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"In vielen Ländern darf man das nicht“

Nur mithilfe genetischer Marker das Herkunftsland eines Menschen zu bestimmen, sei mit aktuellen wissenschaftlichen Methoden allenfalls sehr ungenau möglich, sagt der Molekulargenetiker Manfred Kayser. Doch genau das möchte die britische Einwanderungsbehörde nun in der Praxis ausprobieren – an Asylbewerbern.

    Michael Böddeker: Wir haben gerade schon einige Wissenschaftler gehört, die die Tests kritisieren. Ebenfalls skeptisch ist der deutsche Molekulargenetiker Manfred Kayser. Er leitet das Institut für forensische Molekularbiologie an der Erasmus-Universität in Rotterdam. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, was er von den Tests hält?

    Manfred Kayser: Also im Prinzip geht’s darum, den geografischen Ursprung einer Person herauszufinden. Wobei da schon das erste Problem existiert, weil eigentlich ist die Anwendung nicht nach geografischem Ursprung, sondern nach Nationalität. Und das ist also etwas, was im Prinzip sehr schwierig ist mit genetischen Markern rauszufinden. Damit können Sie maximal herausfinden, aus welcher Gegend jemand kommt, beziehungsweise dessen Vorfahren – aber nicht, aus welchem Land. Weil also genetische Veränderungen weit vor der Etablierung heutiger politischer Grenzen entstanden sind und etabliert wurden. Und insofern ist diese Verbindung zwischen geografischem Ursprung und einem Land, einer Nationalität, so und so nicht möglich.

    Böddeker: Man könnte also zum Beispiel nicht sagen, ob jemand aus Kenia oder Somalia kommt?

    Kayser: Also im Prinzip nicht. Zumindest nicht, was das heutige Wissen angeht. Also da weiß man viel, viel zu wenig. Und ich bin auch sehr skeptisch, ob auf diesem sehr begrenzten geografischen Niveau überhaupt eine Unterscheidung möglich ist. Also im Prinzip kann man bisher durchaus große kontinentale Regionen mittels genetischer Marker unterscheiden. Also wenn jemand zum Beispiel aus Afrika kommt, im Vergleich zu Ostasien, im Vergleich zu Europa, im Vergleich zu dem ursprünglichen Amerika – da gibt es durchaus Unterschiede im Genom, die man kennt und die man auch anwenden kann, um solche großen geografischen Regionen vorherzusagen, beziehungsweise ob ein Mensch aus diesen Regionen kommt.

    Böddeker: Ist so etwas dann noch genauer, als das, was man auf den ersten Blick schon sieht, also, ob jemand eher eine dunkle Hautfarbe hat oder ehr nach jemandem aus Europa aussieht.

    Kayser: Was die kontinentale Herkunft angeht, haben Sie natürlich völlig Recht. Da ist man wahrscheinlich durchaus in der Lage, wenn man einen Menschen sieht, relativ gut einzuschätzen, zumindest aus welchem Kontinent derjenige kommt.

    Böddeker: Was für Aussagen kann man überhaupt anhand der Erbinformation treffen? Zum Beispiel: Kann man die Augenfarbe oder die Hautfarbe bestimmen.

    Kayser: Also Augenfarbe kann man ganz gut bestimmen, wie wir aus unseren eigenen jüngsten Erkenntnissen und auch anderen Studien wissen. Da sind also relativ wenige Gene und relativ wenige Marker innerhalb dieser Gene, die eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit in der Richtigkeit von einer solchen Aussage beinhalten. Bei Haarfarbe, da ist man auf dem besten Weg, Hautfarbe hat man bisher noch nicht so richtig im Griff. Aber diese gruppenspezifischen Merkmale wird man sicherlich in der Zukunft vorhersagen können. Allerdings hat es überhaupt nichts damit zu tun, was in diesem Fall hier beabsichtigt ist. Weil da geht’s also nicht um Marker, die ein aussehen beschreiben, sondern da geht’s um genetische Marker, die, aus welchen Gründen auch immer, anzeigen, aus welcher Region man kommt. Und das sind also bei den Markern, die also hauptsächlich heute diskutiert werden, nicht unbedingt Marker, die damit zu tun haben, wie ein Mensch aussieht.

    Böddeker: Wie ist überhaupt die Gesetzeslage? Darf man so etwas genetisch testen?

    Kayser: Also in vielen Ländern darf man das nicht. In Deutschland darf man es auch nicht, meines Wissens. Beziehungsweise, es ist nicht explizit geregelt. Und inwieweit dann ein Land solche Werkzeuge, wenn sie dann wissenschaftlich abgesichert sind, nutzen möchte, um Einwanderung zu regeln, ich denke mal das ist ne Diskussion, die auf politischer Ebene und auf gesellschaftlicher Ebene geführt werden sollte und nicht von Wissenschaftlern allein.

    Böddeker: Wobei sich ja inzwischen viele Wissenschaftler sehr kritisch geäußert haben, zu diesen Tests, Sie ja auch gerade. Glauben Sie, dass die britische Einwanderungsbehörde so ein Vorhaben trotzdem umsetzen kann, gegen all die Kritik, die nun aufkommt?

    Kayser: Also da bin ich völlig überfragt. Ich weiß nicht, wie ignorant die sind, auch im Bezug auf ihrer eigenen Wissenschaftler, weil es eben insbesondere für die hier angesprochene Zielsetzung, zum Beispiel eine Unterscheidung, ob jemand aus Somalia oder aus einem benachbarten ostafrikanischen Land kommt, jeglicher wissenschaftlicher Grundlage, die zurzeit bekannt ist, entbehrt.

    Böddeker: Das war der deutsche Molekulargenetiker Manfred Kayser von der Erasmus-Universität in Rotterdam. Mit ihm habe ich über die Gentest gesprochen, mit denen die britische Einwanderungsbehörde die Herkunft von Asylbewerbern untersuchen möchte.