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In Klarheit und Logik verliebt

Sie war die große alte Dame der deutschen Literaturwissenschaft: Käte Hamburger. Sie vertrat eine rational-logische Methodik, die der Germanistik im Nachkriegsdeutschland neue Wege aufzeigte.

Von Christian Linder | 08.04.2007
    Eine Anschrift von poetischem Reiz: Hölderlin-Haus in der Hegelstraße. Jeder Stuttgarter Taxifahrer kannte diese Anschrift und die rüstige alte Dame, die dort wohnte: Käte Hamburger. Der Besucher, der zu ihrem 90. Geburtstag die Aufwartung machte, kam aber nicht mit dem Taxi, sondern bestand zu Ehren der Jubilarin auf dem Protokoll, das an diesem Tag vorsah die Große Anfahrt des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker mit Eskorte und allem, was dazu gehört. Späte Wiedergutmachung für eine Frau, die, am 21. September 1896 in eine jüdische Bankiersfamilie hineingeboren, vor den Nationalsozialisten nach Schweden geflohen und erst spät, 1956, nach Deutschland zurückgekehrt war. Als Professorin zunächst an der Technischen Hochschule, später an der Universität Stuttgart verlieh sie der deutschen Literaturwissenschaft in der jungen Bundesrepublik einen neuen internationalen Standard.

    Wie "seltsam die Wege des Lebens gehen und zu einem Ziele führen können, das jeder zielbewussten Absicht fern gelegen hat", zeigte sich für Käte Hamburger 1989, als sie sich für den Schiller-Gedächtnispreis des Landes Baden-Württemberg bedankte. Denn die Auseinandersetzung mit dem Werk Friedrich Schillers stand am Anfang ihrer Laufbahn. Mit einer Promotion über Schillers Geschichts- und Kulturphilosophie schloss sie ihr Studium ab. Eine reich strukturierte Persönlichkeit, aufmerksam für die überraschendsten Zusammenhänge, die sie etwa in Aufsätzen wie über "Novalis und die Mathematik" erläuterte. Käte Hamburger war keine Freundin von irrationalen Konditionalsätzen, sondern liebte Klarheit und Logik. "Logik der Dichtung" heißt denn auch eines ihrer Hauptwerke, "Philosophie der Dichter" ein anderes. Sie war auf genaue Unterscheidungen aus, etwa zwischen Ironie und Humor:

    "Ironie hat ihre Wurzeln in Distanznahme, das heißt in einem kritischen Bewusstsein, das sich niemals unmittelbar den Erscheinungen hingibt."

    Solch kritisches Bewusstsein prägte Käte Hamburgers Arbeiten über Rainer Maria Rilke, Jean Paul, Nelly Sachs, Paul Celan oder Heinrich Heine, dessen "Buch der Lieder" sie aus intimer Kenntnis der Biografie des Dichters entzifferte:

    "Kein Gott im Exil, sondern ein dem Getto entlaufener, abtrünniger jüdischer Straßensänger, der mal den König Holofernes, mal den Gott Apollo mimt und dessen neue Musen Dirnen aus dem Amsterdamer Spielhuis sind."

    Heines Judentum war für Käte Hamburger ein Thema, weil sie sich selber als bewusste Jüdin verstand. Ohne Judentum gäbe es kein Christentum und keine Ethik, meinte sie und fand ihre Belege zum Beispiel in Thomas Manns Josephs-Roman-Tetralogie. Dieser Schriftsteller war überhaupt eine wesentliche Bezugsquelle von Käte Hamburgers Forschungen. "Thomas Mann und die Romantik" hieß eine frühe, Anfang der 30er Jahre erschienene kleine Schrift, die 1933 von den Nationalsozialisten eingestampft wurde. Mann hatte sie gelesen und die Autorin daraufhin eingeladen, für Käte Hamburger eine "unvergessliche" Begegnung. Die Freundschaft hielt an, auch weil Käte Hamburger sich immer wieder mit Thomas Mann beschäftigte, etwa eine Einführung in dessen Roman "Joseph und seine Brüder" schrieb. Dieser bedankte sich 1946 in einem Brief:

    "Das Buch ist ein Ereignis in meinem Leben - ich darf und muss es so nennen, da es eine Exegese meines Werks von dieser liebevollen, wissenden und alles aufzeigenden Breite und Tiefe [...] noch nicht gegeben hat."

    Als Ereignis haben viele Käte Hamburgers Arbeit nach ihrer Rückkehr aus der schwedischen Emigration empfunden. Ihre Auftritte auch außerhalb der Stuttgarter Universität sind Legende; das Publikum dankte nicht selten mit standing ovations. Sie wurde in den PEN-Club gewählt, und die Universitäten von Siegen und Göttingen verliehen ihr die Ehrendoktorwürde. Man spürte, dass Käte Hamburger immer aus ihrem eigenen Leben heraus sprach, auch wenn sie zitierte, zum Beispiel Friedrich Schlegels Forderung, dass wir an Bildung wachsen müssen, um in der Beschäftigung mit Gegenständen aus der Vergangenheit uns neue Aussichten für Gegenwart und Zukunft zu eröffnen.

    Privat wurde diese herausragende und bestimmende Intellektuelle von ihren Freunden "Tante Käte" genannt. Einer ihrer Freunde war der Literaturwissenschaftler Hans Mayer. Er hat berichtet, Käte Hamburger habe im hohen Alter von 95 Jahren die Klage Hiobs verstehen können. Besucher habe sie nicht mehr empfangen und beim Geburtstagstelefonat geklagt:

    "Ich bin ganz verwirrt. Mein Denken ist zerstört."

    Hans Mayer antworte, eine solche nüchterne Feststellung beweise genau das Gegenteil.

    "Das schien sie zu freuen. Die Logik war ihr stets wichtig. Nicht allein als Logik der Dichtung."

    Gestorben ist Käte Hamburger am 8. April 1992 in Stuttgart. Sieben Jahre später, 1999, benannte man in Göttingen eine Straße nach ihr.