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"In Bayern mag das im Bierzelt gut ankommen"

Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) sieht in den umstrittenen Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber zum Wahlverhalten der Ostdeutschen einen Ausrutscher des CSU-Chefs, der aber für den ostdeutschen Wahlkampf nicht hilfreich sei. Wichtiger sei es, über Wege aus der schwierigen Wirtschaftssituation gerade im Osten zu sprechen.

Moderation: Elke Durak | 15.08.2005
    Durak: Heute also im Osten die Kanzlerkandidatin der Union. Angela Merkel beginnt dort offiziell ihren Wahlkampf in den neuen Bundesländern. Zur Seite steht ihr am Abend in Sachsen Ministerpräsident Georg Milbradt und der hatte sich anders als viele andere in der Union schon relativ zeitig für die eine oder andere besondere ostdeutsche Nuance im CDU-Wahlkampf ausgesprochen. Dafür hat nun auf etwas andere Weise der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber gesorgt. Seine Äußerungen über das Wahlverhalten in den neuen Bundesländern haben nicht nur viele Ostdeutsche aufgeregt. Auch Angela Merkel hatte Stoibers Schelte zurückgewiesen. Der niedersächsische Ministerpräsident Wulff kritisierte Stoiber und forderte ein Ende der Angriffe aus der Schwesterpartei.
    Am Telefon ist nun Georg Milbradt, der Ministerpräsident in Sachsen. Herr Milbradt, ist Edmund Stoiber zu weit gegangen?

    Milbradt: Er ist zumindest für den ostdeutschen Wahlkampf nicht hilfreich gewesen. In Bayern mag das im Bierzelt gut ankommen. In Ostdeutschland muss man darüber reden, wie wir aus der schwierigen Wirtschaftssituation heraus kommen, und das ist ja auch der Grund, warum viele Menschen von der Politik enttäuscht sind bei 20 Prozent Arbeitslosigkeit. Auch angesichts der Tatsache, dass unter Rot-Grün die Schere Ost-West wieder auseinander gegangen ist, muss man die Menschen überzeugen, dass eine Änderung der Politik notwendig ist und dass die Sirenengesänge von ganz links keine Lösung des eigentlichen Ostproblems darstellen, nämlich wie kommt Arbeit, wie kommt mehr Wirtschaftswachstum nach Osten, damit die Menschen nicht in dem hohen Maße wie bisher von Sozialtransfers abhängig sind, sondern auch sich in dem Maße, wie es in Westdeutschland der Fall ist, ihr Einkommen durch eigene Arbeit erwirtschaften können.

    Durak: Hätten Sie Edmund Stoiber jetzt gern im Wahlkampf in Sachsen?

    Milbradt: Warum nicht. Ich gehe davon aus, dass er, der ja auch vor drei Jahren schon da war, genau dieses Wirtschaftsthema ansprechen wird, denn das ist das, was uns interessiert. Wie kommt der Osten wieder nach vorne? Wie kommen wir wirtschaftlich nach vorne? Wie kommt auch ganz Deutschland nach vorne? Das ist doch das Problem gewesen, an dem Schröder gescheitert ist. Nicht ohne Grund ist die Wahlperiode verkürzt worden, weil eben die wirtschaftlichen Erfolge der letzten sieben Jahre nicht da sind. Deutschland ist auf Platz 11 oder Platz 12 unter den EU-Ländern, was das wirtschaftliche Pro-Kopf-Einkommen angeht. Wir fallen ständig zurück und das sind die Probleme in Deutschland, die gelöst werden müssen, und über die Lösungen zu streiten, das halte ich im Wahlkampf für sinnvoll.

    Durak: Wissen Sie, Herr Milbradt, eins geht mir so immer durch den Kopf, wenn es heißt, was Herr Stoiber gesagt hat, ist in bayerischen Wahlkampfzelten gesagt worden. Irgendwie spaltet Stoiber dann doch die Nation, denn für die Bayern soll das gut genug sein, den Osten zu beschimpfen. Ist das in Ordnung?

    Milbradt: Nein, ich finde das nicht gut. Ich sage nur, es scheint offensichtlich da auch eine Wortwahl vorzuherrschen, mit der man in Ostdeutschland die Wähler nicht ansprechen kann. Da wir nun einmal einen gesamtdeutschen Wahlkampf machen, muss man eben auch in der Wortwahl Rücksicht nehmen. Ich glaube aber wir sollten diese Diskussion, die ja von dem eigentlichen Problem ablenkt, jetzt beenden. Die Frage ist doch, was bieten wir dem Osten an Politik an, damit eben die Menschen, die enttäuscht sind, die möglicherweise Protest wählen wollen, weil sie sich anders keine Lösung vorstellen können, in einer Demokratie dafür motiviert werden können, die Oppositionspartei, nämlich die CDU zu wählen, um ihr die Chance zu geben, eine bessere Politik für den Osten zu machen, Wachstum und Arbeitsplätze wieder zu bekommen. Das ist doch die Frage, die im Wahlkampf gestellt werden muss, und das muss auch ein Wahlkämpfer überzeugend vortragen, damit wir auch die notwendigen Stimmen bekommen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Frau Merkel das heute Abend in Chemnitz machen wird.

    Durak: Das glaube ich gerne, dass viele in der Union oder wahrscheinlich alle dieses Problem gern vom Tisch hätten, aber ein jeder weiß doch aus persönlicher Erfahrung, wie schwer es ist, Beleidigungen, die noch tief gehen, wegzustecken und verkraften zu können. Viele sagen ja auch, dass darüber, was Stoiber öffentlich ausgesprochen hat, zwar auf bayerischem Boden, aber immerhin dann doch nachvollziehbar im Sinne von in die Öffentlichkeit kommend, viele Westdeutsche auch so denken würden. Will sagen: ist die Mauer in den Köpfen wieder dabei zu wachsen?

