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In die Unabhängigkeit und nach Europa

Fünf Jahre ist es her, dass sich das kleine Montenegro auf den Weg in die Unabhängigkeit gemacht hat. Ende Oktober 1999 hatte der noch junge Staatspräsident Milo Djukanović im Parlament von Podgorica die Einführung einer montenegrinischen Staatsbürgerschaft durchgesetzt, kurz darauf folgte die Übernahme der D-Mark als offizielle Währung in Montenegro. Das waren klare Signale: Montenegro wollte sich aus der Umklammerung des jugoslawischen Staates befreien, der wurde damals noch von Slobodan Milošević dominiert. Heute, fünf Jahre später, gibt es Jugoslawien nicht mehr, Milošević muss sich vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag verantworten. Und Milo Djukanović hat sich bei den kroatischen Nachbarn dafür entschuldigt, das montenegrinische Einheiten der jugoslawischen Volksarmee die historische Küstenstadt Dubrovnik beschossen. Vieles hat sich also geändert, aber in Montenegro selbst ist politisch vieles gleich geblieben: Die politische Führungsriege ist zum Beispiel immer noch dieselbe.

Von Eberhard Nembach | 13.11.2004
    Der 42-jährige Milo Djukanović hat inzwischen das Amt des Regierungschefs übernommen, er ist als Parteichef der regierenden Wende-Sozialisten immer noch unangefochten und gilt inzwischen als einer der reichsten Männer des Landes. Und sein politisches Projekt ist immer noch dasselbe: Er will die Unabhängigkeit seines Landes vom Gemeinschaftsstaat Serbien-Montenegro. Dieser Staatenbund ist der offizielle Nachfolger Jugoslawiens - es gibt einen gemeinsamen Präsidenten. Das ist der Montenegriner Svetozar Marović. Ihm stehen auch ein paar Minister zur Seite, etwa für Außenpolitik, Handel, Verteidigung ist der Gesamtstaat verantwortlich. Serbisch-montenegrinischer Gemeinschafts-Außenminister ist zurzeit der Serbe Vuk Drašković - trotzig hat aber Milo Djukanović in Montenegro einen eigenen Nebenaußenminister ernannt - damit hat er mal wieder Fakten auf dem Weg zur Staatlichkeit geschaffen. Der amtierende montenegrinische Außenminister, der von westlichen Kollegen wie Joschka Fischer demonstrativ NICHT empfangen wird, heißt Miodrag Vlahović, stammt aus derselben jüngeren Politiker-Generation wie sein Chef Djukanović, und sieht seine Hauptaufgabe darin, in aller Welt zu erklären, warum Montenegro unbedingt unabhängig werden müsse…

    In dieser Generation montenegrinischer Politiker wollen wir nicht mehr nach Belgrad gehen, um Entscheidungen herbeizuführen, die Montenegro betreffen. Die Unabhängigkeit ist eine Voraussetzung für Integration. Sie sollte verstanden werden als Schritt voran in Richtung auf eine Konsolidierung dieser sehr turbulenten Region, eines Teils Europas, der in den letzten 15 Jahren eine sehr lange und tragische Krise durchgemacht hat. Jetzt haben wir diesen Prozess zum Glück hinter uns. Und Montenegro ist das kleinste Problem in der Region. Wir wollen nicht unabhängig sein, weil
    wir uns irgendwo ethnisch unterscheiden, wir wollen unabhängig sein, weil wir Europäer sind.


    In die Unabhängigkeit und nach Europa, das ist das Projekt der montenegrinischen Regierung, aber anders als vor fünf Jahren stößt sie auf Gegenwind aus Brüssel. Seinerzeit war der Belgrad-feindliche Kurs von Djukanović und seinen Mitstreitern willkommen - nach dem Kosovo-Krieg unterstützten die Europäer alle, die gegen Milošević waren. Heute aber drängt EU-Außenrepräsentant Javier Solana darauf, die Staatengemeinschaft von Serbien und Montenegro zu erhalten - ein weiterer Staat auf dem Balkan, der sich löst und unabhängig wird, das könnte auch bei anderen den Appetit auf die Eigenstaatlichkeit wecken - etwa bei den bosnischen Serben, den mazedonischen Albanern und erst Recht unabsehbar wären die Folgen für das Kosovo. Deshalb erfand Javier Solana mit seinen Beamten das seltsame Gebilde Serbien-Montenegro - ein Doppelstaat mit zwei Währungen und einer Zollgrenze in der Mitte. Trotzdem drängt die montenegrinische Führung auf die Unabhängigkeit - das Belgrader Abkommen von 2002 sieht die Möglichkeit eines Unabhängigkeits-Referendums vor, auf das die montenegrinische Führung seitdem hinarbeitet.

