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In China blüht der Handel mit Organen Hingerichteter

Laut Medienberichten werden pro Jahr rund 10.000 Transplantationen in China durchgeführt. Fast 7000 Organe stammen von hingerichteten Häftlingen. Die Exekutions-Busse halten oft direkt vor den Kliniken. Bis 2015 will die chinesische Regierung die ethisch höchst fragwürdige Praxis beenden.

Von Silke Ballweg | 18.12.2012
    Wegen der Todesstrafe steht China seit Jahren international am Pranger. Denn in keinem Land der Erde werden mehr Menschen als in China hingerichtet. Wie viele genau, ist unbekannt. Menschenrechtsgruppen gehen davon aus, dass es mehrere tausend im Jahr sind. John Kamm, Vorsitzender der amerikanischen Menschenrechtsorganisation Dui Hua Foundation:

    "Die offiziellen Zahlen der Hinrichtungen in China werden wie ein Staatsgeheimnis bewacht. Dennoch gelingt es Experten und Wissenschaftlern immer wieder, den Vorhang ein wenig anzuheben. So gehen sie zum Beispiel davon aus, dass 2011 rund 4000 Personen in China hingerichtet wurden."

    Menschenrechtsgruppen fürchten, dass die Dunkelziffer noch höher ist. Doch es bleibt nicht allein bei der Hinrichtung: vielen Todeskandidaten werden nach der Exekution Organe entnommen. Roseanne Rise von Amnesty international:

    "In China sind die Organe von Hingerichteten sogar die Hauptquelle für Transplantationen. Mittlerweile haben selbst staatliche Stellen, etwa der Vize-Gesundheitsminister gesagt, dass das keine langfristig akzeptable Lösung ist. Aber der Großteil der Transplantationen wird darüber abgewickelt."

    Anfang der 1970er-Jahre wurden in China erste Transplantationen durchgeführt. Schon damals kamen die meisten Organe von hingerichteten Häftlingen. Wie damals so ist auch heute kaum ein Chinese bereit, seine Organe nach seinem Tod zu spenden. Vielen scheint die Idee geradezu abwegig. Das hat vor allem kulturelle Gründe, sagt Menschenrechtsaktivist John Kamm:

    "Es ist ein kulturelles Tabu. Traditionell glaubt man in China, wenn man nach dem Tod diese Welt verlässt und eine neue Welt betritt, dann sollte man noch im Besitz all seiner Organe sein. Deswegen ist die Zahl der Spenden so gering. Und das hat dazu geführt, dass man irgendwann angefangen hat, den Hingerichteten die Organe zu entnehmen."

    Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits vor 25 Jahren die Organentnahme bei hingerichteten Häftlingen kritisiert. Denn von außen lässt sich nicht nachvollziehen, ob ein Gefangener einer späteren Organspende freiwillig zugestimmt hat. Oder ob massiver Druck ausgeübt wird, sagt Roseanna Rise von Amnesty international:

    "Wir haben die Sorge, dass die Häftlinge innerlich nicht unabhängig genug sind, dass sie innerlich nicht frei sind, um die diese Entscheidung zu treffen. Denn sie sind ja in einem Gefängnis, in dem sie auf den Staat angewiesen sind, da der Staat für ihre täglichen Bedürfnisse sorgt."

    So kam es, dass sogar die chinesische Regierung vor inzwischen bereits fünf Jahren auf die ethischen Probleme der Organentnahme von Hingerichteten hingewiesen hat. Seither dürfen Häftlinge offiziell nur noch engen Familienangehörigen Organe spenden. In der Praxis zeigte diese Regelung jedoch so gut wie keine Auswirkungen. Im Gegenteil: Internationalen Medienberichten zufolge werden pro Jahr rund 10.000 Transplantationen in China durchgeführt. Fast 7000 Organe stammen von Häftlingen. Das aber bedeute, so Roseanna Rise von Amnesty international:

    "Einer Leiche werden gleich mehrere Organe entnommen."

    Die meisten Hinrichtungen in China werden in sogenannten Hinrichtungs-Bussen vollzogen. Per Todesspritze. Zum Teil stehen die Fahrzeuge dabei direkt vor Krankenhäusern. Das garantiert eine schnelle Verfügbarkeit der Organe. Menschenrechtsgruppen gehen deswegen davon aus, dass auch Organhandel betrieben wird. Internationalen Presseberichten zufolge warten rund 1,5 Millionen Chinesen auf ein Spenderorgan. Mittlerweile ist der Organhandel zwar offiziell verboten. Experten wie John Kamm von der Hui Da Foundation glauben dennoch, dass das Geschäft weiter läuft. Sowohl auf nationaler, als auch auf internationaler Ebene.

    "Der Markt war, als er noch offiziell boomte, umfangreich, lukrativ und sehr korrupt. In der Praxis wurde vieles über chinesische Gemeinschaften in Südostasien organisiert. Dort saßen Agenten. Sie handelten mit Patienten, die auf eine Transplantation warteten, die Abwicklung aus. Dann wurde der Patient nach China geflogen und in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurde dann von einem Hingerichteten das Organ entnommen. 2007 wurde das offiziell verboten, aber ist es natürlich fraglich, ob es nicht doch einfach weitergeht."

    Nun hat die chinesische Regierung angekündigt, dass Organe von Hingerichteten nicht mehr für Transplantationen verwendet werden dürfen. Bis 2015 soll die derzeit gängige Praxis auslaufen. Das aber heißt auch: der Staat muss die Bevölkerung motivieren, Organe zu Spenden, ein Netz für Transplantationen muss geschaffen, die Bürger über Abläufe informiert werden. Die meisten Chinesen wissen derzeit gar nicht, wo und wie sich für eine Organspende registrieren können. Selbst wenn sie es wollten, wie diese Frau, Anfang dreißig.

    "Ich könnte mir durchaus vorstellen, anderen zu helfen. Denn man hilft ja nicht nur einer einzigen Person, sondern man macht eine ganze Familie froh. Die Regierung sollte mehr Werbung für Organspende machen und die Leute motivieren, sich zu beteiligen. Gerade wir Jüngeren wären durchaus bereit zu spenden, wir denken nicht unbedingt wie die Älteren, die meinen, man müssen nach dem Tod seinen ganzen Körper behalten."