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In der Zwickmühle

Körperliche Nähe zu Kindern und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Sportlern und Trainern: Wegen dieser Faktoren werden Sportvereine oft zu Tatorten für sexuellen Missbrauch. Mittlerweile gibt es aber einige Kampagnen, die Aufklärungsarbeit leisten und Sportvereine zu sicheren Orten machen sollen. Doch die Konzepte kommen oft nicht in den Vereinen an.

Von Lena Gilhaus | 17.11.2012
    Sexueller Missbrauch - den gibt es im Fußballverband Mittelrhein nicht. Davon ging Vizepräsident Stephan Osnabrügge lange aus. Denn offiziell war im Verband kein Vorfall bekannt. Doch dann hörte er 2010 von mehreren Vorfällen im Berliner Fußballverband und wurde unsicher. Vor einem Jahr hat Osnabrügge deshalb im Fußballverband Mittelrhein die Anlaufstelle "Aktiv gegen Missbrauch" eingerichtet. Danach wurde ihm eins klar: Auch bei uns passiert es. Fünfzehn Fälle sind ihm binnen eines Jahres gemeldet worden:

    "Also wir haben ein ganz buntes Spektrum. In den Vereinen sind es oft Trainer von kleinen Mannschaften, D-Junioren oder Jüngere, die Grenzverletzungen begehen bis hin zu möglichen Straftaten."

    Strafbar machte sich laut Osnabrügge ein Trainer, der über Facebook sexuelle Vorlieben mit einem Minderjährigen austauschte. Ein anderer fuhr mit einem Jungen in einen Tunnel und bedrängte ihn. Ein Platzordner lockte ein 12-jähriges Mädchen ins Vereinsheim, fasste sich in die Hose und dann dem Mädchen unter den Pullover. Das Mädchen konnte fliehen. Die 11 bis 13-jährigen Opfer aus den D-Junioren-Mannschaften sind auch laut Kinderschutzbund eine Risikogruppe für sexuellen Missbrauch: Gerade berät die Anlaufstelle einen Fußballverein aus dem Rheinland, der ungenannt bleiben will.

    "Wir haben vom Vater eines D-Jugendlichen gemeldet bekommen, dass ein Trainer unter der Dusche in einer bestimmten Weise zudringlich geworden sein soll. Konkret: Nackt den Kindern angeboten haben soll, ihn zu massieren"

    Als Osnabrügge das erfuhr, lief schon ein Ermittlungsverfahren gegen den Jugendtrainer: Wovon der Verein gar nichts wusste. Osnabrügge nahm Kontakt mit dem Vereinsleiter auf. Der will unter dem Pseudonym Markus Weber unerkannt bleiben. Weber suspendierte den verdächtigen Trainer für die Dauer der noch laufendenden Ermittlungen. Der Trainer kündigte dann aber selbst. Osnabrügge und Weber halten das für eine gelungene Intervention, weil in vielen anderen Fällen potentielle Täter unbehelligt weiter arbeiten könnten.

    Damit ist für die Anlaufstelle der Fall beendet. Weber macht sich Gedanken um die Zukunft. Er will nun von jedem Ehrenamtlichen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis sehen und einen Ansprechpartner für Missbrauchsfragen benennen. Aber mit Eltern, Kindern und Trainern offen über Präventionsmaßnahmen zu sprechen – davor schreckt Weber zurück. Er hat Angst, dass sich der Verein durch einen Infoabend verdächtig macht:

    "Die werden dann wohl persönlich werden und fragen, ja was ist denn da gewesen, das ihr jetzt hier, ja in die Puschen kommt. Die werden den Braten riechen- Ich befürchte, wenn das Thema ist, dass das unserem Zulauf an Jugendlichen nicht unbedingt entgegen kommt, dass die Eltern dann sagen, dann suchen wir uns einen anderen Verein"

    Webers Hemmungen sind kein Einzelfall, sagt Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule in Köln. Sie hat zu dem Thema geforscht. Das Ergebnis der Studie: Während viele Sportbünde und -verbände schon an Schutzkonzepten arbeiten, ist das Thema an der Basis oft noch ein Tabu. Ehrenamtliche Vereinsvorsitzende sind laut Rulofs oft überfordert und schweigen deshalb lieber. Um das zu ändern, hat Rulofs für die Deutsche Sportjugend an einem bundesweit geltenden Handlungsleitfaden für Vereine mitgeschrieben. Der regt die Vereine zu Offenheit an:

    "Denn wir wissen zum Beispiel, dass potentielle Täter immer auch vor solchen Institutionen der Kinder- und Jugendarbeit zurück schrecken, die sich also ganz deutlich mit dem Thema Prävention beschäftigen. Also darüber nach außen zu kommunizieren ist auch entsprechend ein Schutzmechanismus."

    Eine Kultur des "Darüberredens" schaffen, das ist auch Ziel der Kampagne "Schweigen schützt die Falschen" vom Landessportbund Nordrhein-Westfalen. Unter der Leitung von Dorota Sahle ist der LSB NRW unter den Ländern der Pionier beim Kampf gegen sexualisierte Gewalt im Sport. Seit 1996 geben Sahle und ihre Kollegen Informationen an Vereine raus, bieten Fortbildungen an und stellen Kontakte zur Jugendhilfe her. Für ganz NRW ist nun ein Qualitätsbündnis geplant, in das Vereine eintreten dürfen, die wie folgt vorgehen:

    "Die konkreten Schritte sind, erst mal alle zu diesem Thema zu informieren, der zweite Schritt wäre ein Verfahren festzulegen, was im Verein passiert, im Fall eines Falles. Vertrauenspersonen zu benennen, dann die Qualifizierung der Übungsleiter und wir laden auch eine Beratungsstelle ein und machen einen Elternabend, so dass die Eltern auch wissen, weshalb und was wir im Sportverein machen."

    Doch bisher weiß Dorota Sahle nur von 200 Vereinen, die diese Schritte gegangen sind. Von insgesamt 20.000 in NRW. Deshalb sollten auch die Eltern aktiv werden – bevor etwas passiert. Renate Blum-Maurice vom Kinderschutzbund rät: Erst im Verein nach Präventionskonzepten gegen sexualisierte Gewalt im Sport fragen. Und wenn die Antworten überzeugen, ihr Kind dort anmelden.

    "Das heißt nämlich nicht, dass hier alle, die im Sport tätig sind, ihre Freizeit, ganz viel Engagement, für den Sport mit Kindern und Jugendlichen einsetzen, dass die jetzt alle unter Generalverdacht gestellt werden, sondern dass sie sich auch dafür einsetzen, dass die Orte, wo sie mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten möglichst schützende Orte sind."