    Ministerpräsident Djukanović nutzt jede Möglichkeit, um die Gemeinschaft mit Serbien zu zersetzen - spätestens Anfang nächsten Jahres müssten zum Beispiel laut Abkommen erstmals Wahlen zum gemeinsamen Parlament abgehalten werden. Bisher wurden die Abgeordneten im Parlament von Serbien- Montenegro, das seinen Sitz in Belgrad hat, von den Parlamentarien der beiden Teilstaaten entsandt. Die erste Direktwahl will Djukanović aber am liebsten gar nicht erst durchführen - Begründung: Die sei doch gar nicht notwendig, weil der Gemeinschaftsstaat auf Dauer sowieso nicht existieren könne.

    Wahlen organisieren? Stellt sich die Frage: Wofür? Wahlen für was? Für welche Institutionen? Für Institutionen einer Staatengemeinschaft, deren Zukunft äußerst ungewiss ist. Unserer Meinung nach muss man eine andere, rationale Reihenfolge der Schritte festlegen: Zuerst den Status des Staates neu definieren, wenn möglich im Einvernehmen mit Serbien. Wenn das nicht möglich ist, dann eben, indem wir die Wege nützen, die im Belgrader Abkommen festgelegt sind. Und dann sollte man demokratische Wahlen für jene Institutionen organisieren, die nach der Lösung der Frage des staatsrechtlichen Status’ noch aktuell sein werden.

    Das wären, nach Djukanović’ Vorstellung nur noch die beiden Parlamente der dann unabhängigen Staaten.
    Wahrscheinlich hätte Milo Djukanović die Mahnungen aus Brüssel schon längst ignoriert und sein Unabhängigkeitsreferendum abgehalten - wenn er sicher sein könnte, dass wirklich eine Mehrheit der gut 600tausend Montenegriner für Unabhängigkeit stimmt. Das ist aber nicht sicher - die Bevölkerung ist gespalten. Die Stimmung schwankt, in den letzten Jahren war immer ungefähr die Hälfte der Befragten für, die andere Hälfte gegen eine Unabhängigkeit vom Gemeinschaftsstaat mit Serbien. Das spiegeln auch die Wahlen wieder. Die Opposition hat als Hauptprogrammpunkt die Gemeinschaft mit Serbien propagiert, und Djukanović hat dagegen mit seinem Unabhängigkeitskurs nur eine knappe Mehrheit im Parlament erreicht. Srđa Božović, Fraktionschef der oppositionellen sozialistischen Nationalpartei SNP erklärt, warum er, wie viele andere Montenegriner auch, gegen die Unabhängigkeit ist:

    Wir glauben, dass aus der Sicht Montenegros und seiner Bürger eine staatsrechtliche Einheit mit Serbien nützlicher und profitabler wäre, die als solche auch in die europäischen und euro-atlantischen Strukturen integriert wäre. Dafür sprechen zunächst wirtschaftliche Gründe. Auch aus verteidigungspolitischer Sicht ist die Gemeinschaft mit Serbien besser als die Unabhängigkeit. Das sind rationale Gründe. Was die so genannten irrationalen Gründe angeht: Viele sehen uns als nah verwandte Völker, oder sogar als ein Volk. Wir haben den selben Glauben, die selbe Sprache, wir teilen die selbe Geschichte, die selbe Tradition.

    Neben der politischen Opposition gegen seinen Unabhängigkeitskurs hat Regierungschef Djukanović noch einen weiteren gewichtigen Gegner: Die orthodoxe Kirche - die offizielle Kirche in Montenegro ist Teil der serbisch-orthodoxen Kirche unter Patriarch Pavle in Belgrad. Der montenegrinische Metropolit Amfilohije taucht in sämtlichen Umfragen als eine der populärsten Persönlichkeiten in Montenegro auf. Die Kirche hat in der montenegrinischen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt. Früher war der Fürstbischof gleichzeitig weltliches und geistliches Oberhaupt des Fürstentums Montenegro. Der Bischofspalast im historischen Bergstädtchen Cetinje war das Zentrum des alten Montenegro - auf das sich Ministerpräsident Djukanović in seinem Unabhängigkeitsstreben immer wieder beruft. Im alten Bischofssitz residiert aber nun der widerborstige Metropolit Amfilohije. In der holzgetäfelten Bibliothek des Jahrhunderte alten Klostergebäudes erklärt der schwarz gewandete Würdenträger mit dem langen weißen Bart den Aufstieg der Kirche nach dem Fall des Kommunismus - polyglott wie er ist, spricht der Metropolit natürlich auch Deutsch:

