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In "Metánoia" leben Schlingensiefs Ideen weiter

Höflich-verhalten war der Applaus für die Uraufführung von Jens Joneleits Oper "Metánoia" im Berliner Schillertheater. Zwei Tage vor Probenbeginn war Regisseur Christoph Schlingensief gestorben. Die Inszenierung wird jedoch noch von seinen Ideen getragen.

Von Georg-Friedrich Kühn | 04.10.2010
    Es ist jetzt das kleinste der drei Berliner Opernhäuser - die Staatsoper im Schillertheater mit knapp tausend Plätzen, vierhundert weniger als Unter den Linden. Das Einnahmesoll ist das gleiche geblieben, und so muss der neue Intendant Jürgen Flimm gehörig ums Publikum buhlen.

    Es ist jetzt das kleinste der drei Berliner Opernhäuser - die Staatsoper im Schillertheater mit knapp 1000 Plätzen, vierhundert weniger als Unter den Linden. Das Einnahmesoll ist das gleiche geblieben, und so muss der neue Intendant Jürgen Flimm gehörig ums Publikum buhlen.

    Das Schillertheater ist jetzt aber auch das schönste der drei Berliner Opernhäuser. Neu hergerichtet in hellen Farben mit einladenden Foyers, kann das Haus auch akustisch voll überzeugen mit seinen gewellten Wänden, der unterstützenden Elektronik. Und man fragt sich, wie die Stadt ein so schönes Theater hatte aufgeben können.

    Dass man es mit einer Uraufführung wieder eröffnete, war ein weiterer bemerkenswerter Akzent, kaum denkbar ohne das persönliche Engagement von Daniel Barenboim, wenn auch besonders riskant.

    Zwei Tage vor Proben-Beginn war der Regisseur und spiritus rector des Projekts, Christoph Schlingensief, gestorben. Einen Plan B hatte man nicht, ansonsten wäre Schlingensief ausgestiegen. Man entschloss sich ohne neuen Regisseur als Team weiter zu machen. Assistentin Anna-Sophie Mahler erläutert das Motto so:

    " Wir nehmen jetzt einfach alles, was es gibt, verleugnen aber auch nicht die Situation, dass jemand fehlt, und setzen die Sachen auf die Bühne. Und meine Aufgabe war, das Ganze zu organisieren, zu koordinieren. "

    Als Basis für das Projekt hatte Schlingensief Friedrich Nietzsches "Geburt der Tragödie" gewählt, die René Pollesch mit eigenen Texten "überschrieb", woraus der Komponist Jens Joneleit dann sein Libretto destillierte: "Metánoia - über das Denken hinaus".

    Inhaltlich geht es in fünf Teilen um den Widerstreit von dionysischem und apollinischem Denken, Rausch und Genuss contra Traum und Formalisierung. Was ist es, was uns treibt oder "infiziert", wie Pollesch das nennt?
    Was Schlingensief, fixiert auf seine Krankheit und deren absehbare Folgen, dabei interessierte, war die Frage, wie man eine Haltung entwickelt, mit der man "das Sterben bejahen" könne, so Dramaturg Carl Hegemann.

    " Christoph wollte ja die Oper im menschlichen Körper spielen lassen. Die Sänger, Choristen, sollten Organe, Parasiten, Fremdkörper, irgendwelche Lebewesen im Körper sein. Er hat die ganzen Körperorgane von innen nach außen stülpen wollen."

    Die von Schlingensief fürs Bühnenbild entworfenen Organe sieht man im Bühnen-Hintergrund platziert, aber fast bis ganz zum Schluss nur als Schemen im Dunkeln zu ahnen. Erst gegen Ende werden sie erkennbar: Herz, Lunge, Niere, Gedärme. Ansonsten flimmern auf drei Bildwänden ständig Schwarz-Weiß-Filme.

    Der Chor ist nahe der Rampe auf Stufen postiert in gelblichen Ganzkörper-Trikots. Dazwischen die fünf Solisten in plastikartig glänzend-hellen Kostümen. Der Rezitator, der zwischendurch Texte vorträgt, funkelt sich mit einer Taschenlampe ins Geschehen, erscheint im Antiken-Outfit wie eine wandelnde Statue.

    Gelegentlich wandern einzelne Solisten ins Parkett oder auf die Ränge und singen dort ihre Phrasen. Insgesamt bleibt das Ganze - trotz Joneleits expressiver, Live-Orchester und Elektronik geschickt mischender Musik - aber doch sehr statuarisch, ist mehr szenisches Oratorium denn Musiktheater.

    So war auch der Schlussbeifall des Publikums am Ende der 70 Minuten eher höflich-verhalten. "Metánoia" bedarf wohl einer Inszenierung, die unbelastet ist von den aktuellen Umständen. Offen genug dafür ist das Werk oder "Werkzeug", wie der Komponist es nennt.