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In die Welt des schönen Scheins

Eine köstliche Parodie auf Macht und Herrschaft, das ist der jüngste Roman des kubanischstämmigen Autors José Manuel Prieto. Sein Roman "Rex" handelt von den Hochstapeleien der Russenmafia im südspanischen Marbella und einem kubanischen Hauslehrer, der sich gern auf Vladimir Nabokov, Franz Kafka und andere Autoren der Weltliteratur beruft. Ein tiefgründiger Roman über eine oberflächliche Welt, in der Habgier triumphiert.

Von Margit Klingler | 18.08.2008
    Wie sonst kein Autor der spanischsprachigen Literatur versteht es José Manuel Prieto, Literatur und Verbrechen auf eigenwillige, wenn nicht gar aberwitzige Art, aufeinander zu beziehen. So beschreibt er in seinem viel beachteten und bislang in acht Sprachen übersetzten Roman "LIWADJIA" den Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion, in dem er die Welt des Frauenhandels - russische Sexarbeiterinnen im Nachtclub Saray in Istanbul - aus der Sicht eines Mannes schildert, der sich in eine dieser Russinnen verliebt, ihr Liebesbriefe schreibt und sich darin auf die klassischen Briefromane des Abendlandes bezieht.

    Sein jüngster Roman "REX" handelt von den Hochstapeleien der Russenmafia im südspanischen Marbella und einem kubanischen Hauslehrer, der sich gern auf Vladimir Nabokov, Franz Kafka und andere Autoren der Weltliteratur beruft, vor allem jedoch auf Marcel Prousts "EINE LIEBE VON SWANN". Mit diesem Roman bestreitet er den Unterricht seines Zöglings Petja und kommentiert davon ausgehend seine Erfahrungen im Umgang mit seinen neureichen Arbeitgebern, die ihm das Honorar schulden.

    "Das Buch handelt einzig und allein vom Geld. Denn als der Schriftsteller sich als Hauslehrer bei Romanianus Kindern verdingt und Wochen vergehen, ohne dass man ihn bezahlt, da tritt er ans Fenster und stellt sich nur diese Frage: Sind sie nicht märchenhaft reich? Haben sie nicht jede Menge Geld in Lederköfferchen versteckt, in Kellergewölben, wo Gold in den Regalen funkelt, und vermittelt ihnen nicht gerade das Geld diese Aura von Ruhe und Sicherheit? Konnte der Schriftsteller dieses Thema nicht ebendarum so unverblümt anschneiden, ihm ein ganzes Kapitel widmen, weil das Geld im Mittelpunkt jeder Erfahrung steht? Brauchen wir nicht für alles Geld?"

    Der kubanische Hauslehrer will mit Prousts Roman den gesamten Unterricht seines russischen Zöglings bestreiten, ja sogar die Mathematik - und Spanischstunden.

    Hauslehrer wird der Kubaner, der sich bereits in vielen Jobs bewährt hat, per Zufall. Er sehnt sich nach ein paar ruhigen Monaten am Meer, und da scheint sein neuer Arbeitsplatz genau das Richtige zu sein: Eine Luxusvilla am Strand von Marbella. Dort wohnen seine neuen Arbeitgeber, eine steinreiche russische Kleinfamilie: die bildhübsche Nelly, ihr ungehobelter Ehemann Wassili, der elfjährige Sohn Petja sowie der Hausdiener Batyk. Fesseln ihn die Liebe zu Nelly, die Gier nach Reichtum oder schlichtweg Entscheidungsunfähigkeit an diese Villa, deren Bewohner sich von der Außenwelt abschotten? In zwölf Kommentaren, in denen er sich direkt an Petja wendet, schildert der Hauslehrer, wie er sich gegen besseres Wissen in die Welt des schönen Scheins und des skrupellosen Betrugs hineinziehen ließ, die Glamour - und Glitzerwelt russischer Möchtegerns, Hochstapler mit viel Geld und wenig Geschmack. Neureiche, die Prieto wie folgt porträtiert:

    "Ich traf auf einen Mann - schwerlich ein vornehmer Mann -, der an der Rezeption stand und gleich nach meinem Eintreten mächtig meinen Blick auf sich zog. Das blonde Haar, das Ungeschlachte an ihm, die Plumpheit eines Neureichen, der ständig aufschaut und eine Lücke zwischen den Sesseln der Empfangshalle anvisiert oder wichtigtuerisch auf seine Armbanduhr sieht und eine verärgerte oder befriedigte Gebärde macht, je nachdem, ob er im Zeitplan ist oder schon zu spät dran, und all das nur, um seinen neuen Status zu demonstrieren, die Bedeutung, die er in seinen eigenen Augen gewonnen hat. Die Art, wie er wichtigtuerisch an seinem himbeerfarbenen Sakko zupfte und sein Kinn dicht über der Brust hin und her schwenkte, der Hals eingezwängt von einer breiten Krawatte, völlig unpassend für Ort und Klima."

