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In Bulgarien demonstrieren Menschen für Atomkraft

Da Bulgarien zu 95 Prozent von russischem Gas abhängig ist, war es vom Streit zwischen der Ukraine und Russland am meisten betroffen. Nun wird auf der Straße die Wiederinbetriebnahme eines umstrittenen Atomkraftwerks gefordert, dessen Schließung einst eine Bedingung für den EU-Beitritt Bulgariens war. Die Demonstranten wollen billigere Energie.

Von Dirk Auer | 05.02.2009
    Ein Meer bulgarischer Nationalfahnen vor dem Parlamentsgebäude. In der bulgarischen Hauptstadt Sofia vergeht zurzeit kaum ein Tag ohne Demonstrationen. Dieses Mal hat die neue politische Bewegung Napred aufgerufen.

    " Rufe: Kosloduj! Kosloduj! "

    Die Forderung heute: Die Wiederinbetriebnahme der Reaktorblöcke 3 und 4 des Atomkraftwerks Kosluduj. Krassimir Karakatshanov ist Vorsitzender von VMRO, einer Partei, die an dem Bündnis Napred beteiligt ist.

    "Dass Bulgarien Kosloduj auf Druck der EU schließen musste, war einfach nicht gerecht. Und seitdem gab es die Gaskrise und wir haben immer noch eine globale Finanzkrise. Da wäre es doch nur vernünftig, zwei Reaktoren, die voll funktionstüchtig sind und von Experten als ungefährlich eingestuft wurden, wieder zur Produktion von billiger Energie bereit zu stellen."

    Bei der Regierung rennen die Demonstranten damit ausnahmsweise offene Türen ein. Schon mehrmals hat Bulgarien die EU um Erlaubnis gebeten, Kosloduj wieder in Betrieb nehmen zu dürfen. Ohne Erfolg, denn in Brüssel gelten die Reaktoren als veraltet und damit unsicher. Doch nun, nach gerade überstandener Gaskrise, wird schon wieder ein Bittbrief vorbereitet. Georgi Ganev, Wirtschaftsanalyst des renommierten Centre for Liberal Strategies in Sofia:

    "Es ist einfach ein regelmäßig wiederkehrendes Muster: Jedes mal wenn sich wieder einmal die totale Inkompetenz dieser Regierung zeigt, wie jetzt bei der Gaskrise, fangen sie an nach Kosloduj zu schreien. Für mich ist klar, dass es sich um ein Ablenkungsmanöver handelt. Aber die Kosloduj-Karte wird immer wieder gerne gespielt, weil sie wissen, dass es wahrscheinlich das einzige Thema ist, bei der die bulgarische Öffentlichkeit auf ihrer Seite steht und nicht auf der von Brüssel."

    Tatsächlich zeigen Umfragen: Drei Viertel der Bulgaren stehen hinter der Forderung nach Wiederinbetriebnahme der Reaktoren. Für Georgi Ganev jedoch nur ein weiteres Beispiel für die massive Manipulation der Öffentlichkeit.

    "Es ist ein Ergebnis der PR-Arbeit der Nuklearlobby und anderer Wirtschaftsinteressen, die in Bulgarien sehr starken Einfluss haben. Es wird hier immer der Eindruck erweckt, als ob Bulgarien nicht genug Strom habe. Aber damit soll eigentlich nur gesagt werden: Wir brauchen noch ein Atomkraftwerk, das in Belene. um eine schwere Energiekrise zu verhindern, vor der wir stehen – was natürlich nicht wahr ist. Ich habe bis heute keine einzige rationale Erklärung gehört, warum Bulgarien das AKW Belene braucht, besonders nicht zur diesem Kosten."

    Belene ist das zweite große bulgarische Atomprojekt, das wie Kritiker sagen, gegen jede ökonomische Vernunft vorangetrieben wird. Über die tatsächlichen Baukosten gibt es bislang nur Gerüchte. Von 8 Milliarden Euro ist inzwischen die Rede – das ist doppelt so viel wie ursprünglich geplant. Umstritten ist das Projekt Belene jedoch noch aus einem anderen Grund. Im November vergangenen Jahres trafen sich bulgarische Bürgermeister und Stadträte in Svishtov, einer kleinen Universitätsstadt, rund 20 Kilometer von Belene entfernt. Die Lokalpolitiker, wie Andrei Zachariew, Mitglied des Stadtparlaments von Swishtow, sind besorgt. Denn ihre Region gilt als Erdbebengebiet.

    "Jeder hier in Swischtov kann sich noch an 1977 erinnern. Das Erdbeben hat mehr als zwei Drittel der Gebäude zerstört, egal ob sie aus Ziegeln, Steinen oder Beton waren. Nur leider ist in dem offiziellen Gutachten überhaupt keine Rede davon. Aber wir haben kein Interesse daran, die weiße Maus in einem großen Experiment zu sein."

    Mit einem Protestschreiben haben sich die Bürgermeister nun direkt an den Aufsichtsrat des deutschen Energiekonzerns RWE gewandt. Denn der ist Mitinvestor – bislang noch, denn auch dort ist die Beteiligung nicht mehr unumstritten. Auch Georgi Ganev hat noch eine Hoffnung: Vielleicht, so sagt er, hat die aktuelle Finanzkrise ja auch etwas Gutes, wenn wirtschaftlich unvernünftige Projekte wie Belene doch noch fallen gelassen würden. Und dann könne man sich auch einem viel dringenderen Problem zuwenden: Der niedrigen Energieeffizienz. Auch hier ist Bulgarien Schlusslicht in der EU.

    "In diesem Bereich könnte so viel mehr getan werden - Stichwort: Dämmung der Häuser und Wohnblocks. Es würde schon reichen, wenn wir eine Effizienz bei der Verwendung der Energie hätten, die dem EU-Durchschnitt entspricht. Wir könnten dadurch mehr Energie gewinnen als durch irgendetwas anderes."