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Indien
Kasten als Nährboden für Rassismus

Die rassistische Zuordnung von Charaktereigenschaft zum Beispiel an die Hautfarbe ist auch in Indien ein gängiges Problem. Afrikaner fürchten so in manchen Vierteln um ihr Leben. Und auch die Inder untereinander halten eine dunklere Hautfarbe für einen Makel.

Von Bettina Weiz | 16.07.2016
    Drei Frauen stehen gebeugt und betend auf Stufen am Rand eines Flusses auf das Wasser legen sie Gaben (Indien, Haridwar)
    Gläubige während des hinduistischen Festes Kumbha: Diskriminierung aufgrund von Kaste und ethnischer Zugehörigkeit sind in Indien gang und gäbe. (imago/GranAngular)
    Eigentlich lässt es sich kurz vor Sonnenuntergang am schönsten durch die engen Gassen des Viertels Rajpur Khurd in Neu Delhi schlendern. Es ist nicht mehr so heiß, Kinder lassen Drachen steigen, Nachbarn plaudern. Aber Ann Mwangi, Medizinstudentin aus Kenia, hastet an allen vorbei.
    "Ich muss schnell heim, es wird spät. Und dann kann ich nicht mehr auf der Straße sein, denn die Leute hier bringen Afrikanerinnen um. Nicht weit von hier haben sie ein afrikanisches Mädchen ermordet. Sie haben mit Messern auf sie eingestochen. Ihr Körper war ganz zerfleischt."
    Tatsächlich wurde im Mai in der indischen Hauptstadt ein Afrikaner überfallen und getötet. Zwar in einem anderen Viertel, aber auch durch Rajpur Khurd, wo besonders viele Afrikaner wohnen, sind Gruppen von Alteingesessenen gezogen und haben ihre Nachbarn mit der viel dunkleren Hautfarbe bedroht und angegriffen.
    "Sie misshandeln uns. Sie sind Rassisten. Wenn ich hier rumlaufe, schmeißen Kinder mit Steinen auf mich. Ich bin hier nicht sicher."
    Afrikas Diplomaten legten Beschwerde ein
    Nach dem Mord im Mai haben sich die versammelten Diplomaten Afrikas beschwert und gedroht, künftig keine Studenten mehr nach Indien zu schicken. Das war nicht im Interesse der indischen Regierung. Die ist auf gute Beziehungen mit den Staaten Afrikas bedacht und vergibt zum Beispiel großzügig Stipendien an Studenten von dort. Indien hat eine große Bevölkerung, aber wenig Rohstoffe. Afrika dagegen bietet Bodenschätze, Ackerland und Absatzmärkte. Und so sind nicht nur europäische, US-amerikanische und chinesische Geschäftsleute massiv in Afrika unterwegs, sondern auch indische.
    "Die Chefs von meinem Vater sind Inder. Die Firma gehört Indern in Kenia. Sie leben bei uns. Und wir müssen sie gut behandeln. Aber wenn wir in ihr Land kommen, behandeln sie uns wie Scheiße."
    Um die Wogen zu glätten, musste der Staatspräsident Indiens auf den Plan treten. Er nannte die Morde und Angriffe auf Afrikaner "Einzelfälle" und versprach, die Behörden würden pro-aktiv für die Sicherheit von Afrikanern in Indien sorgen. Und Indiens Außenministerin twitterte: "Ich appelliere an meine Mit-Inder: Wenn Ihr demnächst einen afrikanischen Bürger trefft, bitte schüttelt ihm die Hand und sagt: Indien liebt Dich." Ranbeer Rathi, einer der Alteingesessenen von Rajpur Khurd, schüttelt den Kopf.
    "Manche Afrikaner sind ja gut, andere nicht, aber manche benehmen sich wirklich daneben, vor allem nachts. Sie trinken öffentlich Alkohol. Und was sie anhaben! Das passt nicht zu unserer Kultur. Wenn es Streit gibt, etwa wenn sie ihre Miete nicht zahlen, dann werden sie manchmal handgreiflich. Wir mögen die Kultur der Afrikaner nicht. Wenn sie nachts draußen unterwegs sind, lassen wir unsere Töchter nicht raus."
    Rajpur Khurd war ein Dorf, bis das rasant wachsende Delhi es sich vor ein paar Jahren einverleibt hat. Die Einwohner hatten denselben Beruf: Bauer. Sie feierten dieselben Feste, glaubten an dieselben Götter und heirateten ausschließlich untereinander. Sie gehörten derselben Kaste an, wie man in Indien sagt. In einer Kastengesellschaft ist es gang und gäbe, jemanden als Mitglied seiner Kaste oder Gruppe wahrzunehmen – und ihm Charakterzüge zuzuschreiben, bevor man ihn überhaupt persönlich kennengelernt hat. Einer aus der Händlerkaste hat Geschäftssinn, einer aus der Priesterkaste ist gebildet. Oft trifft das tatsächlich zu. Aber diese Einstellung ist auch ein Nährboden für Rassismus.
    Hellhäutige Menschen gelten als gut und mächtig
    Hellhäutige Menschen sind gut und mächtig, dunkelhäutige schlecht und schwach: Das haben schon die britischen Kolonialherren ihre indischen Untertanen gelehrt. Bis heute suggerieren es die hellhäutigen Stars der Bollywood-Filme - oder die allgegenwärtige Reklame für Hautaufheller.
    Solche Cremes sind in Indien weithin im Gebrauch. Denn viele Inder haben selbst sehr dunkle Haut – und deshalb zum Beispiel schlechtere Chancen auf dem Heiratsmarkt. Und im Nordosten des Landes wohnen Leute wie Binalakshmi Nepram: mit mandelförmigen Augen und flachen Nasen. Sie sei wie jede andere Inderin auch aufgewachsen, sagt sie, aber als sie nach Delhi kam, hätte man sie Schlitzauge genannt.
    "Es geht aber nicht nur um Schimpfwörter. Viele unserer Jungen und Mädchen wurden in Delhi ermordet. Wegen des tief sitzenden Rassismus."