Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


In volkstheaterhafter Spielweise

Kleists Stück "Der zerbrochene Krug" über den Dorfrichter Adam, der über seinen eigenen Fehltritt zu Gericht sitzt, ist eine der meistgespielten Komödien auf deutschsprachigen Bühnen. Peter Stein hat die Kleistsche Komödie nun am Berliner Ensemble inszeniert, mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle. Doch wo sich bei Kleist die Geschichte zuspitzt, hängt sie bei Stein durch oder steht auf der Stelle.

Von Hartmut Krug | 14.09.2008
    Selbst Goethe, der das Stück in drei Akte teilte, obwohl er fälschlicherweise meinte, es fehle "dem übrigens geistreichen und humoristischen Stoffe an einer rasch durchgeführten Handlung", konnte mit dem Misserfolg seiner Weimarer Uraufführung 1808 nicht verhindern, dass Kleists "Der zerbrochne Krug" später zu einer der meistgespielten Komödien auf deutschsprachigen Bühnen wurde. Die Rolle des Dorfrichters Adam, der über einen Fehltritt zu Gericht sitzen muss, den er selbst begangen hat, und der dies mit allen Mitteln zu verheimlichen sucht, ist von vielen großen Charakterdarstellern gespielt worden. Am Berliner Ensemble hat Intendant Claus Peymann große Erwartungen geweckt, als er mit Peter Stein als Regisseur und Klaus Maria Brandauer in der Rolle des Richters Adam das Erfolgsduo der "Wallenstein"-Inszenierung für Kleists Komödie gewinnen konnte.

    Kleists Geschichte spielt in einem fiktiven Ort Huisum, und die nächsthöhere Gerichtsinstanz residiert in Utrecht. Meist suchen Inszenierungen des Stückes, in dem ein Gerichtsrat unangemeldet zur Revision erscheint und den Dorfrichter Adam mit seinem Pochen auf ordentliche Rechtspflege arg in Bedrängnis bringt, aktuell zu verorten. Nach der Wende erzählten ostdeutsche Inszenierungen des Stückes gern von der Einführung einer neuen Ordnung. Peter Steins historisierende Inszenierung dagegen spielt deutlich nur auf dem Theater. Sie zeigt eine Kunstwelt und Darsteller, die nicht realistische Figuren, sondern Genrefiguren, Theaterhaltungen und schauspielerische Kunststücke zeigen.

    Anders als bei Steins Inszenierungen des "Faust" und des "Wallenstein" wirkt der Text hier durchaus dramaturgisch verschlankt, zugleich aber bläst die Inszenierung das Geschehen atmosphärisch stark auf. Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer hat die Bühne dem Kupferstich "Le juge, ou la cruche cassée" von Jean Jacques Le Veau nachgebaut, von dessen Kupferstich aus dem Jahr 1782 Kleist, wie er in seiner Vorrede zu seinem Stück berichtet, die erste Anregung zu seinem Stück erhielt.

    So beginnt die Inszenierung mit einer Genreszene in einem halbdunklen, von Lichteffekten durchleuchteten Raum, die Peter Stein zu Beginn mit anschwellender atmosphärischer Musik unterlegt. 14 gackernde Hühner laufen herum, bis sie von kichernden Volksstück-Mägden eingesammelt und vor die Tür gesetzt werden. Dann tanzt ganz in weiß, mit langen Unterhosen unterm Nachthemd, der Dorfrichter herein. Seine ersten Worte wirken wie gesungen, bis er sich an die Verarztung seiner Wunden macht. Klaus Maria Brandauer wirft sich nicht sofort hinein in die sicheren Effekte seiner bühnenwirksamen Figur, sondern kostet sich gewissermaßen langsam in sie hinein. Der Darsteller macht das ungemein souverän, doch er bleibt eigentlich immer bei sich. Richtig komisch oder existentiell verzweifelt wird weder er noch irgendeine Figur in diesem kunstvollen Stadttheater-Spiel. Brandauer spielt auch keine Entwicklung eines immer mehr in die Enge getriebenen Menschen, sondern er stellt Situationen und Empfindungen eines stets direkt reagierenden Mannes nacheinander vor.

    Dieses Nach- und Nebeneinander von Haltungen bestimmt alle Figurendarstellungen wie erstaunlicherweise auch die gesamte Inszenierung. Es gibt kein wirkliches Zusammenspiel des Ensembles, jeder stellt sich vor und dar, und dann verschwindet er in der Stehmasse eines Genrebildes. Die Aufführung lebt von ihren allgemeinen Theatertönen, - wenn Tina Engel die Jammerarie der Marthe Rull "der Krüge schönster ist entzwei geschlagen" vorträgt, wird hier keine Figur als Mensch deutlich, sondern eine Rolle wird als Theaternummer abgespult. Wobei Kleists Sprache und seine dialogischen Wortspiele mit dem aneinander vorbeireden der Figuren kaum je zum Klingen gebracht werden. Was die Figuren empfinden, was zum Beispiel die hier meist verknautscht jammerig herumstehende und immer wieder empört auffahrende Eve emotional durchlebt, wird nicht versinnlicht. Natürlich strukturiert Stein die Szenen ungemein sicher, und die Lichtregie versinnlicht den Vorgang des Aufklärens eines Falles auch sehr schön. Doch insgesamt nimmt die kleinpusselige, eher naturalistische denn realistische, vor allem aber äußerliche und volkstheaterhafte Spielweise in einer historisierenden Kulissenwelt dem Geschehen alle Spannung.

    Wo sich bei Kleist die Geschichte zuspitzt, hängt sie bei Stein durch oder steht auf der Stelle, und die Angst vor dem Kriegsdienst als ein Motor des Geschehens wird kaum deutlich. Wenn am Schluss der Gerichtsrat Walter, den Martin Seifert wunderbar als einen still in seinen Überzeugungen ruhenden eleganten Mann aus einer anderen Welt spielt,) Eve und Ruprecht erzählt, niemand werde als Soldat in fremde Lande ziehen müssen, wird allerdings deutlich: auch die neue Macht trickst und lügt. Da ist es nur konsequent, dass Marthe Rulls Schluss-Szene, in der sie ankündigt, in Utrecht ihr Recht bekommen zu wollen, fehlt. Dafür öffnet sich die kleine Stube zur großen, schneebedeckten existentiellen Aussage: der flüchtende Adam wird inmitten des Volkes zum menschlichen Mahnmal erhoben, und während er am Seil schwebt, singen alle einen gleichnishaften Text von Hölderlin: "Die Linien des Lebens sind verschieden / Wie Wege sind, und wie der Berge grenzen." Schön wäre allerdings gewesen, Peter Stein hätte dies in seiner Inszenierung sinnlicher und komödiantischer heraus gearbeitet.