    1990 hatten wir die Möglichkeit, die Kirche zu erneuern, die Klöster. Neue Priester haben wir geweiht. Auch die Bevölkerung hat sich zur Kirche von Neuem bekehrt - das ist sehr wichtig. Obschon, in dieser Zeit haben wir neue
    Schwierigkeiten - auch mit der Regierung, mit einigen Parteien, mit der neuen Ideologie.


    Diese so genannte neue Ideologie, das ist die neue unabhängige Montenegrinische orthodoxe Kirche, eine Gegenkirche, die von der Regierung unterstützt wird, weil sie im Gegenzug den Unabhängigkeitskurs der Regierung unterstützt. Die Regierung wirft Metropolit Amfilohije vor, etwa im Kosovo-Krieg nationalistisch-serbische Positionen unterstützt zu haben. Bei einer gegen die Kosovo-Albaner gerichteten Demonstration in Belgrad war Amfilohije in diesem Jahr aber zu sehen, wie er Demonstranten in den Weg trat, die eine Moschee anzünden wollten. Es ist nicht leicht, diesen kirchlichen Würdenträger einzuordnen, der auch für Kirchen und Klöster im Kosovo zuständig ist.

    Kosovo, das ist das größte Problem auf dem Balkan. Ein Frieden zwischen der albanischen Mehrheit und der serbisch-orthodoxen Minderheit dort ist nicht in Sicht, internationale Soldaten halten die beiden Volksgruppen voneinander fern. Im nächsten Jahr sollen Verhandlungen über den zukünftigen Status des Kosovo beginnen -das wird schwierig. Die Kosovo-Albaner verlangen die Unabhängigkeit, die serbische Regierung besteht darauf, dass das Kosovo Teil Serbiens und damit Serbien-Montenegros ist. Deshalb ist das Kosovo im Augenblick auch noch ein Problem für Montenegro - Regierungschef Djukanović will dieses Problem gerne loswerden - durch die Unabhängigkeit. Das würde den Weg in die europäische Union frei machen, hoffen er und seine Mitstreiter. Zudem könnte man sich dann aus dem Streit Serbiens mit dem Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag heraushalten - so jedenfalls das Kalkül.

    Chef-Anklägerin Del Ponte verlangt, dass die Serben Karadžić und Mladić gefasst und ausgeliefert werden, zudem will sie die Auslieferung einiger weiterer serbischer Generäle, die zum Teil noch bis vor kurzem wichtige Ämter in Serbien hatten. Viele vermuten allerdings, dass Karadzić sich auch gelegentlich in Montenegro aufhält, woher er stammt, und wo noch immer seine Mutter wohnt. Dafür gebe es keine Hinweise, heißt es dazu im montenegrinischen Innenministerium lakonisch.
    Kosovo und Kriegsverbrecher - diese Probleme würde Montenegro gerne loswerden durch eine Unabhängigkeit, die außerdem mehr Freiheit für die Wirtschafts-Entwicklung bringen würde, so das Argument der Unabhängigkeitsbefürworter. Montenegro sei wirtschaftlich-politisch viel weiter als das krisengeschüttelte Serbien. Also könne Montenegro ohne Serbien viel schneller in die Europäische Union und in die Nato kommen. So hält Serbien-Montenegro nur zusammen, weil und solange die Europäer es zusammenpressen - auf dem Balkan wird der seltsame Zwitterstaat von Brüssels Gnaden deshalb auch gern spöttisch "Solania" genannt. Javier Solana selbst tritt den Unabhängigkeits-Befürwortern bei seinen häufigen Balkan-Besuchen regelmäßig deutlich entgegen

    Ich habe Gerüchte gehört, die in die Richtung gehen, dass eine Trennung von Serbien und Montenegro die Kooperation mit Europa beschleunigen wird. Ich will sehr klar sagen, dass das ein großer Fehler ist. Die Art, wie Sie näher an Europa heranrücken können ist, den Staat stabil und zusammen zu halten. Diese Position ist auf allen Treffen der Führer der EU bestätigt worden.

