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In der Schuld gefangen

1947 waren Hörspiele Straßenfeger. Als die Theater in zerbombten Sälen spielten und die Buchverlage um Papier kämpften, war Neues oft zuerst im Rundfunk zu hören. Wolfgang Borcherts Heimkehrerdrama "Draußen vor der Tür" avancierte zum richtungsweisenden Antikriegsstück.

Von Ulrike Rückert | 13.02.2007
    "Hier kommt ein Mann nach Deutschland. Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging."

    Millionen deutscher Soldaten kehrten in den ersten Nachkriegsjahren aus der Gefangenschaft zurück. Heimkehrer ist auch der Unteroffizier Beckmann in Wolfgang Borcherts Drama "Draußen vor der Tür". Der Nordwestdeutsche Rundfunk strahlte es am 13. Februar 1947 als Hörspiel aus, angekündigt vom Chefdramaturgen Ernst Schnabel:

    "Sie gehen unter uns einher in dunkel eingefärbten Soldatenmänteln, blass, mager. In ihren Augen brennt kein Feuer. Anderthalb Jahre lang ist diese Jugend nun angerufen worden und hat geschwiegen. Man hat sie bestürmt, angefleht, doch endlich zu reden - sie hat geschwiegen. Man hat ihr vorgeworfen, sie sei verstockt. Sie hat zu alledem nur immer wieder geschwiegen. Nun hat einer, ein erster von den 25-Jährigen gesprochen: Wolfgang Borchert."

    Verkrüppelt kommt Beckmann aus Sibirien zurück und erlebt, dass für die andern der Krieg schon Vergangenheit ist. Seine Frau hat einen anderen Mann, seine Eltern sind tot. Beckmann findet sich nicht zurecht. Er kann nicht schlafen, ihn quält die Verantwortung für elf Soldaten, die unter seinem Kommando gefallen sind. Er will sich von der Schuld befreien, will sie zurückgeben an den Oberst, von dem er damals den Befehl erhielt:

    "Jawohl, Herr Oberst, hab ich da gesagt. Und dann sind wir losgezogen und haben erkundet. Dann wurde geschossen, und als wir wieder in der Stellung waren, da fehlten elf Mann. Und ich hatte die Verantwortung. Ja. Ja, das ist alles, Herr Oberst. Nun ist der Krieg aus, und ich will pennen. Nun gebe ich Ihnen die Verantwortung zurück, Herr Oberst, ich will sie nicht mehr, ich gebe sie Ihnen zurück, Herr Oberst."

    "Aber mein lieber Beckmann, Sie erregen sich unnötig."

    Das Hörspiel war ein großer Erfolg. Hans Quest, der Sprecher des Beckmann, erinnert sich:

    "Und nach der Ursendung im Februar '47 stand das Telefon nicht still, so dass am nächsten Abend die Sendung wiederholt wurde schon, eine Programmänderung."

    Noch im selben Jahr folgten zwei weitere Wiederholungen im NWDR und Ausstrahlungen in anderen Sendern. Hunderte von Hörern schrieben Briefe, viele fanden ihre eigenen Gefühle ausgedrückt:

    "Wir, Deine gleichaltrigen Kameraden, die jungen Unteroffiziere, die wir in atemloser Spannung am Lautsprecher gesessen haben, wir haben Dich gehört und - verstanden!"

    Doch Beckmann, der gegen das schnelle Vergessen wütet und auf die Wahrheit pocht, spricht sie auch nur zur Hälfte aus. In seiner Anklage sind die Opfer des Krieges deutsche Soldaten, deutsche Frauen und Kinder. Was hier ein blinder Fleck bleibt, thematisiert ein anderes Hörspiel, das der NWDR vier Wochen vor "Draußen vor der Tür" ausgestrahlt hatte: "Nun singen sie wieder" von Max Frisch. Auch hier ist der Protagonist ein deutscher Soldat, der einen Befehl ausführt und sich von der Schuld nicht mehr befreien kann. Doch hier ist es der Befehl zur Geiselerschießung, die Opfer sind russische Frauen und Kinder. Das Stück war heftig umstritten. Hörer hielten Max Frisch vor, dass er als Schweizer den Krieg nicht erlebt habe. Im Versuch einer Antwort an einen Wehrmachtsoldaten schreibt Frisch:

    "Ich habe noch niemals schießen müssen, und vielleicht liegt darin das Entscheidende, was Sie erlebt haben, was Sie anders erlebt haben - Warum sprechen Sie nicht davon?"

    Davon spricht auch Borcherts Unteroffizier Beckmann nicht. Und die Frage nach der Schuld verschwimmt zu einem allgemein-menschlichen Problem:

    "Und der Mörder bin ich. Ich? Der Gemordete, ich, den sie gemordet haben, ich bin der Mörder? Wer schützt uns davor, dass wir nicht Mörder werden? Wir werden jeden Tag ermordet, und jeden Tag begehen wir einen Mord!"

    Der Erfolg des Hörspiels setzte sich auf der Bühne fort. Gleich 15 deutsche Theater nahmen das Stück an. Die Uraufführung fand am Totensonntag an den Hamburger Kammerspielen statt. Wolfgang Borchert, der schwer krank aus dem Krieg zurück gekommen war, erlebte es nicht mehr. Er starb einen Tag vorher, am 20. November 1947.

    ""Die Uraufführung von 'Draußen vor der Tür' stand natürlich ganz unter dem Eindruck der Todesnachricht. Das Publikum saß nach Ende des Stückes fast zwei Minuten schweigend da, und dann brach ein ungeheurer Beifallssturm los","

    berichtete sein Verleger Ernst Rowohlt. Vom Zeitkontext abgelöst, wurde "Draußen vor der Tür" das deutsche Antikriegsstück. Bis heute gibt es jedes Jahr neue Inszenierungen.