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"In allen drei Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft"

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Ernst-Reinhard Beck hat davor gewarnt, die Bundeswehr nach den Vorfällen an Bord der "Gorch Fock" und dem Todesfall in Afghanistan unter Generalverdacht zu stellen. Zunächst müsse das Ergebnis der Ermittlungen abgewartet werden.

Ernst-Reinhard Beck im Gespräch mit Anne Raith | 22.01.2011
    Anne Raith: Die Bindung zwischen Gesellschaft und Armee wird mit der Aussetzung der Wehrpflicht brüchiger, die Entfremdung könnte größer werden. Und Ereignisse wie diese könnten diese Tendenz noch verstärken. Inzwischen hat Verteidigungsminister zu Guttenberg erste Konsequenzen gezogen, den Kommandanten des Segelschulschiffs Norbert Schatz abgesetzt, die sofortige Rückkehr der Gorch Fock angeordnet. Bis auf Weiteres soll die auch nicht mehr auslaufen. Entsprechende Berichte sind vom Verteidigungsministerium jetzt bestätigt worden. Darüber möchten wir in den kommenden Minuten sprechen mit Ernst-Reinhard Beck, er ist der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Ehrenpräsident des Verbandes der Reservisten der deutschen Bundeswehr. Guten Morgen, Herr Beck!

    Ernst-Reinhard Beck: Guten Morgen, Frau Raith!

    Raith: Herr Beck, zuerst hat der Minister gemahnt abzuwarten, und nun zieht er doch relativ überraschend Konsequenzen. Musste er da einsehen, dass er falsch lag?

    Beck: Ich kann jetzt im Augenblick nicht beurteilen, was also den Minister bewogen hat, praktisch heute Nacht zu entscheiden, dass der Kapitän der Gorch Fock nun von seinem Kommando abgelöst wurde. Er hat aber angedeutet, dass, wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, dass er dann also auch umgehend Konsequenzen ziehen wird.

    Raith: Die Opposition hat angemerkt, dass offiziell bislang ja nur die Version der Crew vorliegt, und nicht die der Schiffsführung. Hat zu Guttenberg da am Ende zu voreilig gehandelt?

    Beck: Ich glaube auch, Frau Raith, darüber kann man im Augenblick nicht entscheiden. Man hat auf der einen Seite in den letzten Tagen immer wieder bemängelt, dass das Ministerium zu zögerlich, zu langsam handelt, dass der Minister jetzt halt handeln muss. Jetzt hat er gehandelt und er bekommt wieder Vorwürfe. Also wie gesagt, in der Gorch-Fock-Frage ist ja zunächst auch mal gehandelt worden, der Lehrgang wurde unterbrochen, das Schiff hat also im Grunde seine Tour zwar fortgesetzt, aber eigentlich nicht mehr in der ursprünglichen Form, und es ist jetzt zurückgeholt worden. Ich sage ganz offen, ich bedaure dies ein bisschen, weil die Gorch Fock also so etwas wie ein Kulturgut ist und als diplomatischer Botschafter weltweit unterwegs war, ich habe das mehrfach mitbekommen, ich war mehrfach auf der Gorch Fock. Und wenn es jetzt also da nun praktisch aufgrund dieser Vorgänge irgendwo zu einer völlig neuen Orientierung auf der Ausbildung käme, würde ich das zunächst also mal nicht unbedingt positiv sehen.

    Raith: Halten Sie denn nun die Konsequenzen, die gezogen wurden, für übertrieben?

    Beck: Auch das kann ich also nicht sagen, Frau Raith. Es ist also so, dass man ja zunächst also mal bei der Ermittlung der Fakten ist, dann, wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, sie bewertet werden müssen. Wenn Fehlverhalten vorliegt – und auch das hat der Minister glaube ich deutlich gesagt, bei menschenunwürdigem Drill, ich glaube in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung", dass er dies nicht dulden kann –, dann, wenn individuelles Fehlverhalten vorliegt, dann muss auch entsprechend reagiert werden. Das ist also überhaupt keine Frage. Aber das ist ja nur eines praktisch von mehreren Vorkommnissen, die ja nicht zeitlich jetzt direkt beieinander waren, sondern die sich über einen Zeitraum von etwa drei bis vier Monaten erstreckt haben, und die jetzt natürlich in dieser Zusammenballung mit der Feldpost, mit dem getöteten Soldaten durch die Schussverletzung, die jetzt natürlich also einen Eindruck erwecken, als ob alles da nun drunter und drüber ginge. Das Gegenteil ist der Fall, wir haben immer noch 250.000 Soldaten, die im Einsatz sind, zu Hause und an den verschiedenen Fronten, und dort einen hervorragenden Dienst machen. Ich glaube, der Fairness halber muss man einfach hergehen und dann also sagen, die Dinge für sich selber fair betrachten und zunächst auch mal keinen Generalverdacht zu machen. Auch nicht gegenüber dem Minister, der also da nun jetzt in der Verantwortung natürlich steht und auch entsprechend handeln muss.

