Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


"In der Sache ist bedeutsam, dass überhaupt ein Abkommen erreicht wurde"

Das sogenannte START-Abkommen soll auch ein neues Zeitalter in der Zusammenarbeit mit Russland einleiten. Ist es ein Kniefall der USA vor Moskau und Verrat an den Staaten Osteuropas? Einschätzungen von Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik an der Universität in Köln.

Thomas Jäger im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.12.2010
    Thomas Jäger: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Vielleicht zunächst zum Vertrag selbst, Herr Jäger. Viel Lob jetzt für den US-Präsidenten. Außenminister Westerwelle spricht von einer Weichenstellung für ein Jahrzehnt der Abrüstung. Lob auch von der Bundeskanzlerin, von Angela Merkel. Auf der anderen Seite halten viele Fachleute den Vertrag in der Sache, in der Substanz ja für wenig bedeutsam, sagen wir mal. Wie groß ist der Erfolg in der Sache tatsächlich?

    Jäger: In der Sache ist bedeutsam, dass überhaupt ein Abkommen erreicht wurde. Es ist richtig: Die Reduzierung bei den nuklearen strategischen Waffen und bei den Trägersystemen ist geringer, als das in den Vorgängerabkommen der Fall ist. Aber es reflektiert sozusagen den Stand der Entwicklung in beiden Streitkräften. Insofern ist das eine wichtige Entwicklung und es ist eben eine weitere Basis, auf der aufgebaut werden kann all das, was noch verhandelt werden soll, nämlich über taktische Nuklearwaffen und über konventionelle Waffen.

    Barenberg: Obama hat ja seinerzeit die Vision einer atomwaffenfreien Welt proklamiert. Wie viel Fortschritt bedeutet der START-Vertrag in dieser Hinsicht?

    Jäger: Da ist nun gerade eine ganz interessante Diskussion zu beobachten, denn wenn er das nicht getan hätte, wäre wahrscheinlich die Unterstützung der Republikaner weit größer gewesen. Man kann in Washington derzeit sehen, dass ganz unterschiedliche sicherheitspolitische Visionen verfolgt werden und dass es eine große Gruppe an Abgeordneten gibt, die sagt, eine Welt ohne Nuklearwaffen ist eine unsichere Welt. Es ist ein kleiner Schritt in diese Richtung, das wird, glaube ich, bei allen gleichermaßen gesehen. Auch die NATO-Staaten, die sich auf dieses Ziel ja in Lissabon verpflichtet haben, sehen immer noch die Notwendigkeit, Nuklearwaffen vorzuhalten. Aber indem man sagt, es ist ein Schritt in die Richtung, hat man auch die auf den Plan gebracht die sagen, es ist die falsche Richtung.

    Barenberg: Aber wir können doch davon ausgehen, dass auch US-Präsident Obama vorerst und für die absehbare Zukunft mit Nuklearwaffen in seiner Sicherheitsstrategie kalkuliert, oder?

    Jäger: Aber selbstverständlich! Das ist gleich und die Modernisierung der Nuklearwaffen in den USA ist sozusagen jetzt noch mal bedeutsamer geworden. Es gab ja eine ganze Reihe von Verhandlungen mit den Senatoren der Republikaner im Vorfeld, um die Stimmen zu gewinnen, und ein Aspekt war die Modernisierung der Nuklearwaffen. Hier hat Obama 15 Milliarden draufgelegt auf die Planung, die sowieso schon angesetzt war. Das heißt, es werden 85 Milliarden in den nächsten zehn Jahren hierfür ausgegeben. Das wird damit geplant. Nur ist die Frage hinter all dem: Was bindet denn zukünftige Administrationen? Das ist ja auch die Frage, die bei der Raketenabwehr diskutiert wird.

    Barenberg: Lassen Sie uns den Blick auch in dieser Hinsicht noch etwas weiten. Das Abkommen, es soll ja auch dazu beitragen, es soll ein Baustein sein, um zu einem neuen Verhältnis, zu neuen Beziehungen zu Russland zu kommen. Wichtig in diesem Zusammenhang, Sie haben ihn angesprochen, den Plan für eine Raketenabwehr in Europa. Da hat Obama ja Abstand genommen von den Plänen seines Vorgängers George Bush. Ist damit auch in Moskau der Widerstand aus der Welt?

    Jäger: Es gab ja erheblichen Widerstand in Moskau gegen den Aufbau des Raketenabwehrsystems, so wie das unter George Bush geplant war, in Polen und der Tschechischen Republik. Obama hat das vom Tisch genommen, um ein anderes Raketenabwehrsystem jetzt in vier Phasen aufzubauen, das die gesamten europäischen NATO-Staaten abdecken soll und sozusagen sich von Süden nach Norden in Europa langsam entwickelt. In diesen Aufbau nun soll Russland einbezogen werden und das wird man sehen, wie das gelingt. Es ist inzwischen klargestellt worden, dass die amerikanische Regierung dieses System eben nicht in Kooperation sozusagen zur gemeinsamen Nutzung mit Moskau aufbauen will, sondern in eigener Regie machen will. Wie hier Russland einbezogen werden kann, ist offen, aber das war natürlich einer der ganz großen Knackpunkte, denn im neuen START-Vertrag steht eben in der Präambel, dass der Aufbau dieses defensiven Systems in irgendeiner Weise zusammenhängt mit den offensiven nuklearen Waffen, und hiergegen sind eine ganze Reihe von republikanischen Abgeordneten Sturm gelaufen, weil sie sagen, es gibt hier keinen Zusammenhang, der Aufbau eines Defensivsystems ist eine gute Sache in sich.

    Barenberg: Nun sind vom Politikwechsel Obamas, also vom Abstand zu den Plänen seines Vorgängers, ja auch vor allem Polen und andere Staaten im Osten Europas betroffen. Dort gab es ja wohl vielfach den Eindruck, die USA würden ihre Interessen, also die Interessen des Ostens Europas, vernachlässigen zugunsten neuer Beziehungen mit Moskau. Von einem Kniefall gegenüber dem Kreml war da ja mitunter die Rede. Jetzt signalisiert ja beispielsweise Polen Zustimmung auch zum START-Vertrag. Sind also diese Sorgen im Osten Europas verflogen?

    Jäger: Hier war eben wichtig, dass die NATO-Staaten insgesamt sich darauf verständigt haben, die Raketenabwehr aufzubauen. Das war vorher ja ein bilaterales Projekt, etwa mit Polen, ein bilaterales Projekt mit der Tschechischen Republik, und die Amerikaner hatten, wenn Sie so wollen, alleine die Hand darauf. Jetzt hieß es und in Lissabon beschlossen worden, wir machen das gemeinsam. Das hat eine Reihe von Sorgen in den osteuropäischen Staaten genommen und es waren republikanische Senatoren, die ihre Stimme direkt daran gebunden haben, dass etwa die polnische Regierung gesagt hat, wir unterstützen dieses neue START-Abkommen. Sonst wären die Stimmen nicht zu haben gewesen.

    Barenberg: Die Ratifizierung des START-Vertrages und der Kurs der Annäherung an Moskau aus Washington. Das waren Einschätzungen von Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik hier an der Universität in Köln. Vielen Dank, Herr Jäger, für das Gespräch.

    Jäger: Ich bedanke mich.