    Milbradt: Nein. Ich glaube man sollte das jetzt auch nicht zu sehr auswalzen. Es war ein Ausrutscher. Der ist geschehen.

    Durak: Einer?

    Milbradt: Den muss man jetzt versuchen, auch argumentativ aufzuarbeiten. Und man muss vor allen Dingen dafür sorgen, dass nicht ständig über die falschen Themen geredet wird. Es geht doch darum: das Thema in Ostdeutschland heißt, wie bekommen wir Arbeitsplätze. Wie ist es zu erreichen, dass es zu einer allmählichen Lohnanpassung kommt. Wie ist die innere Einheit in Deutschland im wirtschaftlichen Bereich zu schaffen. Die Diskussion, die wir jetzt führen, führt nur dazu, dass dieses Thema, das mir das wichtigste ist und das auch den Menschen das wichtigste ist, überhaupt nicht diskutiert wird und damit auch die Versäumnisse der letzten sieben Jahre praktisch keine Rolle mehr spielen und dass wir letztlich auch der Linkspartei, die ja auch kein Angebot in dem Bereich zu machen hat, außer das noch tiefer in die Staatskasse gegriffen wird und Schulden gemacht werden, damit auch noch kostenlos Wahlkampfhilfe geben.

    Durak: Aber im Grunde sorgt doch Herr Stoiber selbst für diese Lage. Selbst gestern Abend noch im Sommer-Interview des ZDF sagt er nein, er hat nichts zu entschuldigen. Vielleicht wäre es mit einer Entschuldigung diplomatisch formvollendet ja auch getan und man glaubte wieder, was die CDU/CSU eigentlich will?

    Milbradt: Er hat gestern Abend, so weit ich das mitbekommen habe, gesagt, dass diejenigen, die bisher gezeigt haben, dass sie in ihren Ämtern die Aufgabe nicht erfüllen können - das gilt für Herrn Gysi als Wirtschaftssenator in Berlin und das gilt für Herrn Lafontaine als Bundesfinanzminister -, nicht die geeigneten sind, die Probleme in Deutschland zu lösen. Da kann ich ihm nur Recht geben.

    Durak: Es geht ja um die Wähler, um die dümmsten Kälber, die Herr Stoiber verglichen hat. Ist denn, Herr Milbradt zum Schluss gefragt, einfach doch zu wenig auf die Herkunft der Kanzlerkandidaten im Wahlkampf bisher gesetzt worden? Vielleicht hätte sich Herr Stoiber so etwas sonst gar nicht getraut.

    Milbradt: Nein. Ich meine dass Frau Merkel eine Ostbiographie ist, das ist bekannt. Das braucht man nicht zu wiederholen. Unsere Hoffnung in Ostdeutschland ist auch, dass sie wegen ihrer besonderen Kenntnis der Probleme in ihrem Wahlkreis und in den neuen Ländern ein besonderes Verständnis auch für unsere Probleme hat. In einer Region, wo ich 7 oder 8% Arbeitslosigkeit habe, sieht die Welt natürlich etwas anders aus, als wenn ich, wie ja in Teilen Ostdeutschlands, deutlich über 20% liege. Damit liegen auch die Akzente anders und müssen auch anders gesetzt werden, im Wahlkampf und was auch die jeweilige Politik angeht. Das heißt nicht, dass wir nun die gesamtdeutsche Politik in viele Regionalpolitiken unterscheiden, aber es ist klar, dass der Osten in Teilen eine andere Medizin braucht als der Westen. Das deutlich zu machen und auch deutlich zu machen, dass da auch die Chance für einen Aufholprozess oder eines Wiederanspringen des Aufholprozesses im Osten liegt, das ist Aufgabe des Wahlkampfes der Union in Ostdeutschland. Dann werden auch mehr Stimmen erzielbar sein als vor drei Jahren und damit auch ein Beitrag geleistet werden, damit wir in Berlin eine neue Regierung bekommen.

    Durak: Das mit der besonderen Medizin verstehen viele Westdeutsche ja vielleicht noch, aber nicht mehr verstehen sie, dass sie dafür bezahlen sollen. Haben Sie dafür Verständnis?

    Milbradt: Ja, das habe ich immer gesagt. Wir fordern nicht mehr Geld. Es ist im Solidarpakt ja auch vereinbart worden, dass ab dem Jahre 2007 die besonderen Hilfen für Ostdeutschland ja drastisch zurückgefahren werden bis zum Jahre 2019. Umso mehr ist es wichtig, dass wenn man weniger Geld bekommt man aus dem Geld mehr macht. Das bedeutet, dass man Sonderregelungen, die der besonderen Situation, der wirtschaftlichen Situation in Ostdeutschland angemessen sind, auch dann tatsächlich ermöglicht, und dass die Hilfe, auf die wir nach wie vor angewiesen sind und für die wir auch dankbar sind, auch einen größeren Effekt im Sinne von Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätzen hat als in der Vergangenheit. Das ist genau das Thema, vor dem wir stehen, und da habe ich in der Vergangenheit eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die auch im Wahlprogramm meiner Partei ihren Niederschlag gefunden haben. Darüber zu diskutieren und darüber zu diskutieren, was die anderen anzubieten haben, nicht weiter so wie bisher mit weniger Geld, das wird nicht funktionieren. Darüber muss man sich auseinandersetzen und dann bekommt man auch die Wähler auf seine Seite.

    Durak: Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt, heute Abend in Chemnitz mit der Kanzlerkandidatin der Union. Besten Dank Herr Milbradt für das Gespräch.