    Raith: Einmal möchte ich trotzdem noch zum Minister zurückkommen: Mich erinnern diese Vorgänge an die Kundus-Affäre im Herbst 2009, als der Verteidigungsminister ja nach den Informationspannen Generalinspekteur Schneiderhan und Staatssekretär Wichert entlassen hat. Sie auch?

    Beck: Nein, Frau Raith. Und zwar einfach deshalb … Ich bin jetzt seit beinahe über einem Jahr natürlich beschäftigt mit der Frage Kundus, wir haben den Untersuchungsausschuss, der also auch immer noch läuft, der noch praktisch bis Februar gehen wird. Hier ging es also da nun praktisch um eine andere Dimension. Man muss also hier sagen, das sind Schießunfälle, Diebstähle, jetzt also auch Todesfälle auf einem Segelschiff, das ist immer was Tragisches, was Schlimmes, aber es ist also irgendwo zum militärischen Alltag dazugehörend.

    Raith: Aber welche Parallele ich sehe, ist die der Informationspannen und der Entlassungen.

    Beck: Dies ist völlig richtig, Frau Raith, da gebe ich Ihnen also recht. Die Frage nicht der Informationspannen, sondern die Frage ist, ob eben die Information aus dem Ministerium oder im Ministerium zur politischen Leitung und von der politischen Leitung auch ins Parlament so ist, wie wir es uns alle wünschen würden. Das meine ich muss also auch noch geklärt werden. Der Minister kommt in der kommenden Woche in den Verteidigungsausschuss und wird also da zu all diesen Dingen auch Stellung nehmen. Im Übrigen war auch der Inspekteur der Marine vor Weihnachten im Verteidigungsausschuss, hat dann aufgrund aber der gedrängten Tagesordnung nicht mehr die Möglichkeit bekommen, zu den Vorgängen der Gorch Fock ausführlich Stellung zu nehmen. Sie dürfen nicht vergessen, dass also etwa zwischen den Vorgängen im Dezember und im November die Weihnachtspause lag und wir praktisch die erste Sitzung nach der Weihnachtspause im Verteidigungsausschuss hatten. Von daher gesehen, also jetzt im Nachhinein aus dieser zeitlichen Differenz Vorwürfe abzuleiten, ist glaube ich nicht ganz in Ordnung.

    Raith: Aber offensichtlich sind die Informationsstränge im Ministerium nach wie vor wirr seit der Kundus-Affäre. Die Opposition hat schwere Kritik geübt, einfach nicht ausreichend informiert gewesen zu sein.

    Beck: Frau Raith, ich glaube, dass also da, was man bisher sagen kann: Wesentlich ist, dass – und das hat auch glaube ich der Minister eingeräumt –, dass die Unterrichtung des Parlaments nicht falsch, aber unvollständig war. Dass also etwa der Begriff des Fremdverschuldens bei diesem Schießunfall eben einfach nicht genannt worden ist. Der hätte aber zu einer korrekten Information dazugehört. Oder dass etwa in der Frage des sogenannten Feldjägerberichts, dass also der auch erst zu einem späten Zeitpunkt vorgelegt wurde. Nun muss ich aber auch sagen, der Minister hat also nicht unbedingt die Aufgabe, jeden Tag Feldjägerberichte zu lesen, sondern im Grunde eine Führungsaufgabe, die also aufgrund von gesicherten Tatsachen eben auch entsprechende Entscheidung ermöglicht.

    Raith: Aber in wichtigen Fragen muss er ja zumindest informiert werden, selbst wenn er selber nicht alles nachliest.