    Tatsächlich haben die Staatschefs der europäischen Union kürzlich ihre Haltung erneut klar gemacht: Der Gemeinschaftsstaat Serbien-Montenegro solle erhalten bleiben. Aber: auch die unterschiedliche wirtschaftliche Situation wird anerkannt, die Entwicklung dürfe auf diesem Gebiet "zweigleisig" verlaufen, so die Europäer. Also: zwei Zoll- und Steuersysteme, zwei Währungen, eine Zollgrenze in der Mitte der beiden Teil-Staaten. Tatsächlich hat sich in Montenegro wirtschaftlich auf einigen Gebieten schon Manches bewegt. Der Tourismus an der Adria-Küste wirft wieder gutes Geld ab, die Preise nähern sich dem Niveau in Kroatien. Der größte Industriebetrieb - eine Aluminium-Hütte - wartet aber noch auf die Privatisierung - genauso wie die größte Weinkellerei im ehemaligen Jugoslawien, die Firma Plantaže. Ein ehemals sozialistischer Großbetrieb mit rund 2000 Hektar, der aber bereits formell in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde - Mehrheitseigner ist der Staat, auch die Mitarbeiter haben Aktien. Plantaže muss jetzt auf eigene Rechnung wirtschaften, ohne Staatssubventionen, und wirft nach eigenen Angaben Gewinn ab.

    In schlanke Bordeaux-Flaschen wird der montenegrinische Rotwein Vranac abgefüllt, der sich auf dem gesamten Balkan gut verkauft. Aus dieser nagelneuen Abfüllanlage aus Italien rollen aber auch Flaschen in die 6er-Kartons, die nach Deutschland verschickt werden - seit der Aufhebung der Sanktionen ist der Export wieder möglich. Die Qualität der Weine ist gut, für rund drei Euro ist ein montenegrinischer Qualitätswein in Serbien und Montenegro zu kaufen - im Vergleich zu den teureren europäischen Weinen wäre das ein unschlagbares Angebot, wenn man die eigenen Weine auch in Mitteleuropa zu diesen Preisen anbieten könnte, so Plantaže-Matketingchefin Anna Hajduković:

    Wir haben im letzten Jahr fast 13 Millionen Flaschen verkauft. Serbien ist noch immer unser größter Absatzmarkt. Dann kommen unsere Nachbarländer. Was den Export in Länder außerhalb des ehemaligen Jugoslawien angeht: Wir sind praktisch in der ganzen Welt vertreten, in Deutschland, Österreich, Großbritannien, den USA, in Russland. Leider sind wir nicht in der Europäischen Union. Unsere Weine sind deshalb dort viel teurer als sie eigentlich sein müssten.

    Als Kandidat für eine Mitgliedschaft könnte Montenegro, das schon den Euro eingeführt hat, bereits die EU-Zölle umgehen. Das hat das Land aber auch bisher getan - illegal und im großen Stil - mit Schmuggel sind in Montenegro Milliarden verdient worden.

    Mit bis zu hundertzwanzig km/h jagt die Patrouille der montenegrinischen Grenzpolizei über den Skadarsee - ein 38 Kilometer langes Stück Grenze haben sie zu sichern, schnurgerade verläuft es durch den See - das insgesamt 500 Kilometer lange verwinkelte und bergige Ufer ist aber nur schwer zu kontrollieren. Dort legen nachts die Schmugglerboote an, die von der albanischen Seite kommen, erzählt Grenzinspektor Zoran Lasica.

    Zigaretten transportieren sie, Treibstoff, sogar Gemüse, aber auch Drogen, sagt Lasica. Die Grenzpatrouillen nehmen immer Gewehre mit - ein Schmuggler, der im doppelten Boden seines selbst gebauten 100PS-Bootes Zigaretten im Wert von 3000 Euro transportiert, der sei schließlich bereit, diese Werte zu verteidigen, so Inspektor Lasica.

    Ein solches beschlagnahmtes Boot haben die Grenzschützer neben ihrer Wache aufgestellt - wie eine Trophäe. Seit die Armee im Januar die Grenzsicherung ganz der Grenzpolizei überlassen hat, haben sie den Schmuggel massiv eindämmen können, erklären die Beamten stolz - auch wenn sie selbst nur auf einem selbstgebauten Boot Patrouille fahren.
    Die Grenze verläuft zu 90 Prozent durch Bergland, erklärt Zdravko Mijanović, Chef der Abteilung Grenzsicherung vor der großen Landkarte in seinem Büro im Innenministerium. Um die effizient zu sichern, brauchen wir Infrarotkameras und Nachtsichtgeräte, wie sie in der Eu und anderswo üblich sind, klagt der Ministeriumsbeamte.

