Die Erfahrungen damit begünstigen die Entwicklung eines Impfstoffes gegen das neue Virus aus China. Bis es diesen gibt, könnte es trotzdem noch eineinhalb bis zwei Jahre dauern.

Von Volkart Wildermuth | 28.01.2020
Eine Spritze liegt auf einem aufgeschlagenem Impfpass.
Bei der Entwicklung eines Impfststoffes gegen das Virus aus China hilft die Erfahrung mit anderen, vergleichbaren Erregern (dpa)
Ein neues, gefährliches Virus in China, das sich weltweit verbreitet. Das sorgt auch in deutschen Laboren für Hochbetrieb.
"Oh ja. Wir haben damit angefangen, auch wieder mit vielen Kollegen deutschlandweit daran zu arbeiten. Und zwar weil ich glaube, es ist wichtig, das zu machen und sich vorzubereiten. Und wir lernen einfach mit jedem neuen Ansatz, den wir machen, viel dazu. Wir werden immer schneller."
Stephan Becker vom Institut für Virologie der Universität Marburg ist Spezialist für die Entwicklung von Impfstoffen. Seine Arbeiten reichen zurück zum Ausbruch des SARS-Virus im Jahr 2003 und wurden dann weitergeführt, als 2012 das MERS-Virus im Nahen Osten auftrat. Beide Erreger zählen zur Familie der Coronaviren und gegen beide gibt es inzwischen Impfstoffe, die gerade die ersten klinischen Studien durchlaufen.
"Diese Erfahrung kann man auch benutzen, gegen das neue Coronavirus einen Impfstoff zu machen."
Trotz enger Verwandschaft zu SARS wichtige Unterschiede
Das neue Virus ist zwar eng mit dem SARS-Virus verwandt, ausgerechnet sein Hüllprotein – zentral für die Immunabwehr – unterscheidet sich aber deutlich. Deshalb wird der SARS-Impfstoff aus der Laborschublade vermutlich nicht vor dem Wuhan-Virus schützen. Trotzdem wird das in China gerade überprüft. Parallel dazu passt Stephan Becker die bereits in Marburg etablierte Impfstoffplattform an den neuen Erreger an. Sie beruht auf einem im Grunde harmlosen Virus, das sozusagen verkleidet wird. In sein Genom bauen die Forscher nämlich die Gene für die Außenseite des jeweiligen Krankheitserregers ein. Das Immunsystem reagiert auf diese Verkleidung, auf die Hüllproteine des Erregers, und bildet Antikörper, die – hoffentlich – vor ihm schützen.
"Also die Synthese von dem Gen, das wir benötigen, wird jetzt in dieser Woche abgeschlossen sein, sodass wir dann beginnen können mit den Arbeiten, um die rekombinanten Viren zu machen. Und dann kann man relativ schnell über Tierversuche nachdenken."
Lungenkrankheit: Wie gefährlich ist das neuartige Coronavirus?
An einer bislang unbekannten Lungenkrankheit sind in China nach offiziellen Angaben inzwischen rund 4.500 Menschen erkrankt und mehr als 100 gestorben. Auch in Deutschland wurde ein erster Fall bestätigt. Auslöser ist wohl ein neues Virus aus der Gruppe der Coronaviren. Es ähnelt dem Sars-Virus, ist aber weit weniger aggressiv.
Impfung frühstens in anderthalb bis zwei Jahren marktreif
Ein Problem dabei: Von dem neuen Virus sind nur die Erbgut-Sequenzen bekannt, der Erreger selbst wurde noch nicht isoliert. Deshalb gibt es bislang auch kein Tiermodell der Infektion, in dem man die Wirksamkeit eines künftigen Impfstoffs erproben könnte. Aber das ist nur eine Frage der Zeit. Wenn in einigen Monaten klar sein sollte, im Labor funktioniert der Impfstoff, würde die nächste Stufe beginnen. Damit das potenzielle Vakzin am Menschen erprobt werden kann, muss es unter GMP ("Good Manufacturing Practice") hergestellt werden, also unter extrem reinen Bedingungen. Erst dann könnten klinische Studien starten.
"Also wenn alles optimal läuft, würde ich denken, anderthalb bis zwei Jahre ist das Schnellste. Aber man muss dazu sagen, es ist ja nicht nur die Impfung, die bei neuen Viren eine Rolle spielt. Sondern man muss natürlich auch überlegen, gibt es die Möglichkeit, zum Beispiel antivirale Medikamente zu entwickeln, die breiter wirksam sind als nur für ein einziges Virus."
An Wirkstoffen gegen Coronaviren ganz allgemein arbeitet Rolf Hilgenfeld aus Lübeck, ebenfalls Mitglied des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung. Der Chemiker war sowieso schon auf dem Weg nach China, als das neue Coronavirus für Schlagzeilen sorgte.
"Ich glaube, der hat einige von seinen Inhibitoren dabei, um mal gucken zu lassen, ob das neue Coronavirus sich auch von diesen Inhibitoren hemmen lässt."
Weitere Forschung an Medikamenten und Impfstoffen wichtig
Selbst wenn er dabei einen Treffer landet, wäre es noch ein weiter Weg vom Wirkstoff bis zum zugelassenen Medikament. Vielleicht ist der Ausbruch bis dahin längst vorbei, schließlich war das SARS-Virus ein gutes Jahr nach seinem ersten Auftreten auch schon wieder verschwunden. Trotzdem hält Stephan Becker die Forschung an Medikamenten und Impfstoffen für wichtig.
"Wir wissen nicht genau, ob dieses Virus sich möglicherweise in der menschlichen Bevölkerung festsetzt und wir dann häufiger mit Erkrankungen, die durch dieses Coronavirus ausgelöst werden, konfrontiert sind. In so einem Fall macht dann ein Impfstoff natürlich perfekt Sinn. Nur: Das kann man im Moment nicht vorhersagen, wir wissen nicht genau, wie die Geschichte jetzt weitergeht."
Wie auch immer die Lage sich entwickelt, die Forschung an Impfstoffen und Medikamenten ist auf jeden Fall nützlich. Denn das Beispiel des neuen Virus aus Wuhan zeigt: Coronaviren sind in der Lage, von ihren Wirten aus dem Tierreich auf Menschen überzuspringen und schwere Krankheiten auszulösen. SARS, MERS und jetzt 2019nCoV sind dafür die ersten Beispiele. Aber sie werden wohl nicht die letzten bleiben. Und dann ist es gut, wenn die Forscher schon Erfahrungen gesammelt haben und schnell reagieren können.