Freitag, 19. April 2024

Archiv


In der neuen Heimat

Sieben Dissidenten sind gestern von Kuba nach Spanien geflogen, weitere sollen folgen. Für Spaniens Außenminister ein Beweis, dass nicht die harte Linie der EU, sondern sein sanfter Druck innerhalb eines partnerschaftlichen Verhältnisses, spürbare Verbesserungen bringt. Für die ehemaligen Häftlinge wird der Neustart in Spanien allerdings nicht leicht werden.

Von Hans-Günter Kellner | 14.07.2010
    Für die Geschichte, wie Alejandro González Raga nach Spanien kam, muss der 52-Jährige weit ausholen. Vor mehr als 20 Jahren wollte einer seiner besten Freunde Kuba verlassen. Ohne Ausreiseerlaubnis. Er hatte sich ein Floß gebaut. Alejandro González Raga half ihm mit einem Traktor beim Transport:

    "Auf dem Weg zur Küste hatten wir einen Unfall. Mein Freund verblutete in meinen Armen. In diesem Augenblick frage ich mich, warum so viele unsere Heimat eigentlich verlassen müssen. Unser Leben sollte doch auf Kuba sein, nicht in Europa oder den Vereinigten Staaten. Mir wurde klar, nicht ich muss mich ändern, unsere Regierung muss sich ändern. Das habe ich dann versucht."

    Er schloss sich einer Bürgerinitiative an, der Christlichen Befreiungsbewegung und dem sogenannten Varela-Projekt. Basierend auf einem Artikel der kubanischen Verfassung sammelten sie Unterschriften für politische Reformen. Dafür wurden die Mitglieder der Initiative 2003 zu langen Gefängnisstrafen von bis zu 28 Jahren verurteilt. Alejandro González Raga sollte für 14 Jahre inhaftiert werden, doch 2008 rief ihn der Gefängnisdirektor zu sich:

    "Er sagte: Du kannst nach Spanien ausreisen oder bleibst hier gefangen. Du musst Dich sofort entscheiden. Jetzt! Ich war sehr überrascht und sagte: 'So kann ich das nicht entscheiden. Ich müsse mit meiner Frau sprechen.' Ich konnte mir ihr telefonieren und sie sagte mir: 'Für Deine Freiheit gehe ich mit Dir überall hin.' Das entschieden wir innerhalb von 20 Minuten."

    Ganz ähnlich ergehe es den nun nach Spanien ausreisenden Dissidenten, erklärt Gonzáelz Raga. Viele kennt er persönlich. Die spanische Regierung hat Wert darauf gelegt, dass die bisher Inhaftierten auf Kuba nicht enteignet werden und ihre Angehörigen ohne Probleme ein- und ausreisen dürfen. Zudem betont sie, dass die Dissidenten freiwillig ausreisen. Doch González Raga hat seine Zweifel:

    "Wie kann man von einer freien Entscheidung reden, wenn man im Gefängnis wählen muss zwischen der Ausreise oder weiteren zehn oder 15 Jahren Haft? Wer die Ketten trägt wird sich dann immer für die Freiheit entscheiden. Das ist keine freie Entscheidung."

    Ein Jahr vor der Ausreise der damals insgesamt sieben, teils schwer erkrankten Dissidenten war Spanien aus der gemeinsamen koordinierten Kuba-Politik der Europäischen Union ausgeschert. Statt der harten Haltung der EU gegenüber der Insel, strebt Madrid seither einen Wandel im Dialog mit Havanna an. Spaniens Außenminister Miguel Angel Moratinos hat diese Linie auch beibehalten, nachdem im Februar der Dissident Orlando Zapata Tamayo während eines Hungerstreik starb. Die nun angekündigte Freilassung von insgesamt 52 Dissidenten scheint diese Politik nun zu bestätigen. Doch González Raga merkt an:

    "Wir sind immer dankbar, wenn jemand frei kommt. Ganz egal, unter welchen Umständen. Was wir aber kritisieren, ist dieser Versuch der spanischen Regierung, das kubanische Regime reinzuwaschen. Ich weiß nicht, warum der spanische Außenminister Moratinos das macht. Ich weiß nicht, warum er Fidel Castro mit so großer Liebe behandelt, während wir doch alle wissen, dass es eine Diktatur ist, die Moratinos mit seiner Politik auch noch rechtfertigt."

    Spaniens Bevölkerung nimmt an den Ereignissen auf Kuba von jeher regen Anteil. Viele Spanier erinnern sich noch an entfernte Verwandte auf der Insel, die bis 1892 eine der letzten spanischen Kolonien war. Einige dieser Angehörigen kehren zudem zurück: Aufgrund eines neuen Gesetzes können Kubaner mit spanischen Großvätern spanische Staatsbürger werden. Aber trotz der Sympathie, mit der die Kubaner in Spanen behandelt werden, wird die Integration in der neuen Heimat auch für die Dissidenten nicht leicht:

    "Ich habe mein ganzes Leben auf Kuba verbracht. Dort ist man vom Staat völlig abhängig. Er ist ein Vater, der einem alles abnimmt. Hier merke ich, wie schlecht das für mich war. Im Augenblick ist es zum Beispiel unmöglich, Arbeit zu finden. Ich weiß auch gar nicht, wie man mit einem Arbeitgeber umgeht. Meinen Söhnen geht es ähnlich. So etwas lernt man in einem sozialistischen Land einfach nicht. Das wird auch den Menschen in Kuba so gehen, wenn Kuba demokratisch wird."