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In den Leitlinien steht "inhaltlich viel Vernünftiges drin"

Florian Toncar ist zuversichtlich, dass der Bundestag am Mittwoch den Leitlinien zum Euro-Stabilisierungsfonds mit einer "großen Mehrheit der Koalitionsabgeordneten" zustimmt. Seine Koalitionskollegen unter Druck zu setzen, um die erforderliche Mehrheit zu erreichen, lehnt Toncar ab.

Florian Toncar im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 25.10.2011
    Tobias Armbrüster: Bis morgen, Mittwoch, haben die Abgeordneten im Deutschen Bundestag noch Zeit: Dann wird abgestimmt über die Zukunft des Euro-Rettungsschirms. Zur Wahl stehen mehrere Modelle, mit deren Hilfe dieser Rettungsschirm auf mehr als eine Billion Euro aufgeblasen werden soll, gehebelt heißt das im neuen Finanzdeutsch. In keinem Fall heißt es aber, werde Deutschland mit mehr als 211 Milliarden Euro haften. Aber das Risiko erhöht sich natürlich trotzdem. Es sind also wichtige Entscheidungen, die die Abgeordneten in den kommenden Stunden fällen müssen. Am Telefon kann ich darüber jetzt mit Florian Toncar von der FDP sprechen, er sitzt für seine Fraktion im Haushaltsausschuss des Bundestages und ist außerdem stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Schönen guten Morgen, Herr Toncar.

    Florian Toncar: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Toncar, Sie haben die nötigen Unterlagen gestern Nachmittag erhalten. Morgen soll abgestimmt werden. Reicht die Zeit?

    Toncar: Es ist natürlich so, dass wir viele Entscheidungen zurzeit unter hohem Zeitdruck fällen müssen, aber das unterscheidet die Abgeordneten übrigens auch nicht von den Beamten in Brüssel, die solche Dinge aushandeln, oder den Ministern, die in Brüssel solchen Dingen zustimmen müssen. Diese Krise verläuft rasant und sie erfordert schnelle Reaktionen und ich glaube, dass es allemal besser ist, wenn das vom Volk gewählte Abgeordnete am Ende machen, als wenn das andere Leute unter dem gleichen Zeitdruck machen, die aber in Deutschland nicht unmittelbar und direkt von den Wählern legitimiert sind.

    Armbrüster: Der CDU-Abgeordnete, Ihr Kollege Patrick Sensburg, sagt nun, er fühle sich bei dieser Entscheidung getrieben. Können Sie das verstehen?

    Toncar: Das sind sicher Gefühle, die man auch verstehen kann. Aber ich denke schon auch, dass wir als Abgeordnete akzeptieren müssen, dass wir die Letztverantwortung für das tragen, was hier passiert. Die Entscheidungen sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von größter Tragweite, auch für den Haushalt natürlich der Bundesrepublik, und deswegen glaube ich, wir müssen akzeptieren, wenn wir starke Abgeordnete sein wollen, wenn wir unser Mandat auch so ausführen wollen, wie wir es auch selbst verstehen, dass wir auch unter hohem Zeitdruck komplexe Entscheidungen treffen können.

    Armbrüster: Die Entscheidung, dass überhaupt der Bundestag sich mit dem Thema befassen soll, die ist erst gestern gefallen. Vorher hieß es nur, der Haushaltsausschuss solle darüber abstimmen. Sind Sie erleichtert, dass diese Verantwortung jetzt nicht nur auf dem kleinen Ausschuss lastet, sondern dass sich der komplette Bundestag mit dem Thema befasst?

    Toncar: Also im Gesetz ist das so angelegt, dass bei den sogenannten Leitlinien zum Euro-Stabilisierungsfonds, um die es ja diese Woche gehen soll, Ausführungsbestimmungen, Leitlinien, grundsätzlich der Haushaltsausschuss entscheidet, aber dass das Plenum das an sich ziehen kann, wenn es den Inhalt der Leitlinien für so gravierend und so wichtig hält. Wir hätten auch so im Haushaltsausschuss – das kann ich für die Koalition sagen – nicht ohne Rückkoppelung und ohne die Zustimmung unserer Fraktionen entschieden. Das entscheidet man als Abgeordneter nicht einsam und alleine, sondern nur in Abstimmung auch mit den Fraktionen. Aber es ist jetzt so entschieden worden, dass es auch für die Bundeskanzlerin und den Bundesfinanzminister in Brüssel besser ist und leichter ist zu verhandeln am Mittwoch, wenn vorher das Plenum des Deutschen Bundestages noch mal auch ein starkes Signal gesendet hat, und auch darum geht es jetzt diese Woche.