    Immerhin: Aus Amerika sollen demnächst zwei neue Patrouillenboote kommen - deutsche Beamte beraten die Grenzpolizei.

    Auch Autos werden über Montenegro verschoben. Vor allem der Zigarettenschmuggel aber ist ein Milliardengeschäft. Gerade wurde in der Schweiz eine internationale Bande zerschlagen, gegen die auch deutsche Behörden ermitteln. Italienische Staatsanwälte erhoben sogar Vorwürfe gegen den montenegrinischen Ministerpräsidenten Djukanović - in der Zeit der Sanktionen gegen Milošević wurde der Schmuggel wohl auch stillschweigend geduldet, weil der Milošević-Gegner Djukanović seinen abtrünnigen Staat Montenegro damit über Wasser hielt. Mit der Toleranz soll jetzt Schluss sein. Auch für Drogen, Zwangsprostituierte und illegale Einwanderer ist Montenegro Ziel und Durchgangsstation - auf dem Weg in die EU. Montenegro ist damit eine Art Vorposten der Festung Europa.
    Neben der Kriminalität, die jetzt mit ausländischer Hilfe eingedämmt werden soll, gibt es aber noch andere schwer wiegende Probleme in Montenegro: Politisch herrscht praktisch Stillstand im Land, weil die Opposition bereits seit rund anderthalb Jahren die Parlamentsarbeit boykottiert.
    Begründung: Die Medien seien alle regierungstreu.

    Natürlich gibt es offiziell keine Zensur in Montenegro. Tatsächlich sind aber die meisten Medien sehr staatsnah. Auch die privaten Medien hängen von den Werbeeinnahmen ab, die wiederum hauptsächlich von staatlichen oder staatsnahen Firmen kommen. Es herrscht so etwas wie eine Selbstzensur, Kritik an der Regierung und an Ministerpräsident Djukanović ist nicht üblich und kann sogar gefährlich sein, kritisiert die Opposition. Der angesehene Journalist Duško Jovanović von der kritischen Tageszeitung "Dan" wurde unter ungeklärten Umständen ermordet. Für seinen Redaktionskollegen
    Mili Prelević ist klar, wer hinter dem Anschlag steckt.

    Die montenegrinische Regierung, die Milo Djukanović als unumstrittener Herrscher personifiziert, hat dutzende Klagen gegen uns eingereicht. Die kamen von Djukanović, von seinen Ministern, persönlichen Freunden, Paten. Es gab auch permanent Versuche zu dementieren, was wir schreiben - auch das zu dementieren, was nicht zu leugnen ist. Die Regierung hat eine Atmosphäre geschaffen, in der offensichtlich nur noch das gefehlt hat, dass jemand aus "Dan" ermordet wird. Ich bin sicher, dass Dusko Jovanovic ermordet wurde, weil jemand in seinem Kopf den monströsen Plan hatte, dass er mit diesem Mord unsere Zeitung auslöschen wird. "Dan" ist die einzige Stimme der Vernunft in Montenegro, die die Tür der Wahrheit einen Spalt geöffnet hat, was die montenegrinische Regierung angeht.

    Es gibt einige ungeklärte Fragen in Montenegro. Ob aber Djukanović auf Dauer politisch überlebt, das hängt vom Erfolg des Projektes ab, an das er sein politisches Schicksal gebunden hat: die Unabhängigkeit. Bisher gibt es Widerstand aus Brüssel. Der ließe sich aber wohl überwinden, wenn die Bevölkerung klar hinter dem Projekt stünde. Djukanović lässt sie systematisch darauf einstimmen: Eine Sendung des Staatsfernsehens erinnert täglich an Ereignisse aus der Geschichte Montenegros - etwa aus der goldenen Zeit unter Fürst Njegoš oder aus der kurzen Zeit der Unabhängigkeit um 1900.

    Die erzählten Ereignisse selbst sind eher bedeutungslos - bedeutend ist die Botschaft dahinter: Montenegro, das einstige Adria-Fürstentum der schwarzen Berge hat eine eigenständige Geschichte, und damit auch eine eigenständige Zukunft. Das aber muss der umtriebige Regierungschef Milo Djukanović erst noch beweisen.