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"In Regionen hinter der Krötenfront herrscht Grabesstille"

Wenn wir weitermachen wie bisher, müssen Menschen, die nach uns auf diesem Kontinent leben, möglicherweise einen Sommer bei 50 Grad aushalten. Der australische Wissenschaftler Tim Flannery erinnert daran, dass wir unser Erbe auf nachhaltige Weise managen sollten.

Von Britta Fecke | 28.11.2011
    Wussten Sie, dass Chemie poetisch ist? Dass die Vererbungslehre witzig sein kann und ökologische Katastrophen auch eine komische Seite haben? Wer daran zweifelt, aber schon immer einmal gut unterhalten durch die Naturwissenschaften - vor allem die Biologie - geführt werden wollte, der sollte unbedingt zu Tim Flannery greifen. Auch sein jüngstes Buch: "Auf Gedeih und Verderb" ist eine gelungene Legierung aus Wissenschaft, Politik und Unterhaltung, ohne dabei je trivial zu werden oder durch das Mischungsverhältnis in einer Disziplin unpräzise.

    Wenn der australische Zoologe auch generell der Frage nachgeht, wie wir unsere Zivilisation in die nächsten Generationen retten können, im Angesicht von Überbevölkerung, Klimawandel und schwindenden Ressourcen, nimmt er sich doch die Zeit, ganz von vorn anzufangen, mit der Poesie der Elemente:

    Die Bausteine des Lebens sind ... noch älter als die Erde selbst. Die Elemente, aus denen wir bestehen - darunter Kohlenstoff, Phosphor, Kalzium und Eisen -, wurden in den Herzen der Sterne erbrütet. Und nicht etwa in einer einzigen Generation von Sternen: Zur Schaffung eines schweren Elements wie zum Beispiel dem Kohlenstoff, der für das Leben unentbehrlich ist, sind ganze drei aufeinanderfolgende Sternenleben nötig. Da Sterne nur sehr langsam altern, war für diese Generationen buchstäblich fast alle Zeit der Welt nötig, vom Urknall bis zur Geburt der Erde. Wir sind nichts als Sternenstaub, wie Carl Sagan schreibt - doch genau das ist ja das Wunder.

    Wenn Elemente, wie Phosphor, "im Herzen der Sterne erbrütet" werden, dann darf man gespannt sein, wie enthusiastisch sich der Zoologe erst der belebten Materie widmet: Er ist natürlich begeistert, aber er lässt keine Vorlieben erkennen und begegnet allen Mehrzellern - von der Ameise bis zum Zwergelefanten - mit dem gleichen Respekt und einer demokratischen Gesinnung - keine Art ist nur aufgrund ihrer körperlichen Größe einer anderen vorzuziehen. Vielmehr versucht Flannery vom Kleinen aufs Große zu schließen. Was können wir von anderen staatenbildende Lebewesen lernen? Zum Beispiel von Ameisen, ihren sozialen Strukturen, ihrer Arbeitsaufteilung, ihren Prinzipien und ihrer Fähigkeit des Wirtschaftens. Schließlich legen sie - wie Menschen auch - ihre eigenen Gärten zur Nahrungssicherung an, sie züchten Pilze und pflegen ihre Farmen mit Läusen wie Landwirte ihre Kühe im Stall - in beiden Fällen werden die Nutztiere gemolken. Was können wir also von den Ameisen lernen, die auch Landwirtschaft betreiben, dabei aber im Gegensatz zum Menschen keinen Raubbau an der Natur betreiben? Flannery widmet dieser Frage ein ganzes Kapitel. Der Mensch wird sehr klein neben der Ameise und ein paar Seiten weiter wird er tatsächlich noch kleiner: wenn der Zoologe diesmal nicht mehr mit Poesie, dafür aber mit Witz die vielen Fälle menschliches Versagen im Umgang mit seiner Umwelt beschreibt, zum Beispiel an einer Kröte:

    Ursprünglich war die Aga-Kröte in Mittelamerika beheimatet und war nach Australien gebracht worden, um Schädlinge in Zuckerrohrfeldern zu fressen. Das tat sie leider nicht. Stattdessen breitete sie sich rasch aus und richtete gewaltige Zerstörung an, wo sie auch hinkam. Wenn sie nach Nordaustralien kommen, erkennen sie sofort, wenn die Kröte noch nicht an einem Ort angekommen ist. Überall treffen sie auf Krokodile, Goannas, Halskrausenechsen, Raubvögel und zahllose einheimische Tiere. Doch in den Regionen hinter der Krötenfront herrscht Grabesstille.