    Russen dieses Schlags drängten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion an die Costa del Sol, enttäuscht von einem politischen System, in dem sie keine Entfaltungsmöglichkeiten hatten, um die Zukunft betrogen. Ist das das Umfeld, in dem Betrüger gedeihen und Betrogene zu Hochstaplern werden, wie im Fall Wassili? Der gibt sich gern als Wissenschaftler aus, obwohl er ein skrupelloser Diamantenfälscher mit hervorragenden Kontakten zur Unterwelt ist. Er haut sogar die Mafia übers Ohr und verhökert gefälschte Diamanten. Der Schwindel fliegt auf, und die betrogenen Mafiosi wollen ihm an den Kragen.

    Nanu? Ist José Manuel Prieto unter die Krimiautoren gegangen? Mitnichten. Er blickt auf die Welt des Verbrechens mit den Augen des Literaturkenners, der tief schürfende Überlegungen über Macht und Geld, Liebe und Betrug anstellt, der so langatmig und weitschweifig wie Proust erzählt, der seine hypnotischen Schachtelsätze mit literarischen Querverweisen und Anspielungen spickt, sich am Sound seiner Satzgebilde berauscht, die Art der Wahrnehmung reflektiert, den Schreibprozess. So schreibt der Hauslehrer ausschließlich Kommentare, da seiner Ansicht nach heute nichts mehr substantiell Neues geschrieben wird und das bereits Vorhandene bestenfalls transformiert oder variiert wird.

    Zudem liebt José Manuel Prieto das Spiel mit den Masken und Verkleidungen, die Travestie, die Narretei. Oft gebärdet er sich wie ein schelmischer Hofnarr, der den russischen Neureichen im ungeeigneten Moment den Spiegel vorhält, am Pool oder in der Hotelbar, in auf gemotzten Shopping Malls oder Ramschläden. Und da sind sie nun mal nicht die strahlenden Männer, die sie gern sein möchten, sondern raffgierige Kreaturen, süchtig nach der Warenwelt, was Prieto so beschreibt:

    "Wassili, wie er vor den Schaufenstern mit Sonderangeboten stehen blieb, seinen dicken Finger auf ein paar Sportpants richtete (wozu, wo er doch weder Sport trieb noch joggte, dein Vater?), auf eine Stereoanlage, genau so eine, wie er sie schon überall im Haus hatte, in Zypern gekauft oder wohin auch immer ihn seine erlogenen Reisen angeblich geführt hatten. Wie ein Minotaurus in einem Labyrinth aus Läden mit chinesischer Ware, seiner Würde kaum angemessen" ( ... )

    "REX" heißt der Roman, weil der Hauslehrer zur Rettung seines Arbeitsgebers - die Mafia ist wegen Betrugs hinter ihm her - die Wahnsinnsidee hat, ihn auf einer Gardenparty in Marbella, als König zu inthronisieren, als Monarch, der bedingungslos verehrt wird.

    "All die Minister, all die Vorsitzenden und Schmalzkringelliebhaber, all die Ranchbesitzer, die falschen Kenner der russischen Literatur, die lächerlichen Opernliebhaber, sie alle würden erstarren, sofern ihre schwarze Seele es zuließe, um sich vor einem König niederzuwerfen, als wäre dies das Natürlichste, Heilsamste für ihre Herzen. Sie würden erkennen und feierlich erklären, dass nicht alle Menschen einander gleich, das manche größer sind. Und doch bleiben sie hart, böse, wollen gleich sein. Wem gleich? Shakespeare? Dem Schriftsteller?"

    Ich habe selten eine so köstliche Parodie auf Macht und Herrschaft gelesen wie diese Passagen über die Wiedereinführung der Monarchie; ich muss nicht eigens erwähnen, das José Manuel Prieto dies im Spiegel der Literatur tut und da hat ein Monarch "großmütig, frei, ein Verächter des Geldes zu sein." "REX" ist ein tiefgründiger Roman über eine oberflächliche Welt, in der Habgier und Hochstapelei triumphieren.

    JOSE MANUEL PRIETO: REX
    Frankfurt, Suhrkamp, 2008
    Übersetzung: Susanne Lange