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In Pristina herrscht ernsthafte Angst

Die Wahl im Kosovo war mit großen Hoffnungen verbunden, die schließlich von Ausschreitungen durchkreuzt wurden. Kosovaren und Serben geben sich gegenseitige die Schuld dafür. Wie geht es nun weiter? Möglicherweise mit Neuwahlen.

Von Ralf Borchard | 05.11.2013
    Am Wahltag selbst war er noch voller Optimismus: Roberto Gualtieri, Leiter der EU-Wahlbeobachter-Kommission im Kosovo. Der italienische EU-Abgeordnete sprach von einem "sehr wichtigen Tag für die Festigung der Demokratie im Kosovo und für den Prozess der Normalisierung im Verhältnis zu Serbien".

    Nach den gewaltsamen Ausschreitungen schwieg Gualtieri. Am heutigen Dienstag will er Stellung nehmen, und von seinen Worten hängt einiges ab. Wird die Wahl im Nordkosovo wiederholt? Wie geht es weiter nach diesem Rückschlag? Belgrad und Pristina setzen auf Antworten der EU.

    Beide Seiten machen sich gegenseitig für Gewaltausbruch verantwortlich
    Europäische Vermittlung wird es in den kommenden Wochen dringend brauchen, denn schon schieben sich Belgrad und Pristina gegenseitig die Schuld für den Gewaltausbruch am Wahltag zu. In Pristina heißt es, Belgrad habe nicht nur zugelassen, dass Ultranationalisten aus Serbien in den Nordkosovo eingereist seien, um dort Wähler einzuschüchtern, vielmehr hätten regierungsnahe Kreise die Gewalt am Ende des Wahltags selbst provoziert, weil absehbar wurde, dass so wenige Serben in Nord-Mitrovica abgestimmt hätten, dass ein albanischer Bürgermeister die Mehrheit in der Serben-Hochburg hätte erreichen können.

    Belgrad kontert mit dem Vorwurf, Pristina habe eine schwache Wahlbeteiligung der Serben im Norden gefördert, weil man nicht wolle, dass der angestrebte Verbund serbischer Gemeinden im Kosovo zu stark werde. Der serbische Regierungssprecher
    Milivoje Mihajlovic meint:

    "In Pristina existiert ernsthafte Angst vor diesem Verbund serbischer Gemeinden sowie ernsthafte Angst vor konsolidierten Serben, die einen gemeinsamen Auftritt auf der politischen Bühne im Kosovo haben könnten. Das ist ein ernsthaftes Problem für die Machthaber in Pristina."

    Der serbische Politologe Dejan Vuk Stankovic betont dagegen, der Wahltag habe gezeigt, wie wenig Einfluss Belgrad auf das Verhalten der Serben im Nordkosovo habe. Dies treibe die ganze Situation im Kosovo in den Sog politischer Ungewissheit: "Die Ungewissheit erscheint auf zwei Ebenen", meint Stankovic. "Erstens: was wird aus den Serben im Norden Kosovos? Die zweite Ebene betrifft die Perspektive europäischer Integration Serbiens."

    Im Klartext: Geht es mit der Eingliederung der Serben im Kosovo nicht voran, könnte die EU die von Belgrad so dringend erwünschten Beitrittsgespräche verweigern.

    Serbische Flagge
    Serbiens Beitrittsgespräche zur EU stehen auf dem Spiel (picture alliance / dpa /epa/Oloivier Papegnies)
    Auch die Kfor muss sich fragen, was sie besser machen kann
    Auch der Außenminister des Kosovo, Enver Hoxhaj, sieht den Ball im Feld Belgrads und Brüssels:

    "Natürlich hängt viel davon ab, wie Belgrad die Wahlen verstehen wird, wie Belgrad die Wahlen auch öffentlich beurteilen wird, und wie wir weiterhin auch die Unterstützung der Internationalen Gemeinschaft hinsichtlich eines gemeinsamen, multiethnischen Kosovos haben."

    Kommt es zu einer Wiederholung der Wahl im Norden, böte sich als Termin der 1. Dezember an. An diesem Tag finden im restlichen Kosovo, wo die erste Runde der Wahl am Sonntag relativ störungsfrei verlief, ohnehin Bürgermeister-Stichwahlen statt. Wird die Wahl im Norden insgesamt - oder zumindest in Nord-Mitrovica, wo es die heftigsten Ausschreitungen gab - wiederholt, müssen sich auch die Truppen der Kfor, für die die Bundeswehr das größte Kontingent stellt, und die Polizisten der Mission Eulex fragen, wie sie die Wahl das nächste Mal besser schützen können. Der Chef der Eulex-Mission, der deutsche Diplomat Bernd Borchardt meint jedenfalls:

    "Ich wünsche Kosovo, dass der Einigungsprozess, der inhaltliche Einigungsprozess mit dem Norden weitergeht. Das ist so ein Mühlstein, der um den Hals der Regierung hier hängt. Und dass die Regierung sich dann auf Fragen, die langfristig viel wichtiger sind, stärker konzentrieren kann, wie gute Regierungsführung, vor allem im Wirtschaftsbereich. Hier wird viel zu wenig investiert."