    Bei der Lektüre dieser Fälle fragt sich der kritische Leser dann doch wie Flannery am Ende zu der Erkenntnis kommen will, dass alles gut werden wird? Denn auf den letzten Seiten gibt sich der Zoologieprofessor der Hoffnung hin, dass sich die Staatenlenker in naher Zukunft auf ein völkerrechtlich bindendes Klimaabkommen einigen werden. Vielleicht hilft ja die natürliche Selektion, mit einem starken Selektionsdruck auf spritfressenden SUV-Fahrern und anderen ressourcenverschleudernden Zeitgenossen? Flannery macht Mut:

    Auch am Menschen lässt sich die sexuelle Selektion beobachten. In den westlichen Gesellschaften haben Frauen jedoch in den letzten Jahrzehnten weitgehend die Kontrolle über ihre Reproduktion gewonnen. Befreit und bewaffnet mit Verhütungsmitteln sind sie heute eine mächtige evolutionäre Kraft und eifrig dabei, die Männer von morgen zu formen. Durch die Wahl der Männer, die sie zu Vätern ihrer Kinder machen, bringen sie - soweit es das vorhandene Material zulässt - ihr Männlichkeitsideal zum Ausdruck. Im Laufe der weiteren Evolution wird diese Auswahl die Eigenschaften der Männer verändern.

    Fraglich bleibt nur, ob wir noch soviel Zeit haben. Und ob das Material, wie es der Zoologe so praktisch nennte, tatsächlich viel Spielraum lässt. Ihm kommen ja selbst gewisse Zweifel:

    Seit wir vor 50 000 Jahren Afrika verlassen haben, haben wir ein Ökosystem nach dem anderen zerstört. Was gibt uns also Anlass zu der Vermutung, dass ausgerechnet wir in der Lage sein sollten, die Zukunft Gaias kooperativ und nachhaltig zu gestalten?

    Der Zoologe scheint auch getragen von der Hoffnung, dass Wissen für Respekt sorgt, das, wenn unser Bewusstsein erst einmal für die Schönheit der Natur geweckt ist, wir diese auch erhalten wollen. Und er hofft, dass sich demokratische Systeme weltweit durchsetzen werden, denn politische Mitbestimmung gepaart mit einem gewissen Wohlstand sind nach Flannery die Voraussetzungen für nachhaltiges Wirtschaften. Die Umbrüche im arabischen Raum bezieht er auch deshalb begeistert in seine Überlegungen ein, wie er ohnehin viele politische und wirtschaftliche Entwicklungen der jüngeren Geschichte kenntnisreich einbindet. Auch dass macht dieses Buch zu einer anregenden Lektüre, der Naturwissenschaftler denkt vernetzt und interdisziplinär, sucht Inspiration und Beweise bei Platon, Erich Fromm oder der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom:

    Doch nach Ansicht von Elinor Ostrom ist es möglich, unser gemeinsames Erbe auf nachhaltige Weise zu managen, wenn es uns gelingt, klare Regeln für die Nutzung und geeignete Strafen für Verstöße festzulegen, die Ressourcen zu kontrollieren und Mechanismen zur Beilegung von Konflikten zu entwickeln.

    Welche Mechanismen das sein sollen und wer sie kontrollieren soll, diese Antwort bleibt Flannery vorerst schuldig. Er verfährt nach dem Ausschlussverfahren:

    Es fällt heute schwer zu glauben, dass die Vereinten Nationen der geeignete Ort für die Aushandlung eines internationalen Abkommens sein sollen, zu welchem Thema auch immer.

    Flannery setzt wohl besonders auf die Verantwortung eines jeden Einzelnen. Er will Verständnis schaffen für die Vernetzung der globalen Systeme und hofft, dass ausreichende Aufklärung zum Umdenken führt. Er glaubt an die Intelligenz, die vielleicht dem kurzen Profidenken überlegen sein könnte und am Ende glaubt er an die Liebe. Ein Poet, ein wissender Poet und damit eine Seltenheit. Hoffentlich hat er recht!


    Tim Flannery
    Auf Gedeih und Verderb - Die Erde und wir: Geschichte und Zukunft einer besonderen Beziehung. Fischer-Verlag, 368 Seiten, 22,95 Euro
    ISBN: 978-3-100-21114-9