    Beck: Da haben Sie völlig recht, das ist also überhaupt keine Frage, dass er also im Grunde zeitnah und gründlich auch umfassend informiert ist. Aber in allen drei Fällen, ich möchte das noch mal betonen, in allen drei Fällen ermittelt die Staatsanwaltschaft. In allen drei Fällen ist im Grunde bisher – zumindest nach meinem Eindruck – noch Bedarf in der Frage der Faktenermittlung. Und dann praktisch bereits Konsequenzen zu verlangen oder politische Bewertungen, dies ist meine ich also eine Sache, die also, wo ich eher raten würde Gründlichkeit vor Eile und vor vorschnellen Dingen.

    Raith: Herr Beck, lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen: Glauben Sie, dass die Ereignisse dieser vergangenen Wochen und Monate das ohnehin nicht mehr ganz so enge Verhältnis zwischen Gesellschaft und Armee belasten wird, jetzt, wenn auch die Wehrpflicht nicht mehr Wehrpflicht ist?

    Beck: Ich glaube, dass es das Verhältnis zu unseren Streitkräften nicht belasten wird. Aber was wir natürlich sehr aufmerksam verfolgen müssen, ist, also in der Tat so, welcher Geist in diesen Streitkräften herrscht, wenn die Wehrpflicht weg ist. Wir haben die Wehrpflicht ja nicht mehr in diesem Umfang, als ich Wehrpflicht abgeleistet habe, waren es 90 Prozent eines Jahrganges, jetzt sind es nur 18 Prozent. Aber es macht deutlich, dass wir die Grundprinzipien, auf die die Bundeswehr verpflichtet – das Prinzip des Staatsbürgers in Uniform, die innere Führung –, auf die neuen Situationen immer wieder überprüft werden muss. Und ich glaube, dass also hier, gerade wenn man von Einsatzorientierung spricht, es immer wieder gefragt werden muss, dass wir den Soldaten eine zeitgemäße innere Führung mitgeben, orientiert an Werten. Dass auch die Soldaten immer im Grunde die Frage der ethischen, der politischen, auch der militärischen Begründung einfordern können. Und wenn ich also eines sagen darf: Die Kontrollmechanismen, etwa auch die Rolle des Wehrbeauftragten, haben ja in diesen allen drei Fällen ja durchaus gegriffen. Es hat niemand ein Interesse daran, Dinge zu verschleiern oder zu verdrehen, schon gar nicht die Bundeswehr. Möglicherweise Vorgesetzte oder möglicherweise Leute, die also da nun selber wegen Fehlverhaltens dann Sorge haben müssten, aber ich glaube, dass also die Bundeswehr selber und auch der Minister ein elementares Interesse – auch da Parlament übrigens –, ein elementares Interesse daran haben, die Dinge vollständig aufzuklären.

    Raith: Was glauben Sie, wie groß ist da auf der anderen Seite aber auch die Gefahr der Abschottung, wenn es eben nicht mehr der Staatsbürger in Uniform ist, der Dienst an der Waffe leistet, leisten muss, sondern eben ein Berufssoldat?

    Beck: Die Gefahr ist sicher da, Frau Raith, das möchte ich gar nicht in Abrede stellen. Aber das ist natürlich eine Aufgabe jetzt auch des Parlaments, wenn wir von einer Parlamentsarmee sprechen, ist Aufgabe der Bundeswehr, in der Frage etwa Stationierung werden wir eine Staturreform machen, dass die Bundeswehr nicht aus der Fläche zum Beispiel verschwindet, aus dem öffentlichen Interesse verschwindet. Und es ist natürlich eine Aufgabe auch dieser Gesellschaft, sich um ihre Soldaten zu kümmern. Ich glaube, dass also dies nun die Herausforderung der nächsten Jahre auch sein wird. Und zwar nicht nur in der Frage der Ausrüstung, der Ausbildung, der Stationierung und der Strukturen, sondern eben auch mit welchem Spirit, mit welchem Geist im Grunde diese Armee ausgestattet ist, welche Aufträge sie bekommt, wie eng sie im Grunde an der Bevölkerung, an der Willensbildung auch des Parlaments dran ist.

    Raith: Sagt Ernst-Reinhard Beck, er ist der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Ehrenpräsident des Verbandes der Reservisten der deutschen Bundeswehr. Haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Beck: Ich bedanke mich, Frau Raith, Ihnen einen schönen Tag noch!