    Armbrüster: Braucht Angela Merkel morgen bei dieser Entscheidung die Kanzlerinnenmehrheit?

    Toncar: Das ist eines der Dinge, das mir weniger gefällt bei der Diskussion. Wir haben die Parlamentsrechte gestärkt, um auch deutlich zu machen, der Bundestag trägt die Verantwortung für den Haushalt. Das ist eine Sachfrage. Und immer, wenn das Parlament jetzt sozusagen seine Rechte ausübt, für die wir ja auch gekämpft haben, wird das vor allem auf eine Machtfrage reduziert. Die Koalition wird morgen, meine ich, mit großer Geschlossenheit auch die Leitlinien unterstützen. Wie sich die Opposition verhält, weiß ich nicht. Aber diese Diskussion, wer braucht jetzt was, die führt von der Sache weg und ich finde, das ist keine gute Entwicklung auch für das Parlament, wenn immer nur die Sachfrage in den Hintergrund rückt und Mehrheiten und Machtfragen die Diskussion am Ende bestimmen.

    Armbrüster: Aber ist es nicht gerade, Herr Toncar, wichtig auch für die übrigen Regierungen in Europa und in der Euro-Zone, dass sie sehen, Deutschland hat eine starke Regierung, eine Regierung, die auch von ihrer eigenen Fraktion, von ihren Fraktionen im Parlament unterstützt wird?

    Toncar: Das hat Deutschland ja auch. Am 29. September haben wir mit sehr deutlicher Mehrheit auch den temporären, den befristeten Rettungsfonds ja reformiert, und auch da hat ja die Koalition im übrigen eine Kanzlermehrheit. Das ist ja alles auch so. Ich denke nur, dass wir in der Diskussion aufpassen müssen, dass am Ende nicht immer nur die Frage dasteht, wie groß ist die Mehrheit, sondern dass es ein bisschen auch noch um die Sache geht. Ich bin ansonsten übrigens auch sehr zuversichtlich, was diese Woche angeht, dass wir es schaffen, da auch eine ausgesprochen große Mehrheit der Koalitionsabgeordneten zu gewinnen, denn in diesen Leitlinien steht inhaltlich viel Vernünftiges drin und ich glaube, dass wir da auch guten Gewissens und mit gutem Erfolg eine erforderliche Mehrheit im Bundestag zusammenbringen. Aber die Kollegen unter Druck zu setzen mit solchen Machtfragen, ist nicht das, was dazu beiträgt, dass Abgeordnete sich freier fühlen in ihrer Entscheidung, und deswegen werde ich das heute und auch sonst nicht tun.

    Armbrüster: Wenn wir den Euro-Rettungsschirm nun mit Hilfe eines Finanzhebels auf mehr als eine Billion Euro aufblasen oder auch anhebeln, können wir dann, Herr Toncar, noch ruhig schlafen?

    Toncar: Es ist im Übrigen gar kein Finanzhebel, der ist verhindert worden von der Bundesregierung. Es ist ja lange diskutiert und auch von verschiedenen europäischen Partnern gefordert worden, dass man diesen Rettungsfonds an die EZB anschließt, dass man ihm also für das Geld, was er hat, über die EZB ein Vielfaches an Ausleihvolumen verschaffen kann. Das hätte unsere Risiken gewissermaßen multipliziert, vervielfacht, und das, was jetzt angedacht ist, ist etwas auch qualitativ völlig anderes. Man versucht, im Grunde diesen Fonds so zu entwickeln, so auch auszustatten, dass er mit dem Geld, was er hat, das er auch nur einmal ausgeben darf und nicht mehrfach wie bei einem Finanzhebel, möglichst große Anreize setzt dafür, dass andere Geldgeber, dass private Investoren, dass auch andere Staaten oder der IWF zum Beispiel sich noch stärker an der Stabilisierung im europäischen Raum beteiligen. Das ist für mich nicht der Finanzhebel von der Qualität her, so wie das über die EZB laufen würde, sondern es ist eigentlich ein sehr, sehr intelligentes Modell, auch an das Geld von anderen heranzukommen, um diese auch an der Stabilisierung des Euro-Raumes zu beteiligen. Und wenn das funktioniert, wenn man das so ausgestalten kann, dass das im Markt auch angenommen wird, dann glaube ich sogar, dass wir weniger Steuergeld in die Hand nehmen müssen, weil ja dann auch mehr privates Geld, mehr dritte Investoren mit einspringen.

    Armbrüster: Der FDP-Haushaltspolitiker Florian Toncar heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Besten Dank, Herr Toncar, für das Interview.

    Toncar: Vielen Dank, Herr Armbrüster. Schönen Tag.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.