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In Berlin wird die Automobilausstellung mit dem ersten "Auto für alle" eröffnet

Schon während des Ersten Weltkriegs lernten die Deutschen den Umgang mit dem Automobil. Soldaten fuhren Militärfahrzeuge, junge Rekruten Lastwagen, und die meisten Zivilisten waren zumindest als Beifahrer mit von der Partie. Und noch Jahre nach dem Krieg prägten Vorkriegsmodelle das Straßenbild. Ohnehin galt das Automobil in Deutschland lange als Luxusgefährt allein der Oberklasse. Das änderte sich erst zu Beginn der 20er Jahre, als die Autoindustrie neuartige Fahrzeugtypen auf den Markt brachte.

Von Jürgen Bräunlein | 10.12.2004
    Die Automobilausstellung, die am 10. Dezember 1924 in Berlin am Kaiserdamm ihre Pforten öffnete, brachte den Durchbruch. Eine wahre Autobegeisterung wurde entfacht. Euphorisch hieß es in der Neuen Berliner Zeitung:

    Prospekte werden einem überall in die Hände gedrückt, man sieht sich einen Wagen genauer an und schon informieren hilfsbereite Lippen über alles Wissenswerte, stellen die Vorzüge ins rechte Licht, kurz: es ist ein Konkurrenzkampf der auf wenigen Quadratmetern zusammengerückten Firmen, die sich hier emsig zu überbieten trachten.

    Die zwei großen Hallen der Ausstellung reichten nicht aus, alle Neuheiten zu beherbergen, mehrere Prototypen parkten im Freien. Gezeigt wurden Limousinen, Lastwagen und Motorräder, Fabrikmaschinen und Gummireifen, vor allem aber Kleinwagen. Der Markt der Zukunft, wie es in der Neuen Berliner Zeitung hieß:

    Deutschland ist nicht mehr reich genug, um sich den Luxus der Zeitverschwendung leisten zu können. Lange zeitraubende Fahrten zur Arbeitsstätte stellen für den Werktätigen einen wirtschaftlichen Nachteil dar. So drängt sich jedem, der die Ausstellungshalle betritt, die Frage nach dem billigen Auto auf, dem "Auto für alle".

    Umgesetzt wurde die Idee der Volksmotorisierung am überzeugendsten von der Firma "Hanomag" aus Hannover, die bis dahin Lokomotiven gebaut hatte. Das Unternehmen präsentierte einen Zweisitzer mit einem Einzylinder-Viertaktmotor und einer maximalen Leistung von 60 Stundenkilometern. Der Motor musste noch mit der Hand "angerissen" werden. Dafür kostete der Hanomag - wie das Auto hieß - nur 2300 Reichsmark, für einen motorisierten Untersatz damals relativ günstig. Gebaut ohne Kotflügel und lediglich mit Sperrholz als Verkleidung hatte der Wagen eine Spurweite von einen Meter vierzig und eine Länge von zwei Metern achtzig. Eine Kastenform, für die Berliner sofort einen Spitznamen fanden:

    Kommissbrot

    Wie das rechteckige Vollkornbrot der Soldaten. So haltbar sollte der "Hanomag" ja auch sein. Anderseits fehlte es auch nicht an Spott für die billige Konstruktion:

    Zwei Kilo Blech, ein Kilo Lack - fertig ist der Hanomag!

    Der Konstrukteur Fidelis Böhlen konterte:

    Manche Leute haben einfach keinen Sinn dafür, dass der Mensch dadurch, dass er einen Kleinwagen fährt, nicht auch klein wird.

    Auf der Automobilausstellung wurde noch ein weiterer Kleinwagen vorgestellt, der für Furore sorgte. Der Opel 4/12 PS, ein offener Zweisitzer und das erste Automobil, das in Deutschland am Fließband produziert wurde. Wegen seiner grünen Lackierung, der geringen Größe und den federnden Rädern nannte man den Wagen Laubfrosch.

    "Laubfrosch" und "Kommissbrot" machten die Automobilausstellung von 1924 zum Erfolg. Beide Wagen gingen bald mit großer Stückzahl in Produktion: Die Geburtsstunde des Autos für den kleinen Mann. Doch dauerte es noch eine knappe Dekade, bis der Besitz eines Automobils für den Mittelstand zur Normalität wurde. Dabei musste es kein deutsches sein. In den kommenden Jahren machte die Amerikanische Konkurrenz den einheimischen Produzenten das Leben immer schwerer. Das Motto der deutschen Automobilausstellung von 1927 klang bereits sehr besorgt:

    Deutsche, kauft deutsche Wagen!